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Mehrheit für Nuklearwaffen? – Jetzt spricht die Friedensbewegung

Miss Atomic Bomb, Las Vegas, 1957. Bild: Dan Perry, CC BY 2.0

Umfrage zeigt Meinungswandel zu US-Atombomben in Deutschland. Aktivisten geben unterschiedliche Antworten. Ein Gedanke aber eint sie

Bundesweit gibt es in Folge des Krieges Russlands gegen die Ukraine erstmals eine knappe Mehrheit für den Verbleib US-amerikanischer Atomwaffen in Deutschland. Insgesamt hatten sich – wie auch Telepolis berichtete [1] – 52 Prozent der Befragten in der Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag des ARD-Politikmagazins Panorama (NDR) für die weitere Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland ausgesprochen – 40 Prozent für den unveränderten Verbleib und zwölf Prozent für eine Aufstockung und Modernisierung. 39 Prozent votierten noch für einen Abzug. Neun Prozent antworteten mit "Weiß nicht / Keine Angabe".

2019 hatten sich in einer YouGov-Umfrage 59 für einen Abzug dieser Waffen und nur 18 Prozent klar dagegen ausgesprochen.

Zerstörungsradien bei der Explosion einer SS-25 in deutschen Hauptstädten (0 Bilder) [2]

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Das Meinungsforschungsinstitut hatte im Auftrag von "Panorama" vom 30. Mai bis zum 1. Juni dieses Jahres insgesamt 1.337 zufällig ausgesuchte, wahlberechtigte Personen ab 18 Jahren in Deutschland befragt.

Telepolis fragte Vertreter relevanter Organisationen der Friedensbewegung, wie sie das Umfrageergebnis deuten und wie sie darauf reagieren wollen. Hier ihre Antworten.

Xanthe Hall, IPPNW: "Momentaufnahme mitten in einer Krisenzeit"

"Nach jahrzehntelanger Opposition gegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland ist dies die erste Umfrage mit einem anderen Ergebnis. Das zeigt eine starke Verunsicherung in der Bevölkerung, wie Deutschland mit der nuklearen Bedrohung aus Russland umgehen sollte.

Es gibt wieder eine große Angst vor einem Weltkrieg und einer weiteren Eskalation bis zum Atomkrieg. Die Umfrage ist eine Momentaufnahme mitten in einer Krisenzeit. Sie zeigt eine drastische Schwankung von der vorherigen öffentlichen Meinung. Allerdings ist diese Mehrheit von 52 Prozent nicht sehr solide, denn es gibt ein Konfidenzintervall von zwei bis drei Prozent. Eher kann man von einer Spaltung in der Gesellschaft reden.

Interessant in der Umfrage ist die mangelnde Befürwortung für die Modernisierung von Atomwaffen. Dieser Modernisierungsprozess läuft bereits.

Aber gerade einmal 40 Prozent wollen, dass Atomwaffen "unverändert bleiben". Das zeigt wiederum, dass die meisten Menschen nicht wissen, dass schon ab nächstem Jahr die Atomwaffen in Deutschland durch neuere und stärker aufgerüstete Atombomben ausgetauscht werden. Diese sollen auch besser einzusetzen sein.

Friedensorganisationen müssen die Öffentlichkeit weiterhin darüber aufklären, wie diese Waffen wirken und was der Modernisierungsprozess bedeutet. Wichtig wäre zudem klarzumachen, dass eine nukleare Aufrüstung zu der Eskalation des bereits bestehenden Konflikts beträgt."

Lea Heuser, Aachener Friedenspreis: "Menschen in Öffentlichkeit bringen, die unter Krieg leiden"

Vermutlich ist den meisten Menschen nicht klar, dass bei uns stationierte Atomwaffen weniger einen Schutz als vielmehr eine Bedrohung darstellen. Sie sind ein potenzielles Angriffsziel und werden von Nicht-Nato-Staaten ihrerseits als Bedrohung gewertet, was sie bei einem etwaigen Angriff wieder für uns zur Gefahr machen würde.

Kämen Atomwaffen in größerem Stil zum Einsatz, wäre das zudem ein weiterer Sargnagel für den Klimazusammenbruch und die Bewohnbarkeit des Planeten Erde.

Offensichtlich ist hier mehr Aufklärung nötig. Die Sorgen der Menschen und ihr Bedürfnis nach Schutz sind sehr nachvollziehbar, aber eine Konfrontation mit Atomwaffen kann unserer Meinung nach die Welt nicht sicherer machen.

Aufklärung tut also Not. Die Friedensbewegung muss Menschen in die Öffentlichkeit bringen, die unter Krieg leiden und Auswege zeigen. Dies tun etwa unsere diesjährigen Preisträger:innen aus dem Jemen.

