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Medien: Lästige Korrekturen bei Falschaussagen?

Screenshot BR vom 4. April 2019

Journalistisches Sträuben gegen Richtigkeit, Teil 2

Journalismus handelt von und mit Fakten. Da ist es erstaunlich, wie ignorant viele Medien auf Fehlerhinweise reagieren, und wie überzeugt sie zu verbreiteten Falschbehauptungen stehen, wenn sie doch reagieren.

Im ersten Teil [1] ging es um Fehler in einem Filmbeitrag des ZDF und die Reaktion des Senders auf Kritik. Der folgende Beitrag handelt exemplarisch von drei weiteren Fällen.

Der Bayerische Rundfunk und der Wunder-Regenwurm im Bildungskanal

Screenshot BR vom 4. April 2019

In einer Würdigung des Regenwurms behauptete der Bayerische Rundfunk (BR) in einer Bilderstrecke zum "König der Erde" [2] auf der Website des ARD-Bildungssenders Alpha:

Wird ein Regenwurm zerteilt, könnten theoretisch beide Einzelteile überleben - wenn sie nicht vorher gefressen werden. Möglich ist das, weil der Körper des Regenwurms aus bis zu 160 einzelnen, ringförmigen Segmenten besteht. Jeder dieser Ringe besitzt eigentlich alles, was der Regenwurm zum Überleben braucht.

BR/ARD-Alpha im Jahr 2019

In einem Hinweis an den Sender schrieb der Autor dazu: "Wenn nun in einem solchen Themen-Special nicht nur der alte Kinderglaube kolportiert wird, aus einem Regenwurm könne man durch Halbieren einfach zwei machen, sondern auch noch die aberwitzige Begründung geliefert werden, in jedem 'Ring' sei alles, was ein Regenwurm braucht, dann hat da offenbar jemand Wissensseiten zusammengeschustert, der nicht nur vom Regenwurm im Besonderen nichts versteht, sondern auch seinen schulischen Biologieunterricht recht unbeeindruckt überstanden haben muss."

Doch der Sender ignorierte zwei E-Mails und ein Einschreiben. Erst eine formale Programmbeschwerde beim BR-Rundfunkrat führte zur bis heute nachlesbaren Änderung der Formulierung:

Verlorene Teile kann ein Regenwurm regenerieren. Wie gut das klappt, hängt von der Wurmart, dem Grad der Verletzung und der betroffenen Stelle ab.

BR/ ARD-Alpha, geänderte Formulierung in der Bilderstrecke "König der Erde" [3]

Der damalige Rundfunkratsvorsitzende Lorenz Wolf1 [4], Prälat und Vertreter der Katholischen Kirche, schrieb dazu realsatirisch:

Die Überprüfung des Textes und Abwandlung erfolgte aufgrund Ihres Hinweises und gibt den komplexen Sachverhalt der Regenerationsfähigkeit des Regenwurms nun sehr viel treffender wieder. Die Programmverantwortlichen danken Ihnen deshalb für Ihren Hinweis.

Dr. Lorenz Wolf, Vorsitzender des BR Rundfunkrats von 2014-2022

Die alte Behauptung war also nicht etwa grundfalsch, sondern nur weniger treffend als die neue. Folgerichtig gab es auch keine Entschuldigung und keinen transparenten Hinweis auf die Korrektur, wie dies etwa der – hier nicht einschlägige – Pressekodex verlangt [5].

Die vorangegangene Ignoranz des Senders begründete Wolf mit "einer Verkettung unglücklicher Umstände". Die entscheidende Frage, wie überhaupt ein solches Fantasieprodukt in einen Bildungskanal kommen konnte, blieb unbeantwortet.

