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Mali: Dschihadisten sollen isoliert werden

Al-Qaida-Milizen im islamischen Maghreb (AQMI) in Timbuktu. Propaganda-Foto (2016)

Die französische Militärintervention, die Bundeswehr und ein Konflikt, der ähnlich wie in Afghanistan endlos scheint

Wird es dieses Mal klappen? Am 23. August trat ein neuer Waffenstillstand im umkämpften Norden Malis in Kraft. Erstmals konnte die Verwaltung des Landes in eine Region zurückkehren, welche bislang eine "No-Go-Area" für Zentralstaats-Vertreter bildete.

Der seit längerem ernannte Gouverneur für Kidal - er konnte bislang seinen Posten nicht antreten - übernahm am vergangenen Mittwoch dort erstmals die Amtsgeschäfte [1]. Nunmehr ist in Medien des Landes von der Perspektive einer "dauerhaften Rückkehr des Friedens" im Raum Kidal die Rede [2].

Die bewaffneten Gruppen im Norden Malis

Den Weg dafür geebnet hatte eine Vereinbarung zwischen bewaffneten Gruppen, die am 21. August ausgehandelt wurde [3]. Im Norden Malis stehen sich unterschiedliche Akteure gegenüber. Auch die französische Armee sowie, seit vergangenem Jahr, die Bundeswehr - letztere ist in Gao stationiert - stehen dort.

Weitere Akteure sind die Armee der malischen Zentralregierung, ehemals separatistische Rebellen auf der Tuareg-Basis, die in der "Koordination der Bewegung von Azawad" (CMA) zusammengeschlossen sind, sowie zum Zentralstaat stehende loyalistische bewaffnete Gruppen. Letztere setzen sich ebenfalls aus Tuareg zusammen, die minoritären Bevölkerungsgruppen innerhalb der Tuareg-Minderheit angehören und ihre Interessen von den Rebellen bedroht sehen.

Hinzu kommen aber auch dschihadistische Gruppen, die sich zunächst 2011 mit den Tuareg-Separatisten verbündet hatten und im April 2012 die Abspaltung von Nord-Mali unter dem Namen "Azawad" proklamierten, bevor ihr Bündnis im Juni 2012 zerfiel.

Den Friedensschluss, welcher erstmals auch den Raum Kidal einbezieht, machte eine Vereinbarung zwischen der CMA und den unter der Bezeichnung "die Plattform" firmierenden loyalistischen Gruppen. Sie machte den Weg für die Rückkehr der zentralstaatlichen Verwaltung nach Kidal frei.

Die Dschihadisten: "Wie ein Fisch im Wasser"

Ein Ziel dabei ist es, die Dschihadisten zu isolieren, die in der Region nach wie vor höchst aktiv sind. Am 14. August führten sie einen doppelten Angriff auf Einrichtungen der UN-Truppe für Mali - MINUSMA - durch. Dabei griffen sie erstmals auch das Hauptquartier der MINUSMA In Tombouctou (Timbuktu) direkt an. Bei dem Angriff [4] starben starben fünf malische Wachen, ein Zivilangestellter der Minusma sowie ein Gendarm aus Mali.

In Douentza im Zentrum des Landes kamen am selben Tag ein Blauhelm-Soldat aus Togo sowie ein malischer Militärangehöriger ums Leben. Weitaus spektakulärer noch war jedoch eine Attacke auf ein von westlichen Ausländern besuchtes Restaurant - das "Aziz Istanbul" - im Zentrum von Ouagadougou, der Hauptstadt des Nachbarlands Burkina Faso, am Abend des 13. August [5]. Auch hierbei kamen die Attentäter aus dem Norden Malis [6], welcher Ouagadougou näher liegt als der malischen Hauptstadt Bamako.

Ursprünglich war die französische Militärintervention in Nordmali, die im Januar 2013 unter dem Namen "Opération Serval" begann, als kurzfristige Angelegenheit angekündigt worden. Innerhalb weniger Wochen sollte sie die im Norden Malis sitzenden Dschihadisten, die damals drei Regionen unter ihrer Gewalt hatten - Tombouctou, Gao und Kidal - vertreiben und dem 2012 akut gewordenen Bürgerkriegskonflikt ein Ende setzen. Dieses Versprechen ist längst Vergangenheit.

