Meinungsumschwung pro Atomwaffen: "Schrecken des Krieges völlig ausgeblendet"

Die Grünen sind nicht mehr, was sie mal waren. Ihre heutigen Anhänger haben aber mehrheitlich kein Problem damit. Symbolbild: Manfred Richter auf Pixabay (Public Domain)

Die "nukleare Teilhabe" erfreut sich neuer Beliebtheit – besonders bei Anhängern der Grünen. Wer deren ursprüngliche Werte vertritt, ist entsetzt

Die Menschen in Büchel hätten Angst, dass der Ort in der Eifel wegen der dort stationierten US-Atomwaffen zum russischen Angriffsziel wird, sagt Wolfgang Ehmke mit Blick auf das Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Bundesweit gibt es demnach im Zuge des Ukraine-Krieges erstmals eine knappe Mehrheit für den Verbleib dieser Waffen in Deutschland, auch wenn sich direkte Anwohner umso stärker gefährdet fühlen.

Als Aktivist der Anti-Atom-Bewegung feiert Ehmke heute einerseits Erfolge im Kampf gegen die zivile Nutzung der Kernkraft, glaubt aber auch, dass Atomwaffengegnern, die etwa den Luftwaffenstützpunkt in Büchel blockieren, in nächster Zeit ein schärferer Wind entgegenweht.

"Die öffentliche hat sich da gewandelt", sagt der Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Er selbst finde es richtig, dass sich die Ukraine mit konventionellen Waffen gegen die russische Invasion verteidige, sei aber weiterhin für eine schnelle Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen, stellt Ehmke gegenüber Telepolis klar.

Dafür sind ihm zufolge nach wie vor die meisten Menschen, die sich in den letzten Jahren auf der Straße gegen die atomare Gefahr engagierten – im Gegensatz zu den Anhängern der Grünen, deren Zustimmung zur "nuklearen Teilhabe" aktuell mit 64 Prozent besonders hoch ist – neun Prozent in deren Reihen sind sogar für eine Modernisierung und Aufstockung, 55 Prozent für den Status Quo.

Insgesamt "nur" 52 für Prozent für fortgesetzte Stationierung

Insgesamt hatten sich 52 Prozent der Befragten in der Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag des ARD-Politikmagazins "Panorama" (NDR) für die weitere Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland ausgesprochen – 40 Prozent für den unveränderten Verbleib und zwölf Prozent für eine Aufstockung und Modernisierung. 39 Prozent votierten noch für einen Abzug. Neun Prozent antworteten mit "Weiß nicht / Keine Angabe".

2019 hatten sich in einer YouGov-Umfrage 59 für einen Abzug dieser Waffen und nur 18 Prozent klar dagegen ausgesprochen.

Aktuell ist das Meinungsbild für deren Verbleib in der Anhängerschaft keiner anderen Bundestagspartei so ausgeprägt wie bei den Grünen, der einstigen Anti-Atom-Partei schlechthin. In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 war immerhin noch zu lesen:

Wir wollen ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag.


Aus: Deutschland. Alles ist drin. / Bereit, weil ihr es seid. Bundestagswahlprogramm 2021 / Bündnis90/Die Grünen

Wenngleich eine Welt ohne Atomwaffen "nur über Zwischenschritte" möglich sei und Deutschland zunächst als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen solle, wie es auf Seite 250 heißt.

Seither ist die Logik der Abschreckung durch den Ukraine-Krieg populärer geworden. Knapp hinter den Grünen folgen aktuell Anhängerinnen und Anhänger von CDU/CSU sowie der FDP mit 61 Prozent für den Verbleib der Atomwaffen in Deutschland. Bei der SPD sind 56 Prozent dafür.

Linke nicht gesondert ausgewiesen

Eine Mehrheit für den Abzug der Atomwaffen gab es laut der Umfrage nur bei der AfD mit 56 Prozent und den "Anderen" mit 54 Prozent – Anhänger der Partei Die Linke wurden hier gar nicht gesondert ausgewiesen, obwohl sie dank ihrer Direktmandate mit einem Stimmenanteil von 4,9 Prozent Fraktionsstatus im Bundestag hat. Deren Sprecherin für Internationale Politik redet Klartext:

Wenn sich fast zwei Drittel der Grünen-Anhänger für einen Verbleib oder sogar eine Aufstockung der US-Atomwaffen in Deutschland aussprechen und die Grünen-Fraktion praktisch geschlossen stramm steht für eine Hochrüstung der Bundeswehr zur größten konventionellen Militärmacht in Europa, zeigt das, wie weit sich die Partei von ihren friedenspolitischen Wurzeln gelöst hat.

Die Anschaffung von F35-Atombombern für die Bundeswehr offenbart das Bekenntnis der Ampel zu internationaler atomarer Abrüstung endgültig als hohles Gerede und zeigt insbesondere, wie verwelkt die Grünen lange schon sind.


Sevim Dagdelen, Sprecherin der Fraktion Die Linke für Internationale Politik und Abrüstung am Freitag gegenüber Telepolis

Das Meinungsforschungsinstitut hatte im Auftrag von "Panorama" vom 30. Mai bis zum 1. Juni insgesamt 1337 zufällig ausgesuchte, wahlberechtigte Personen ab 18 Jahren in Deutschland befragt.

Es sei "erschreckend, wie das ‚Siegen wollen‘ die Menschen verwirrt", so der langjährige Friedensaktivist und ehemalige hessische Landtagsabgeordnete Willi van Ooyen (Die Linke). "Die Schrecken des Krieges – zumal eines Atomkrieges – werden völlig ausgeblendet. Scheinbar sind die Erkenntnisse über die Auswirkungen eines Atomkrieges und der Nutzung der Atomenergie verdrängt worden."