Der Spiegel und seine Twitter-Lesekompetenz

Screenshot vom 05.08.2020

Das vier Jahre nach der Relotius-Affäre [6] gerade wieder mit Vorwürfen unrichtiger Reportagen [7] konfrontierte Nachrichtenmagazin Der Spiegel hielt über zwei Wochen an der Falschbehauptung fest, bei der Auflösung einer Protestveranstaltung gegen die Corona-Politik am 1. August 2020 in Berlin seien "mehrere Polizeibeamte verletzt worden. Drei Polizisten mussten im Krankenhaus behandelt werden".

Ursprünglich hatte der Spiegel von genau 18 Verletzten geschrieben. Der Fehler war aus vielen Gründen offensichtlich (ausführlich dargestellt bei Spiegelkritik in "Zerrspiegel einer Demonstration [8]"), doch der Spiegel hielt trotz Hinweisen daran fest. Auf eine entsprechende Anfrage teilte Guido Schmitz, Projektleiter Kommunikation und Marketing, nach drei Tagen Bearbeitungszeit mit:

Wir möchten Ihnen versichern, dass die SPIEGEL-Redaktion auch in diesem Fall sorgfältig recherchiert hat. An unserer Berichterstattung halten wir fest; sie fußt auf mehreren, offiziellen Quellen.

Guido Schmitz, Spiegel

Die Quellen nannte er auf Nachfrage nicht. Erst eine Eingabe an die nach dem Fälschungsskandal Claas Relotius eingerichtete Ombudsstelle [9] führte zu einer Korrektur im Beitrag, der Fehler wird aber in der nachgestellten "Anmerkung der Redaktion" bis heute nicht eingestanden, eine Entschuldigung gibt es nicht.

Die URL enthält weiterhin die falsche, wohl suchmaschinenfreundliche Aussage: protest-gegen-corona-auflagen-18-polizisten-bei-aufloesung-von-berliner-kundgebung-verletzt [10].

Zahlreiche weitere Beispiele aus diesem Themenfeld finden sich im zweiten von acht Teilen [11] der Telepolis-Serie über den "Corona-Journalismus [12]".

Der deutsche Journalismus und seine Polizeihörigkeit

Querbeet durch die Medienlandschaft blamierten sich Journalisten zu Pfingsten 2018 [13]. Ausgehend von einer Pressemitteilung der Polizeiinspektion Lüneburg [14] meldeten Zeitungen, Radio und Fernsehen, im niedersächsischen Hitzacker (Landkreis Lüchow-Dannenberg) habe eine Horde Linksautonomer das Wohnhaus eines Polizisten angegriffen.

Screenshot eines Twitter-Posts der Welt, 21.05.2018

Die Berichterstattung zog sich über mehrere Tage hin, vor allem Politiker, Polizeigewerkschafter und natürlich Journalisten echauffierten sich und übernahmen das Narrativ von der "neuen Qualität der Gewalt gegenüber der Polizei", das die Polizei in ihrer ersten Mitteilung in die Welt gesetzt hatte.

An der Geschichte war nichts dran. Auch hier war vom ersten Moment an klar, dass es zumindest nicht so gewesen sein konnte, wie die Behörde es darstellte. Dass die Polizei in diesem Fall ganz explizit Partei der Auseinandersetzung war und nicht neutrale Beobachterin, stand ebenfalls von Anfang an fest.

"Juristisch blieb gar nichts"

Korrigiert wurde die falsche Berichterstattung nur in einigen Medien, insbesondere bei Print und Rundfunk versandete das Thema einfach, online wurden einige Artikel im Nachhinein bearbeitet, meist ohne transparenten Hinweis.

Dass am Ende alle rund 60 Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden [15], juristisch also gar nichts blieb, wurde unter keinem Artikel ergänzt.

Exemplarisch hatte der Autor damals gegen zwei Beiträge der Welt Beschwerde beim Presserat eingereicht, beide wurden als begründet beschieden. Im einen Fall hatte die Zeitung online geschrieben, Grundstück und Wohnhaus eines Polizisten seien "gestürmt" worden [16].

