Menschen machen es nicht wie die Fliegen

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier - das haben Forscher jetzt anhand der Bewegungsprofile von 100.000 Menschen nachgewiesen

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Es gibt tatsächlich noch bessere Ausreden als die gewisser Telekom-Vorstände, die Bewegungsprofile Tausender Menschen zu speichern: Man kann nämlich, wie die Forscher Marta González, César Hidalgo und Albert-László Barabási von der Northeastern University in Boston (Massachusetts) zeigen, daraus auch wichtige Erkenntnisse über die Gewohnheiten des Menschen gewinnen. Interessiert daran sind zum Beispiel Stadtplaner, die sich um die Verkehrserschließung kümmern müssen, oder Epidemiologen, die die Verbreitung von Krankheiten untersuchen. Im Wissenschaftsmagazin Nature beschreiben die Netzwerk-Analytiker nun, wie sich Menschen tatsächlich durch ihre Umgebung bewegen. Offenbar sind wir in weitaus stärkerem Maße Gewohnheitsmenschen, als das manchem Individualisten lieb sein mag.

Vermutungen darüber, wie die Bewegungsmuster unserer Spezies aussehen könnten, sind natürlich nicht neu. Betrachtet man die vielen unterschiedlichen Einflüsse, denen wir von Tag zu Tag ausgesetzt sind, und die sich systematisch gar nicht erfassen lassen, könnte man in der einfachsten Annahme zunächst davon ausgehen, wir würden uns im Grunde zufällig von Ort zu Ort bewegen. Natürlich hat jedes Individuum bei jedem Ausflug ein Ziel - aber in der Gesamtheit könnte sich daraus eine Zufallsverteilung ergeben. Allerdings hat man in verschiedenen Untersuchungen bereits festgestellt, dass offenbar keine Normalverteilung vorliegt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand auch mal einen weiteren Weg zurücklegt, ist signifikant hoch. Das hat man zum Beispiel in einem Nature-Artikel vor zwei Jahren an Geldscheinen gezeigt, indem die Bewegungsprofile von fast einer halben Million Banknoten erfasst wurden. Damit sich ein Geldschein bewegt, sind allerdings zwei Personen nötig, die ihn untereinander weitergeben müssen. Die Frage war deshalb, ob sich das Bewegungsprofil der Gesamtheit aller Banknoten so einfach auf das ihrer ehemaligen Besitzer übertragen lässt.

Die meiste Zeit halten wir uns an wenigen (und stets denselben) Plätzen auf

Aus der Tierwelt, von der Fruchtfliege bis zum Albatros, kennt man ein anderes, damit in Beziehung stehendes Phänomen, das des Levy-Flugs. Dabei handelt es sich um Zufallsbewegungen, die ebensowenig wie die der Geldscheine der Normalverteilung unterliegen. Auch hier gibt es ein „dickes Ende“: Man spricht davon, dass die Verteilungskurve „fat-tailed“ sei, weil sie eben nicht wie die der Normalverteilung abseits der Norm schnell gegen Null strebt. Bewegt sich also auch der Mensch wie eine Fruchtfliege durch die Gegend?

Bewegungsdaten eines einzelnen Menschen, herausgegriffen aus der Datenwolke von tausenden anderen. Grafik: Cesar Hidalgo & Marta Gonzalez

Anscheinend nicht, wie Barabasi & Team nun in Nature zeigen. Die Forscher haben dazu die anonymisierten Bewegungsprofile von 100.000 Mobilfunkkunden über sechs Monate ausgewertet. Bei jedem Gespräch und jeder SMS wurde der Mobilfunkmast festgehalten, in dessen Zelle sich die betreffende Person gerade befand, so dass sich mit der Zeit das komplette Bewegungsprofil des Betreffenden ergab.

Und das sieht anscheinend ganz anders aus, als man es aus der Analogie zu den Fruchtfliegen erwartet hätte. Wie wir uns von Ort zu Ort begeben, wird ganz wesentlich von unseren individuellen Gewohnheiten bestimmt. Für jeden einzelnen User konnten die Forscher (und das wird jetzt vermutlich wieder manch Sicherheitsfachleute interessieren) charakteristische Muster ermitteln, Wahrscheinlichkeiten, mit denen sich ein Mensch zu bestimmter Zeit an einem bestimmten Ort aufhält.

Diese Muster sind ebenso wie die durchschnittlichen Reise-Distanzen einer Person über die Zeit konstant, sie bilden also eine Art Fingerabdruck. Die meiste Zeit halten wir uns an wenigen (und stets denselben) Plätzen auf, nur manchmal trifft man uns auch anderswo, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit, die zur individuellen Beliebtheit des Ortes reziprok ist.

Ablesen kann man aus den von den Forschern ermittelten Mustern auch die inhärente Periodizität: Unser Leben wiederholt sich üblicherweise alle 24 Stunden. Denn täglich grüßt das Murmeltier.