Die Dschihadisten bewegen sich außerhalb der städtischen Zentren in Nordmali oftmals wie ein Fisch im Wasser, und ihre Selbstdarstellung als vorgebliche Widerständler gegen eine Rückkehr der alten Kolonialmacht dürfte ihnen eher Zulauf beschert, als ihnen geschadet haben. Ähnlich wie in Afghanistan ist ein Ende des Konflikts in scheinbar unendliche Ferne gerückt.

Grenzen zwischen bewaffneten Gruppen oft fließend

Wenigstens wird nunmehr versucht, den Dschihadisten dadurch Rückhalt zu entziehen, dass sie von vormaligen Verbündeten isoliert werden. Dies geschieht durch die vermehrte Einbindung von bewaffneten Akteuren, die bislang in wechselnden Allianzen mal mit den Dschihadisten einen Pakt schlossen, mal sich mit ihnen überwarfen und die Dschihadisten gemeinsam mit dem Zentralstaat und /oder der französischen Armee bekämpften wie die CMA.

In Wirklichkeit allerdings verliefen die Grenzen zwischen diesen bewaffneten Gruppen oft fließend, denn an der "Basis" wechseln die Waffenträger oft zwischen den einzelnen Gruppierungen - je nach Stand des Kampfes sowie je nach den ökonomischen Perspektiven, die die einzelnen Akteure ihren Mitstreitern zu bieten haben.

Einen Waffenstillstand mit den auf ethnischer Basis operierenden Gruppen in Nordmali gibt es vor allem um den Preis, dass über vergangene Verbrechen auch der CMA und anderer bewaffneter Gruppen Stillschweigen gebreitet wird; und dass ihre Mitglieder im Namen der begonnenen "Dezentralisierung" des malischen Staatswesens mit örtlichen Posten und den damit zusammenhängenden Geldern ausgestattet werden.

Internationalisierung des Konflikts

In Vororten von Bamako wie Sirakoro, einem südlich an die Hauptstadt angrenzenden ehemaligen Dorf, wird man durch Einwohner etwa auf jüngere Hotelbauten hingewiesen mit dem Verweis, hier hätten Leute aus dem Umfeld der CMA aus dem Norden frische Gelder investiert. Die Schaffung einer neuen lokalen Elite, die vor allem Selbstbedienung betreibt, soll dabei die jahrelange wirtschaftliche Vernachlässigung der Gesamtbevölkerung im Norden - und nicht nur dort! - kompensieren.

Hinzu kommt eine gewisse Internationalisierung des Konflikts: Am 14. August wurde auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über den instabilen Norden Malis debattiert. Dessen Regierung richtete dabei ein offizielles Hilfsersuchen an die Mitgliedsstaaten [7].

Angesprochen wurde zunächst auch Möglichkeit der Aufstellung einer neuen internationalen Truppe für Mali und insgesamt für die Sahelzone. Letztere ist insgesamt seit 2011 und dem Zerfall des libyschen Staates - eine Folge der französisch-britischen Intervention in Libyen, aber auch des Erbes, das das Gaddafi-Regime in 42 Jahren Machtausübung hinterließ, welches stets bestimmte Clans bevorzugt hatte - verstärkt von dschihadistischen Aktivitäten betroffen.

Vorläufig bleibt es infolge der Beschlüsse im UN-Sicherheitsrat bei einer Finanzierungshilfe für die regionale Truppe der "G5-Staaten" der Sahelzone (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad), über deren Aufstellung im Juni ebenfalls im UN-Sicherheitsrat debattiert wurde und die nun die Dschihadisten wirksamer bekämpfen soll [8].

