Militär in Ecuador übernimmt Kontrolle
Medien werden geschlossen, Oppositionspolitiker fliehen, Demonstranten sterben. Bundesregierung schweigt zu den Ereignissen
In Ecuador spitzt sich die Situation nach der vollständigen Militarisierung der Hauptstadt Quito und der umliegenden Gebiete inmitten heftiger Proteste gegen ein neoliberales Maßnahmenpaket der Regierung von Präsident Lenín Moreno weiter zu. Augenzeugen berichten von tödlichem Schusswaffeneinsatz der Armee gegen Demonstranten. Mehrere Oppositionspolitiker sind außer Landes oder in Botschaften geflohen, unabhängige Medien wurden geschlossen oder unter staatliche Kontrolle gestellt.
Eine am Sonntag von Moreno verfügte Ausgangssperre begann um 15:00 Uhr (Ortszeit). Die Maßnahme wurde nur 38 Minuten im Voraus angekündigt. Tausende Menschen blieben dennoch auf den Straßen und hielten die Proteste aufrecht.
Ursache für die schwere Krise sind Zugeständnisse der Regierung von Präsident Lenín Moreno an den Internationalen Währungsfonds (IWF). Nach der Streichung von staatlichen Subventionen auf Treibstoff und weitere Kürzungsmaßnahmen kam es zu landesweiten Protesten, in deren Verlauf mehrere Menschen starben und hunderte Personen festgenommen wurden.
Angeheizt werden die Proteste durch eine allgemeine wirtschaftliche Krise des Landes. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Ecuadors ist im zweiten Quartal dieses Jahres nur um 0,3 Prozent gestiegen. Zugleich besteht die Regierung Moreno auf ein Sparprogramm in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar. Dieses Strukturanpassungsprogramm, das in Ecuador als "el paquetazo" bekannt wurde, ist Teil einer Vereinbarung mit dem IWF, der im Gegenzug Kredite in Höhe von gut 4,2 Milliarden US-Dollar gewährt hat.
Anfang dieses Monats nun stiegen die Benzinpreise in Folge von umgerechnet 1,68 Euro pro Gallone (rund 3,8 Liter) auf 2,10 Euro, während der Dieselpreis von 98 Eurocent auf 2,06 Euro stieg, was einem Anstieg von gut 110 Prozent entspricht.
Gesprächsbereitschaft und Repression
Moreno kündigte am Samstagabend (Ortszeit) im nationalen Fernsehen seine Bereitschaft an, das umstrittene Dekret 883 zu revidieren, mit dem er Anfang des Monats die Abschaffung der Treibstoffsubvention und eine Reihe weitere Sparmaßnahmen verfügt hatte. "Für den Frieden und die Zukunft unseres Landes (....) werden wir das Dekret 883 entsprechend dem Wunsch indigener Organisationen und sozialer Gruppierungen überarbeiten", sagte er.
Moreno fügte hinzu, er werde einen monatlichen Bonus privater Unternehmen an ihre Mitarbeiter in Höhe von 20 US-Dollar vorschlagen, um die sozialen Folgen der landesweiten Blockaden seit Monatsbeginn abzufedern.
In einem Kommuniqué haben die Vereinten Nationen indes moderierte Gespräche zwischen der Regierung von Moreno und den Bevölkerungsgruppen angekündigt, die gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Straßen gehen. Moreno hatte einen Dialog mit den Gegnern seiner Politik zu Beginn entschieden abgelehnt und hatte die Demonstranten beschimpft. Wenige Tage später schwenkte er angesichts der Massivität der Proteste auf einen konzilianteren Kurs ein.
Dennoch gehen ecuadorianischen Behörden weiterhin gegen Regierungsgegner und kritische Medien vor. Am Samstag wurde das Signal des lateinamerikanischen Fernsehkanals Telesur abgeschaltet. "Unser Signal wurde ohne jegliche Rechtfertigung vom Satellitenkanal 722 und Kabel 626 in Ecuador entfernt. Wir verurteilen dieses Vorgehen und bitten unsere Zuschauer, die sofortige Freischaltung von Telesur zu verlangen", sagte Sendechefin Patricia Villegas.
Zuvor war das öffentliche Radio Pichincha Universal, dessen Redaktion regierungskritische Positionen vertreten hatte, unter zentrale Kontrolle der Medienbehörden in Quito gestellt worden. Mehrere Journalisten wurden von Polizei und Armee angegriffen oder festgenommen.