Zivile Möglichkeiten der Konfliktlösung müssen einen viel größeren Raum im Regierungshandeln einnehmen, denn diese gibt es und sie wirken. Auch Kampagnen wie ICAN, die nicht von ungefähr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden und für eine international breit getragene Ächtung von Atomwaffen kämpfen, können einen essenziellen Beitrag zur Aufklärung leisten.

Ekkehard Lentz, Bremer Friedensforum: "Für die Friedensbewegung bleibt noch viel zu tun"

Repräsentative Umfragen hatten bisher immer wieder ergeben: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist gegen Atomwaffen und für den Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag.

Laut einer Umfrage von Greenpeace im Juli 2020 waren 92 Prozent für den Beitritt zum Vertrag. Sie zeigten seinerzeit kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung an der nuklearen Abschreckung festhält und weiter aufrüsten will.

Insofern ist diese neue Panorama-Umfrage ein Alarmzeichen – auch für die Friedensbewegung. Das bedauerliche Ergebnis kann nur erklärt werden durch eine beispiellose Kampagne von Politik und Medien für die militärische Aufrüstung im Zeichen des Ukraine-Kriegs.

Die Organisationen der Friedensbewegung müssen auf diesen Stimmungswandel reagieren: Es bedarf einer neuen Koalition der Vernunft – für Frieden und Abrüstung. Die jahrzehntelange Aufklärung und Warnung vor Atomwaffen muss intensiviert werden: Atomwaffen sind die größte und akuteste Bedrohung für die Menschheit, sie sind "Teufelszeug".

Deutschland trägt seit Langem durch die Stationierung von Atomwaffen in Büchel, Rheinland-Pfalz, dazu bei. Sie ziehen gegnerische Atomschläge geradezu an.

Wir fordern: US-Atomwaffen raus aus Deutschland. Schluss mit der nuklearen Teilhabe. Nur die komplette Vernichtung von Atomwaffen kann einen Einsatz verhindern.

Leider gehen die aktuellen Planungen in die gegenläufige Richtung: Das 100-Milliarden-"Sondervermögen" für die Bundeswehr widerspricht nicht nur dem Friedensgebot der Verfassung, es dient auch der atomaren Aufrüstung durch die Anschaffung der Atombomber F-35 und die Produktion des nuklearfähigen FCAS-Bombers.

Die Greenpeace-Studie "Deutschlands Weg zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV)" aus dem Jahr 2021 [4] gilt es – auch unter dem Eindruck der Panorama-Umfrage – zu popularisieren.

Die Studie von Botschafter i.R. Thomas Hajnoczi zeigt auf, wie ein Beitritt Deutschlands zum AVV gelingen kann und welche Konsequenzen dieser hätte.

Aktionen der Friedensbewegung, zum Beispiel anlässlich der Jahrestage der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, sind wichtiger denn je.

Am 6. und 9. August 1945 haben US-Atombomben, abgeworfen über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki, 270.000 Menschen sofort getötet. Hunderttausende Betroffene und Nachkommen müssen bis heute mit den Folgen und der Veränderung des Erbgutes leben.

Unter dem Motto "Atomwaffen abschaffen - dringender denn je" laden die Friedensnobelpreisträger IPPNW und ICAN vom 5. bis 10. Juli zu einem Aktionscamp in Büchel [5] ein.

Klaus Stampfer, Augsburger Friedensinitiative: "Grüne mögen zum Ergebnis beigetragen haben"

Der Ukraine-Krieg, die Äußerungen von Politikerinnen und Politiker und die mediale Berichterstattung haben unterschiedliche Ängste geschürt. Einige Menschen befürchten, dass der Ukraine-Krieg, der zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Nato und Russland geworden ist, zu einem Weltkrieg oder zu einem Atomkrieg eskalieren könnte.

Diese werden nicht zu den 52 Prozent der Deutschen gehören, die den Verbleib der US-Atomwaffen befürworten.

Andere befürchten, dass Russland andere europäische Staaten, darunter Deutschland, angreifen könnte und dass sich Deutschland mit allen Mitteln, auch mit Atomwaffen verteidigen sollte.

Wieder andere Deutsche haben schon immer das mitgetragen, was die Bundesregierung vertreten hat, weil sie Anhänger der regierenden Parteien sind, weil sie militärische Überlegenheit befürworten und an atomare Abschreckung glauben.

Während in der Vergangenheit die Befürworter der nuklearen Teilhabe überwiegend im konservativen politischen Lager zu finden waren, haben sich die Anhängerinnen und Anhänger der Grünen, die, wie sich bei den Wahlergebnissen zeigt, mehr geworden sind, wie die Partei zu Militaristen entwickelt. Die Grünen mögen zu dem Ergebnis der Umfrage beigetragen haben.

