Mega-Windrad und Windgipfel: Kann Deutschland doch Energiewende?
Firmen wie Siemens Gamesa sind mit Erneuerbaren auf Erfolgskurs. Andere schließen Standorte oder vergraulen Fachkräfte. Was Gewerkschaften und die "grüne" Kapitalfraktion sagen.
Auf den ersten Blick bewegt sich gerade viel: Die Firma Siemens hat ein Mega-Windrad konstruiert, das momentan den Weltrekord an Effizienz halten soll – und beim zweiten "Windgipfel" sprachen am Dienstag im Bundeswirtschaftsministerium Politik, Windkraft-Industrie und Gewerkschaften über Strategien zum schnelleren Ausbau der Windkraft in Deutschland. Etwa darüber, wie Genehmigungen beschleunigt oder Finanzierungsbedingungen verbessert werden können.
Die Gewerkschaft IG-Metall nahm das zum Anlass für eine Streikdemo von rund 250 Beschäftigten des Windradbauers Vestas. Motto: "Für gute Arbeit, gegen Schließungen" – es war ihr 85. Streiktag. Vestas brauche Fachkräfte, verweigere aber Tarifverträge, so der Vorwurf. Auch Beschäftigte von Eickhoff Wind Power, denen eine Werksschließung droht, nahmen an dem Protest teil.
Der Windkraft-Ausbau hänge vor allem an der Zahl der Beschäftigten ab, gab die Gewerkschaft zu bedenken:
Produktionsstandorte werden dichtgemacht, wodurch Deutschland zunehmend von Windrädern aus China abhängig ist. 50.000 Jobs gingen verloren. Jetzt fehlen massiv Fachkräfte, die neue Windräder aufbauen, in Betrieb nehmen und warten.
IG Metall
Schon vor knapp vier Jahren hatte der Nachhaltigkeitschef der Großbank HSBC, Daniel Klier, davor gewarnt, dass deutsche Unternehmen es verschlafen könnten, zu den Gewinnern der Energie- und Antriebswende zu gehören. Er verwies dabei auf den chinesischen Ehrgeiz in diesem Bereich:
Wir haben jetzt die Chance, nachhaltige Industrien für die Zukunft zu bauen. China macht das sehr aggressiv. Es hat einen klaren Plan, diese Industrien zu dominieren. (…)
Ich möchte lieber in einer Region leben, die die neuen Industrien baut, als in einer Region, die in zehn Jahren sagt: Mist, das haben wir schon wieder verpasst.
Daniel Klier im Juli 2019 im Gespräch mit der Wirtschaftswoche
Im selben Jahr kam der Windkraft-Ausbau in Deutschland fast zum Erliegen. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist als Bremser in die Geschichte eingegangen: Tausend Meter Mindestabstand sollten ihm zufolge Windkrafträder zur nächsten Wohnsiedlung haben. Dagegen gab es breite Proteste von Oppositionsparteien und Umweltverbänden – schließlich konnte sich der Plan nicht durchsetzen. Schließlich gab es solche Regeln für Kohlekraftwerke auch nie.
Bis zum ersten "Windgipfel" dauerte es auch unter Habeck
Mit dem "Wind-an-Land-Gesetz", in "Langform Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land" legte die Ampel-Bundesregierung 2022 fest, dass bis Ende des Jahres 2027 1,4 Prozent und bis Ende 2032 zwei Prozent der Bundesfläche für Windkraftanlagen ausgewiesen sein sollen. Im Wege eines Staatsvertrages können die Bundesländer ihre Flächenziele "bis zu einem gewissen Umfang untereinander übertragen".
Die praktische Umsetzung will die Bundesregierung unter anderem mit Änderungen im Raumordnungsgesetz beschleunigen. All das klingt immer noch nach viel Bürokratie und wirft Fragen auf.
Allerdings dauerte es auch unter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mehr als ein Jahr bis zum ersten "Windgipfel", der im März dieses Jahres mit Abgesandten der Bundesländer, der Ressorts der Bundesregierung, kommunalen Spitzenverbänden und Gewerkschaften stattfand.
Als er am Dienstag fortgesetzt wurde und die IG Metall ihre Forderungen auf der Streikdemo an die Öffentlichkeit trug, unterstrich Elmar Schneid, Betriebsrat und Mitglied der Tarifkommission bei Vestas, wie wichtig attraktive Arbeitsbedingungen im Bereich der Energiewende seien.
Daran hakt es zwar in der Privatwirtschaft, doch die Politik kann darauf Einfluss nehmen: "Der Staat kann unter anderem mit weiterentwickelten Ausschreibungsbedingungen für Windprojekte auch dazu einen wichtigen Beitrag leisten", hatte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung Ende März erklärt. Das ergab eine von ihr geförderte Untersuchung.
Schneid nannte am Dienstag auch positive Beispiele: Einige andere Unternehmen hätten dies durchaus schon erkannt und setzten alles daran, ihre Fachkräfte zu halten und auch neue Kräfte anzuwerben. "Gute Beispiele sind Tarifverträge bei Siemens-Gamesa, Omexon und OWS Offshore Wind Service."
Zufriedenere Angestellte, bessere Leistung?
Das Mega-Windrad von Siemens Gamesa hält seit Anfang des Jahres den Weltrekord der leistungsstärksten Windkraftanlage. An einem einzigen Tag erzeugte es ausreichend Strom, um einen Vier-Personen-Haushalt 100 Jahre lang zu versorgen. 359 Megawattstunden Strom produzierte der Prototyp Windkraftanlage SG14-222 DD in nur 24 Stunden, wie es in Fachpresseberichten heißt.
Es handelt sich nach Firmenangaben um das größte Windrad der Welt: Der Durchmesser des Rotors beträgt 222 Meter, die einzelnen Rotorblätter haben eine Länge von 108 Metern, sind recyclebar und wurden in einem Guss hergestellt. Das Maschinenhaus auf dem 160 Meter hohen Turm wiegt 500 Tonnen. Getestet wird der Prototyp aktuell an Land, obwohl die Anlage für den Offshore-Betrieb entwickelt wurde. Auf dem Meer könnte die Anlage aufgrund des stärkeren Winds sogar noch effizienter sein.
Nach Angaben Siemens Gamesa arbeitet das Unternehmen an einem noch größeren Modell mit dem Namen SG 14-236 DD zu arbeiten, das fünf Prozent mehr Leistung bringen soll.
Demnach gibt es durchaus deutsche Unternehmen, in der Energiewende große Gewinnchancen sehen. Zwischen Klimaschutz und "Deindustrialisierung" besteht demnach kein zwingender Zusammenhang.
Habeck sprach nach dem gestrigen Windgipfel und der Vorstellung einer neuen "Wind-an-Land-Strategie" von einer sehr intensiven Debatte. "Wir halten es für möglich, dieses Jahr den Zubau zu verdoppeln auf vier Gigawatt", gab er bekannt. Allerdings waren nach Angaben des Ministeriums von 2022 ursprünglich zehn Gigawatt pro Jahr bis 2030 anvisiert, um die Klimaziele zu erreichen. Es geht also in diesem Jahr nicht einmal halb so schnell wie nötig.