Ihre Finanzierung, die Truppe soll voraussichtlich zunächst 423 Millionen Euro kosten, soll ab Dezember 2017 stehen. Die Vorlage für die G5-Eingreiftruppe hatte Frankreich am 09. Juni dieses Jahres in den UN-Sicherheitsrat eingebracht. Ob diese nun Abhilfe zu schaffen vermag oder ob sie von der örtlichen Bevölkerung eher als Hilfstruppe kolonialer Mächte wahrgenommen wird, bleibt unterdessen abzuwarten.

Hoffnung: Mobilisierung der Zivilgesellschaft für demokratische Ziele

Einen echten Anlass zur Hoffnung für Mali gibt hingegen die breite Mobilisierung der Zivilgesellschaft in den letzten Monaten für demokratische Ziele - und die Tatsache, dass sie sich durchzusetzen vermochte. Dies beweist, dass es nicht nur staatliche sowie bewaffnete Akteure in dem Land gibt, sondern eben auch eine Gesellschaft, die sich für ihre Interessen zu Wort zu melden vermag.

In Mali, wo die Bevölkerung im März 1991 ein seit Ende 1968 amtierendes Militärregime unter Moussa Traoré stürzte - um den Preis von rund 300 Toten [9] - und eine echte demokratische Tradition besteht, trifft dies stärker als in vielen anderen Ländern des französischsprachigen Afrika zu.

Korruption ebenfalls "demokratisiert"

Allerdings hat die 1991 eingeleitete Demokratisierung in den darauffolgenden Jahren zugleich dazu geführt, dass sich die zuvor auf ein relativ enges Machtzentrum begrenzte Korruption ebenfalls "demokratisierte" - also auf Akteure in größerer Zahl ausweitere. Denn das Wirken in der etablierten Politik oder im Staatsapparat wird von Vielen der Beteiligten als Einladung zur Selbstbedienung begriffen.

Weite Teile der Bevölkerung erwarten sich deswegen kaum noch etwas vom Staat oder der Politik, jedenfalls im etablierten Sinne. Umso wichtiger ist es, wenn sich die Zivilgesellschaft zu kollektiven Interessen zu Wort zu melden vermag. Dies ist nun der Fall.

Staatsoberhaupt Ibrahim Boubacar Keïta in Schwierigkeiten

Am Samstag, den 19. August wurde bekannt, dass Staatsoberhaupt Ibrahim Boubacar Keïta ("IBK") einen Rückzieher vollzieht [10] und seinen Versuch, eine seit Monaten umstrittene "Reform" der Verfassung durchzuziehen, bis auf Weiteres aufgibt [11].

Bei der "Reform" wäre es darum gegangen, den Verfassungstext zu ändern, offiziell, um ihn an das 2015 geschlossene Friedensabkommen mit den Rebellen im Norden anzupassen. In Wirklichkeit ging es dabei in der öffentlichen Auseinandersetzung jedoch vor allem um die Punkte, bei denen das Reformvorhaben darauf zielte, die Vollmachten des Präsidenten auszuweiten.

So sollte der neue Text es ihm erlauben, künftig den Vorsitzenden Richter am Verfassungsgericht zu benennen. Zu dessen Vollmachten zählt es, im Falle eines strittigen Wahlausgangs über die Gültigkeit oder Ungültigkeit von Stimmergebnissen zu entscheiden.

Ferner sollte künftig ein Senat, also ein neues "Oberhaus" des Parlaments nach französischem Vorbild, als zweite Kammer eingerichtet werden. Zwei Drittel seiner Mitglieder sollten gewählt, ein Drittel jedoch direkt vom Präsidenten ernannt werden [12].

Die Opposition wächst

Ursprünglich sollte das "Reform"projekt der Stimmbevölkerung am 09. Juli in einem Referendum zur Annahme - oder Ablehnung - vorgelegt werden. Bereits im Laufe des Juni wuchs jedoch die zivilgesellschaftliche Opposition [13] gegen diesen Versuch, die Befugnisse des Präsidenten auszudehnen, und am Wochenende des 17. und 18.06. kam es zu massiven Demonstrationen [14].

Die Abstimmung wurde daraufhin zunächst verschoben [15], ohne Nennung eines Datums. "IBK" wollte jedoch noch nicht klein beigeben. Im Juli und August wurde die Protestbewegung gegen die Pläne des Staatschefs jedoch immer breiter [16].