"Argumente gegen nukleare Teilhabe in Diskussion bringen"

Den Stimmungswandel hat nur ein Teil der Deutschen vollzogen. Es ist kein Stimmungswandel der gesamten Bevölkerung.

Mit dem Ukraine-Krieg ist vielen Menschen die Gefahr eines Atomkrieges in Europa bewusst geworden. Dies sind Menschen, die schon immer gegen die Stationierung der Atomwaffen in Büchel waren und es sind welche hinzugekommen, bei denen dieses Thema keine Bedeutung hatte, weil sie andere Probleme wie die persönliche Situation, Klimawandel, Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit vordringlich sehen.

Umso wichtiger ist es nun für die Friedensbewegung, die Argumente gegen die nukleare Teilhabe in Diskussion zu bringen und diejenigen zu stärken, die unsicher geworden sind. Wichtige Punkte sind meines Erachtens:

Michael Sünner, Kölner Friedensforum: "Nicht alle Wissenschaftler gleichermaßen angehört"

Die Positionen und Forderungen der über 75 Organisationen, die in der Kampagne "Büchel ist überall! – Atomwaffenfrei jetzt! [6]" zusammenarbeiten haben sich durch diese Umfrage nicht geändert.

Wie "repräsentativ" eine Umfrage ist, bei der nur 1.337 Wahlberechtigte gefragt wurden, kann ich nicht beurteilen. Umfrageergebnisse sind das Ergebnis der Informationen, die die Befragten vorher erhalten haben. Diese sind seit diesem Krieg und der Berichterstattung darüber sehr stakt emotional beladen.

Die Bundesregierung hat hier meines Erachtens zu wenig auf eine vermittelte Rolle gesetzt, sondern zu viel einseitig Partei ergriffen, was auch für viele andere europäische Länder und die USA zutrifft.

Ob nun bei Befragungen mehr oder weniger als 50 Prozent der Bevölkerung für oder gegen Atomwaffen votieren, zeigt, dass es auf jeden Fall eine sehr umstrittene Frage ist.

Das Ergebnis einer Umfrage ändert nichts an unseren Feststellungen, dass die atomare Bedrohung schon allein durch die Tatsache, dass es Atomwaffen gibt, eine Gefahr für das Überleben der Menschheit ist und darüber hinaus diese Gefahr mit jeder Verstärkung der militärischen Konfrontationen in Europa (und anderswo) in besonderem Maße steigt.

Leider werden nicht alle Wissenschaftler, die zu diesen Fragen arbeiten, gleichermaßen in der breiten Öffentlichkeit durch die Politik und die Medien angehört oder gar zitiert, Hans Bläsius und andere.

Die Konsequenz daraus muss aber weiterhin darin bestehen, unbedingt den Krieg mit einem Waffenstillstand zu stoppen und zu Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien zurückzukommen.

Die Behauptung, mit einer Kriegspartei (insbesondere, wenn es sich um Atommächte handelt) nicht sprechen zu können, zeigt nicht wirklich den eigenen Willen, verhandeln zu wollen.

Die "allgemeine Meinung" in der Bevölkerung ist meines Erachtens auch darauf zurückzuführen, dass nicht vollständig und klar dargestellt wird, worüber die Bundesregierung mit der russischen Regierung bisher verhandelt hat: Meine Fragen dazu sind: Welsche Forderungen und welche Angebote wurden bei Verhandlungen von welcher Seite jeweils formuliert? Hierüber herrscht viel Unklarheit.

Von den Organisationen der Friedensbewegung, vornehmlich ICAN, IPPNW und andere, sind Besuche zur Begleitung der UN-Konferenz von 21. bis zum 23.7.22 in Wien zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) vorbereitet, auf die mit Aktionen im Vorfeld auch in Berlin hingewiesen wird.

Wir haben gemeinsam erreicht, dass 122 Staaten der Erde diesen Verbotsvertrag beschlossen haben und wir haben erreicht, dass die Bundesregierung zumindest mit "Beobachterstatus" an der Konferenz teilnehmen wird.

Diesem Beispiel haben sich – wenn ich richtig informiert bin – Schweden und Italien angeschlossen. Die Friedensbewegung in Frankreich fordert Ihre Regierung mit einer Unterschriftenkampagne ebenfalls dazu auf.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7136442

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Meinungsumschwung-pro-Atomwaffen-Schrecken-des-Krieges-voellig-ausgeblendet-7131946.html
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6137236.html?back=7136442;back=7136442
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6137236.html?back=7136442;back=7136442
[4] https://www.greenpeace.de/sites/default/files/publications/gpde_22072021_atomwaffenverbotsvertrag.pdf
[5] https://buechel.nuclearban.de
[6] http://www.atomwaffenfrei.de/home.html