"Manifest für Frieden": Demonstration findet trotz Kritik statt
Aufruf von Schwarzer und Wagenknecht stößt auf Ablehnung in Parteien und Medien. Einspruch vor allem von Grünen und AfD. Demo in Berlin soll wie geplant stattfinden.
Ein gemeinsamer Aufruf der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer hat auf medialer und politischer Ebene heftige Reaktionen provoziert. Während binnen vier Tagen fast 400.000 Menschen den Aufruf auf der Kampagnenplattform change.org unterzeichnet haben, ernten die Initiatorinnen von etablierten Parteien, Medien und von anderer Seite zum Teil harsche Kritik.
Wagenknecht und Schwarzer hatten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen". Scholz solle stattdessen in Deutschland und Europa für eine wirkungsvolle Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine sowie Russland werben.
In ihrem Text kritisieren die beiden auch Präsident Wolodymyr Selenskyjs Forderungen nach weiteren Waffenlieferungen. "Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt", heißt es in dem Manifest. Russland hatte die Halbinsel Krim 2014 an das eigene Staatsgebiet angeschlossen. Wagenknecht und Schwarzer weisen auch jüngste Äußerungen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg zurück, der zufolge Deutschland sich im Krieg mit Russland befinde. Das Auswärtige Amt hatte die Aussage später teilweise revidiert.
Der Politologe Herfried Münkler wies den Appell als "gewissenlos" zurück. Schwarzer und Wagenknecht betrieben "mit kenntnislosem Dahergerede Putins Geschäft", so der emeritierte Professor der Berliner Humboldt-Universität gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. In der Beschreibung des Kriegsgeschehens sei der Text "beschönigend und verlogen". Mit dem Aufruf schadeten Wagenknecht und Schwarzer der Idee des Pazifismus und der Friedensbewegung, meinte Münkler.
Der Medienkünstler Guido Kühn veröffentlichte eine Karikatur von Wagenknecht und Schwarzer, in der er den Initiatorinnen eine provokative Aussage in den Mund legte: "Hey Schlampe! Es geht für alle schneller vorbei, wenn du ihm gibst, was er will."
Mit "ihm" spielt Kühn offenbar auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin an. Auf seiner Website erklärt Kühn, Wagenknecht und Schwarzer verlangten von den Opfern des Krieges, sich mit den Tätern zu arrangieren, weil die Folgen des Krieges auch hierzulande zu spüren seien.
Der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk postete die Karikatur Kühns mit dem Kommentar "Schande. Schande. Schande".
Kritik unter anderem von Grünen und AfD
Bundesaußenministerin Baerbock hatte den Wahlkampfabschluss ihrer Partei in Berlin genutzt, um die Positionen des Aufrufs rundweg abzulehnen.
Zu der Forderung, von immer neuen Waffenlieferungen abzusehen, sagte Baerbock: "Und all diejenigen, die sagen, Waffen müssen nur schweigen, weil dann haben wir Frieden, möchte ich sagen: Was ist das für ein Frieden, wenn man unter russischer Besatzung leben muss, jeden Tag die Sorge hat, dass man kaltblütig ermordet, vergewaltigt oder als Kind sogar verschleppt wird?"
Die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne), kritisierte Wagenknecht und Schwarzer ebenso scharf wegen deren Positionierung gegen die Lieferung weiterer und schwererer Waffen an die Ukraine. Der Funke-Mediengruppe sagte sie: "Ein Appell für Friedensverhandlungen mit einem sofortigen Ende aller militärischer Unterstützung für die Ukraine ist nicht nur naiv, sondern auch unehrlich."
Kritik kam auch von der AfD. Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke – Vertreter des ultrarechten Flügels der AfD – äußerte sich auf Twitter kritisch zum Satz: "Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität." Höcke warf den Autorinnen mit Bezug auf diese Aussage "Politphrasologie" vor.
Der Soziologe Oliver Nachtwey sah in der Liste der Unterzeichner ein "interessantes und weiteres Beispiel für die Neuordnung (…) des intellektuell-politischen Feldes". So positionierten sich öffentliche Intellektuelle neu, und "treten als Renegaten gegenüber dem auf, was sie neu als den ‚linksliberalen Mainstream‘ sehen".
Dieses neue Lager sei anti-linksliberal und gegen die Woke-Kultur eingestellt. Hinzu komme eine Angst vor "kultureller Überfremdung" und der "Diplomatie-Pazifismus bezüglich des Ukraine-Kriegs".
Nachtwey äußert sich auch zu dem Umstand, dass der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla das "Manifest für Frieden" auf change.org unterzeichnet hat:
Man könnte sagen: Dafür können Wagenknecht/Schwarzer nichts, andererseits schon: denn sie haben ein Manifest verfasst, was eben anschlussfähig an die Rechte ist. Sie nehmen eine reale Querfront in Kauf.
Ungeachtet der Kritik halten die Initiatorinnen an einer Demonstration am Nachmittag des 25. Februars in Berlin fest. Zu der Aktion ruft auch der Brigadegeneral a.D. Erich Vad auf. Unter dem Motto "Für Verhandlungen statt Panzer" soll dann für die Ziele des "Manifests" geworben werden.
Auf mehreren anderen Demonstrationen gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine sind nach Angaben der Polizei Berlin zum Jahrestag mehrere tausend Teilnehmer angemeldet worden.