Mehr Kriegsdienstverweigerer, weniger Bewerbungen: Die Bundeswehr hat ein Problem
Junge Menschen scheinen sich weniger fürs Militär zu begeistern als manche Grünen-Politiker und alternde Rockstars, die selbst nicht "gedient" haben.
Eine neue Begeisterung für den Kriegsdienst in der Bundeswehr gibt es anscheinend nicht in der Altersgruppe, die im Ernstfall tatsächlich gefragt wäre. Vor wenigen Monaten erklärte zwar der 60-jährige Musiker und Frontmann der "Toten Hosen", Andreas Frege alias Campino, er würde heute "wohl nicht mehr verweigern", wie er es 1983 getan habe.
Auch Grünen-Politiker über 50, die nie Wehrdienst geleistet haben, können inzwischen militärischen Konfliktlösungen viel abgewinnen.
Einige, für die sich tatsächlich die Frage stellt, ob und wofür sie demnächst ihr Leben riskieren sollen, sehen das scheinbar ein bisschen anders. Laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) ist die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in der Bundeswehr im laufenden Jahr deutlich gestiegen.
Zahl der Anträge mehr als verdreifacht
"Im laufenden Jahr sind bisher 657 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung im Bundesamt eingegangen", wird ein Sprecher des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zitiert. Im gesamten vergangenen Jahr seien es lediglich 209 Anträge gewesen – dies entspricht mehr als einer Verdreifachung allein bis Ende August.
Viele begründeten ihre Verweigerung angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und einer möglichen Eskalation damit, dass sie "mit einer kriegerischen Auseinandersetzung nicht gerechnet hätten", heißt es in dem Bericht.
Nachwuchswerbung an Schulen und auf Spielemessen
Das wirft erneut die Frage auf, wie weit die Nachwuchswerbung der Bundeswehr von der Realität entfernt ist – und ob sie nicht bewusst auf "unpolitische" junge Menschen abzielt, die den Jugendoffizieren argumentativ nichts entgegensetzen können, dann aber auch aus allen Wolken fallen, wenn es ernst zu werden droht.
Die allgemeine Wehrpflicht für junge Männer ist seit 2011 ausgesetzt, aber nicht aufgehoben. Für die Bundeswehr wird seither umso mehr an Schulen und auf Messen wie der Gamescom geworben – auf die "erlebnisorientierte" Art. 1239 Minderjährige hat die Bundeswehr im vergangenen Jahr rekrutiert – das Mindesteinstellungsalter beträgt 17 Jahre.
Aktuell nimmt aber die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für die Streitkräfte ab, wie eine Sprecherin des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln dem RND sagte.
Andrang kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges und schnelle Trendwende
"Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges war kurzfristig eine erhöhte Zahl an Interessentinnen und Interessenten, die über das im Internetauftritt der Bundeswehr hinterlegte Kontaktformular oder über unsere Karriere-Hotline Kontakt zu uns aufnehmen, zu verzeichnen", so die Sprecherin. "Dementsprechend hatten sich die vereinbarten und durchgeführten Erstberatungstermine bei der Karriereberatung ebenfalls erhöht."
Inzwischen scheint sich der Andrang wieder gelegt zu haben: "Die tatsächlichen Bewerberzahlen für den militärischen Dienst in der Bundeswehr sind seit Anfang 2022 sogar rückläufig."
Beide Tendenzen hätten sich "inzwischen allerdings wieder normalisiert", sagte sie. "Die tatsächlichen Bewerberzahlen für den militärischen Dienst in der Bundeswehr sind seit Anfang 2022 sogar rückläufig."
Die Truppe steht dadurch vor einem Problem: Zurzeit gehören ihr rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten an – sie meint aber 203.000 zu benötigen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat dies bereits bei der jüngsten Bundeswehr-Tagung problematisiert.
Die Streitkräfte müssten "mehr qualifiziertes Personal gewinnen und auch halten" sowie "Abbrecherquoten weiter reduzieren", so die SPD-Politikerin.
Eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht sieht sie aber nicht als vielversprechende Lösung an. "Eine Wehrpflicht-Debatte hilft uns wenig in der aktuellen Situation", sagte Lambrecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Auch die Männer des Ampel-Kabinetts haben übrigens mehrheitlich keinen Wehrdienst geleistet – einschließlich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Nur Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat bei der Bundeswehr "gedient".