Während für das Wochenende des 19. und 20. August Massendemonstrationen angekündigt waren, entschied sich der Präsident nunmehr für einen Rückzieher [17].

In knapp einem Jahr wird "IBK" sich einer Wiederwahl stellen müssen. Er war im August 2013 für eine erste, fünfjährige Amtszeit gewählt worden [18].

Damals erschien er in vielen Augen noch als ein Hoffnungsträger und schien zu versprechen, das Land nach dem Bürgerkrieg und der Abspaltung der Nordhälfte im Jahr 2012 wieder zu einen. Zugleich schien er die Korruption begrenzen zu wollen, welche allerdings in den folgenden Jahren vor allem rund um seinen Sohn Karim Keïta [19] zu neuen Höhenflügen antrat, zur zunehmenden Verärgerung der Öffentlichkeit [20]. In Anbetracht des extremen Verfalls seiner Popularität wird er sich um seine Wiederwahl ernsthafte Sorgen machen müssen.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2017/08/23/97001-20170823FILWWW00263-mali-nouvelle-treve-entre-groupes-armes.php
[2] http://malijet.com/la_societe_malienne_aujourdhui/192996-retour-definitif-de-la-paix-a-kidal-la-necessaire-implication-de.html
[3] http://malijet.com/actualte_dans_les_regions_du_mali/rebellion_au_nord_du_mali/192985-anefis-une-rencontre-entre-la-cma-et-la-plateforme-afin-de-parve.html
[4] http://actu.orange.fr/monde/mali-neuf-morts-dont-un-casque-bleu-lors-de-deux-attaques-contre-l-onu-CNT000000M8KlJ/photos/les-operations-de-maintien-de-la-paix-en-afrique-6cfc50ae92558e07696494937e4c7ef3.html
[5] http://www.lemonde.fr/afrique/article/2017/08/14/attentat-a-ouagadougou-c-etait-un-carnage_5172354_3212.html
[6] http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2017/08/16/97001-20170816FILWWW00144-burkina-faso-le-commando-venu-du-mali.php
[7] http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2017/08/15/97001-20170815FILWWW00170-le-mali-reclame-l-aide-des-pays-de-l-onu.php
[8] http://www.lemonde.fr/afrique/article/2017/07/02/a-bamako-macron-promet-une-aide-financiere-et-logistique-aux-pays-du-g5-sahel_5154489_3212.html
[9] https://www.matierevolution.fr/spip.php?article916
[10] http://malijet.com/actualite-politique-au-mali/192984-ibk-tranche-«j’ai-décidé%2C-en-toute-responsabilité%2C-de-surseoir-à.html
[11] http://www.rfi.fr/afrique/20170819-referendum-constitutionnel-mali-ibk-jette-eponge-nouvel-ordre
[12] http://www.lemonde.fr/afrique/article/2017/06/16/au-mali-les-enjeux-d-une-revision-constitutionnelle-qui-suscite-l-opposition_5145775_3212.html
[13] http://afrique.latribune.fr/politique/2017-06-18/manifestation-anti-reforme-constitutionnelle-au-mali-le-carton-rouge-a-ibk-740557.html
[14] http://www.rfi.fr/afrique/20170621-projet-revision-constitution-mali-contestation-ibk
[15] http://www.jeuneafrique.com/450165/politique/mali-report-referendum-revision-de-constitution
[16] http://www.rfi.fr/afrique/20170715-mali-projet-constitution-manifestation-ceccaldi-parena-slogans
[17] http://malijet.com/la_societe_malienne_aujourdhui/192993-sage-recul-du-pr%C3%A9sident-de-la-r%C3%A9publique-apr%C3%A8s-consultations-un-.html
[18] https://www.heise.de/tp/features/Kein-Blankoscheck-fuer-den-neuen-Praesidenten-von-Mali-3400155.html
[19] http://bamada.net/corruption-karim-keita-depense-un-1-milliard-pour-acheter-17-hectares
[20] http://mondafrique.com/mali-corruption-exaspere-lopinion-malienne/