Oppositionspolitiker auf der Flucht
Derweil fliehen immer mehr Oppositionspolitiker vor politischer Verfolgung durch Polizei, Armee und regierungsnahe Justiz. Die mexikanische Regierung hat vor diesem Hintergrund am Samstag in ihrer Botschaft in Quito die Abgeordnete Gabriela Rivadeneira aufgenommen. Rivadeneira gehört der Fraktion der Partei Bürgerrevolution (Revolución ciudadana) an, die dem ehemaligen Präsidenten (2007-2017) Rafael Correa nahesteht, einem entschiedenen Kritiker der Regierung Moreno.
Mit der Aufnahme Rivadeneiras "bekräftigt Mexiko in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht sein Engagement für die Achtung, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte aller Menschen, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit", heißt es in der Erklärung. Mexikos Regierung betonte darin auch ihre Sorge über die politische Situation Ecuadors.
Vor wenigen Tagen erst hatte Mexiko dem ehemaligen ecuadorianischen Außenminister Ricardo Patiño Asyl gewährt. Patiño war unter dem Präsident Correa zwischen 2013 und 2016 Mitglied des Kabinetts. Er hatte Ecuador am 17. April fluchtartig in Richtung Mexiko verlassen, einen Tag bevor die ecuadorianische Justiz einen Haftbefehl gegen ihn wegen "Anstiftung zur Übernahme öffentlicher Institutionen" ausgestellt hatte.
Er soll in einer öffentlichen Rede dies unter dem Einsatz von Gewalt gefordert haben, so der damalige Vorwurf. Anschließend beantragte die ecuadorianische Sonderstaatsanwaltschaft für grenzüberschreitende und internationale organisierte Kriminalität auch bei Interpol einen internationalen Haftbefehl gegen Patiño. Allerdings kam die internationale Polizeibehörde dem Antrag aus Ecuador nicht nach, ebenso wenig wie im Fall Correas.
Mehrere Oppositionspolitiker berichteten an diesem Wochenende von Eingriffen in Messengerdienste wie Whatsapp sowie in die Kommunikation über soziale Netzwerke.
Zahl der Toten steigt
Inzwischen gibt es mehr Informationen über die Folgen der staatlichen Repression. Seitdem Präsident Moreno den Ausnahmezustand erklärte und zunehmende Ausgangssperren verfügte, hat die Zahl von Toten und Verletzten offenbar massiv zugenommen.
Vor allem in der Hauptstadt Quito kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Dort wurde der Sitz des Rechnungshofes von Demonstranten gestürmt und teilweise in Brand gesteckt, ebenso ein regierungsnaher Fernsehsender. Der mächtige Indigenendachverband Conaie distanzierte sich von den Vorfällen und beschuldigte die Regierung, "die Wut des Volkes befeuert" zu haben.
Über soziale Netzwerke berichteten mehrere Augenzeugen von zunehmender Gewalt staatlicher bewaffneter Kräfte. Ein Demonstrant starb mutmaßlich durch die Kugel eines Scharfschützen.
Eine Arbeitsgruppe zu Menschenrechten im ecuadorianischen Parlament veröffentlichte - allerdings noch vor der jüngsten Eskalation vom Wochenende - eine vorläufige Bilanz. Demnach kam es vor allem in den Provinzen Pichincha und Guayas zwischen dem 3. und 9. Oktober zu hunderten Festnahmen. Insgesamt dokumentierte das Gremium in diesem Zeitraum landesweit 1.090 Inhaftierungen. Gut 850 Menschen hätten im Zusammenhang mit den Protesten und Angriffen von Polizei sowie Armee medizinisch versorgt werden müssen, heißt es in der Aufstellung, die sich unter anderem auf Zahlen des nationalen Roten Kreuzes beruft. Bis zum 9. Oktober starben demnach fünf namentlich benannte Personen durch staatliche bewaffnete Kräfte. Angesichts der derzeitigen Eskalation dürfte sich diese Zahl erhöht haben.
Die Bundesregierung hat sich zu dem Geschehen in Ecuador bislang nicht geäußert. Sie bewertete den politischen Umschwung und die innenpolitische Lage nach der Wahl Morenos 2017 zuletzt positiv.
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