Mehr Information bedeutet nicht bessere Information

Eli Noam und Joseph Weizenbaum über UMTS

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Ein Gespräch über die Auswirkungen der Vernetzung auf Staat und Wirtschaft, über UMTS und die Deutsche Telekom mit Professor Eli Noam vom Columbia University Institute for Tele-Information, und Professor em. Joseph Weizenbaum von der Denkfabrik MIT.

Viele Internet-Experten sind der Meinung, das Internet fördere die weltweite Demokratisierung und vor allem die Demokratisierung in nach westlicher Ansicht undemokratisch regierten Staaten wie China, Kuba oder Saudi Arabien. Wie stehen Sie dazu?

Eli Noam: Ich glaube, das Internet fördert die Demokratie in autoritären Staaten, da die Bürger sich einfacher untereinander verständigen können und weil der Staat den Informationsfluss schwerer kontrollieren kann. Natürlich ist der Zugang momentan noch auf einige wenige Institutionen und vertrauenswürdige Personen beschränkt, aber das wird sich ändern, sobald diese Länder stärker in die Weltwirtschaft eingebunden werden und das Volkseinkommen steigt. Dann kaufen die Menschen Fernseher, PCs und werden Teil der Informationsgesellschaft. Eine technische Kontrolle per Identifizierung elektronischer Pakete auszuüben ist nicht schwierig. So kann z.B. Kuba alle Informationspakete blocken, die aus den USA oder von bestimmten Absendern kommen. Das ist zwar kein 100prozentiger Filter, aber ein partieller Filter reicht ja meistens aus.

Joseph Weizenbaum: Es existiert die Illusion, dass das Internet Demokratie fördert, weil jeder alles publizieren kann, auch subversive Meinungen gegen autoritäre Regierungen. Das ist vielleicht technisch möglich, aber es gibt andere Kontrollmechanismen. Auch im 2. Weltkrieg konnten die Menschen Feindsender im Radio hören, ohne dass die Nazis technisch viel dagegen tun konnten. Aber sie infiltrierten die Bevölkerung, so dass die Nachbarn einen verrieten. Solche Methoden werden die heutigen Diktaturen auch anwenden.

Glauben Sie, dass sich die Transparenz und Qualität von Politik durch das Internet verbessern kann, zum Beispiel durch E-Voting?

Eli Noam: Mehr Information bedeutet nicht bessere, sondern oft nur flachere Information. Ich glaube, das Internet reduziert die Qualität des politischen Dialogs, obwohl es seine Quantität erhöht. Schon alleine, weil Politik von Menschen gemacht wird, deren Aufnahmekapazität begrenzt ist. Ihnen immer mehr Informationen zu schicken, bedeutet nicht, sie besser zu informieren, sondern nur, dass sie Filter einbauen oder die Information an Untergebene umleiten. Natürlich erhöht sich die Transparenz in einer formalen Weise, weil bestimmte Dokumente im Internet für alle leichter zugänglich sind. Aber das ist nur der oberflächliche Teil einer Demokratie oder Bürgerbeteiligung.

In einem tieferen Sinn erzeugt die größere Bequemlichkeit der Kommunikation eine höhere Benutzerzahl, so dass viele Menschen aus fast allen gesellschaftlichen Gruppen intensiver kommunizieren, dadurch aber jeder Einzelne weniger Aufmerksamkeit erhält, es sei denn, er erhöht die Auffälligkeit seiner Nachricht, indem er Soundfiles oder Videos benutzt oder sie sonst irgendwie schrill gestaltet. Normalerweise wird die Qualität des Dialogs so aber reduziert. Die besten Debatten in einer Demokratie waren immer die, die nicht schnell geführt wurden, sondern sich langsam entwickelten. Mit dem Internet kann man wundervolle Sachen machen. Ich bin trotz meiner kritischen Aussagen ein Internet-Enthusiast. Aber man muß verstehen, das manche Dinge sich gut für eine Sache eignen und für eine andere nicht.

Joseph Weizenbaum: Da brauchten wir doch nur während der letzten US-Wahlen nach Florida zu schauen. Dort konnten viele Wähler per Internet abstimmen. So sollte die Auszählung erleichtert werden, doch das Gegenteil wurde erreicht. In Zeiten der Technologiegläubigkeit bestanden am Ende alle darauf, die Stimmen per Hand auszuzählen. Mit dem Computer ist es meiner Meinung nach sogar leichter, Betrug zu begehen. Schon während des Vietnamkrieges hat Präsident Nixon mit Hilfe von gefälschten Computerdaten zunächst verschleiert, dass die US-Luftwaffe das neutrale Kambodscha bombardierte. Als ein Verdacht aufkam, glaubten zunächst alle den Computerdaten und hielten die Anschuldigungen für reine Lüge. Daran sehen Sie, wie groß die Technikgläubigkeit vieler Menschen ist. An erhöhte Transparenz glaubte ich nur in einer guten Welt.

Wie können nationale Regierung der Erosion ihrer Macht vorbeugen?