Der Chefredakteur von Welt Digital rechtfertigte sich gegenüber dem Presserat, man habe, wie viele andere Medien, den unnachrichtlichen Begriff "heimgesucht" bei der Redigatur als "gestürmt" interpretiert. Heimsuchen bedeute, etwas zu betreten, wie man wisse.

Im Übrigen fragte er laut Presserat: "Wem soll man in der aktuellen Berichterstattung als Quelle glauben, wenn nicht der Polizei?" Antwort: Der eigenen Recherche [17].

Im anderen Fall hatte die Zeitung online zur Illustration ein Foto verwendet, das nicht im Mindesten etwas mit der realen Situation zu tun hatte und das noch nicht einmal als Symbolbild gekennzeichnet war.

Desinteressiert an der Wahrheit

Der Presserat folgte der Kritik und sprach eine Missbilligung wegen Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht aus. Ähnliche "Symbolbilder" [18] sind aber weiterhin bei der alten, mindestens verzerrten Berichterstattung zum "Fall Hitzacker" in vielen Medien zu finden, etwa bei Focus [19].

Während die drei vorangegangenen Fälle jeweils das Sträuben gegen die Richtigkeit einer einzelnen Redaktion zeigen, hat sich im letzten Fall die gesamte Branche als desinteressiert an der Wahrheit gezeigt.

Als dann irgendwann unübersehbar war, dass der Medientross selbst erst ein Ereignis inszeniert hatte, verzichteten die meisten auf Korrekturen und Selbstkritik, bei ihren Kunden blieb daher die Botschaft von der Gewalt gegen eine unbescholtene Familie.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7362608

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/ZDF-Journalistisches-Straeuben-gegen-Richtigkeit-7360079.html
[2] https://www.br.de/themen/wissen/regenwurm-regenwuermer-erde-wald-tiere-138.html
[3] https://www.br.de/themen/wissen/regenwurm-regenwuermer-erde-wald-tiere-138.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Medien-Laestige-Korrekturen-bei-Falschaussagen-7362608.html?view=fussnoten#f_1
[5] https://www.presserat.de/pressekodex.html?file=files/presserat/dokumente/pressekodex/Presse-kodex_Leitsaetze_RL12.1.pdf
[6] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-abschlussbericht-der-aufklaerungskommission-a-1269110.html
[7] https://www.n-tv.de/panorama/Spiegel-entfernt-Texte-zu-Tod-eines-Fluechtlingskindes-article23740152.html
[8] https://www.spiegelkritik.de/2020/08/05/corona-journalismus-zerrspiegel-einer-demo/
[9] https://www.spiegel.de/backstage/spiegel-schafft-ombudsstelle-a-fc89cd5f-687e-45a8-b9fd-70d49f550cbd
[10] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/protest-gegen-corona-auflagen-18-polizisten-bei-aufloesung-von-berliner-kundgebung-verletzt-a-9d675086-f337-4af2-b20d-a170a8d741d5
[11] https://www.heise.de/tp/features/Wenn-schon-die-Fakten-nicht-stimmen-4931119.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Was-man-am-Corona-Journalismus-kritisieren-kann-6266779.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Journalismus-im-Pfingsturlaub-4059376.html
[14] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/59488/3947776
[15] https://www.spiegelkritik.de/2019/06/14/ein-jahr-nach-hitzacker-das-schweigen-ueber-ein-journalistisches-versagen/
[16] https://web.archive.org/web/20180520221028/https://www.welt.de/vermischtes/article176525896/Niedersachsen-60-Vermummte-stuermen-Privatgrundstueck-eines-Polizisten.html
[17] https://www.spiegelkritik.de/2019/06/14/recherche-bei-polizeimeldungen/
[18] https://bildblog.de/98573/hitzacker-polizei-nachplapperei-und-steineschmeisser-aus-dem-archiv/
[19] https://www.focus.de/politik/deutschland/aufmarsch-von-autonomen-in-hitzacker-drohende-vermummte-so-erlebte-der-polizist-den-linken-hass-vor-seinem-haus_id_8959539.html