Joseph Weizenbaum: Im Bereich der Wirtschaft können die Regierungen einer Erosion ihrer Macht nicht verhindern. Dadurch, dass die Kommunikation und der Transfer von Kapital durch das Internet so leicht geworden sind, ist es für ein Unternehmen heute viel leichter, seine Betriebe zu verlagern, wenn ihm die Bedingungen in einem Land nicht mehr passen, also zum Beispiel die Umweltgesetzgebung.

Kann das Internet zu einer Überwindung des Zentrum-Peripherie-Gegensatzes beitragen?

Eli Noam: Nein, das Internet rekonfiguriert ihn nur. Es durchdringt die Eliten weltweit, was zunächst positiv ist. Aber so besteht der Konflikt nun nicht mehr nur zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, sondern auch in jedem Land zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Heute wird die Peripherie von denen gebildet, die von der Informationsgesellschaft ausgeschlossen sind und das Zentrum von der Informationselite.

Nun zu etwas technischeren Dingen. Welche Zukunft hat UMTS?

Eli Noam: UMTS hat alleine deswegen eine Zukunft, weil es so hochstilisiert wurde, dass es gar nicht scheitern darf. Trotzdem ist es unrealistisch anzunehmen, dass man zum Beispiel wirtschaftlich Videodienste per UMTS verkaufen kann. Man könnte natürlich über Breitband ein Fußballspiel an mehrere Millionen Menschen gleichzeitig liefern. Aber dann muss man sich fragen, warum, denn das Fernsehen macht das schon. Bleibt also die mobile Klientel mit ihren digitalen Kleinfernsehern. Ich habe auch so ein mobiles TV-Set, wie viele andere. Aber die meisten Menschen benutzen sie nicht, denn wann befindet man sich schon mal in einer Situation, die eine bequeme Nutzung zulässt, außer vielleicht bei einer langen Zugfahrt.

Weiterhin denke ich, dass UMTS der Ruin für die gesamte Telekommunikationsindustrie ist, weil durch die Auktionen sehr viel Geld aus dem Telekommunikationssektor abgezogen und in die Haushalte der Regierungen eingebracht wird. So wird nicht in Telekommunikationsinfrastruktur investiert, im Gegenteil, das Geld wird ihr entzogen. Das ist total falsch. Besser wäre es, einen unlizenzierten Zugang zu schaffen, bei dem für die aktuelle Benutzung gezahlt wird.

Was halten Sie von der Konvergenz von Mobilfunk und Internet, Stichwort WAP?

Eli Noam: WAP läuft nicht gut, aber I-Mode, das japanische Pendant, funktioniert hervorragend. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Der normale Internetzugang in Japan ist viel teurer als in Europa, die Abrechung bei I-Mode erfolgt über Datenmengen, die man bezieht, und nicht über Online-Zeit, so dass man sich nicht ruiniert. So wird eine Dauerkommunikation möglich. Das zeigt, dass ein Markt für diese Dinge vorhanden ist. Ich denke, M-Commerce wird Erfolg haben, aber nicht in dem Maße wie erhofft. Das Handy wird ein Zahlungsterminal werden, im weitesten Sinne ein elektronisches Portemonnaie, aber niemand wird Autos, Bücher oder Kleidung darüber kaufen.

Wie beurteilen Sie die Aussage, dass in einigen Jahren nur noch wenige Global Player den internationalen Telekommunikationsmarkt beherrschen werden?

Eli Noam: In den USA kommt es schon jetzt zu einer Rekonzentration auf dem Telekommunikationssektor. Ich erwarte, dass sich die Bush-Regierung noch weniger um Kartellfragen kümmern wird, als die Clinton-Regierung. Global gesehen glaubte ich bis vor kurzem noch, dass es in einigen Jahren nur noch fünf oder sechs große Unternehmen geben würde. Aber dadurch, dass die großen Firmen soviel Geld auf ihren heimischen Märkten für UMTS, Internet oder mobile Dienste ausgeben mussten, haben sie kaum noch Ressourcen, um in andere Märkte zu investieren, schon gar nicht in Länder wie Usbekistan oder Nigeria. Ich denke, die US-amerikanischen und die europäischen Unternehmen werden sich jetzt auf regionale Strategien beschränken.

Internationales Engagement muss auch Sinn machen. Ein Negativbeispiel: Die Deutsche Telekom will Voicestream kaufen. Aber was soll das? Ich glaube nicht, dass das eine rational ökonomische Entscheidung war. Ich hatte meine Zweifel und habe diesen Vorgang deswegen als Fragestellung an meine Studenten der Medienwirtschaft gegeben. Sie sollten die Ausgabe von rund 50 Milliarden Dollar rechtfertigen. Sie haben es nicht geschafft. Vielleicht fehlt ihnen die Vision, aber für mich macht es keinen Sinn einigen wenigen Telekom-Kunden zu ermöglichen, aus den USA billiger nach Deutschland anzurufen.