Mit Abmahnungen kann man in der IT-Branche noch Geld verdienen

Neue Abmahnwelle stößt auf Widerstand

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Einige Verbraucherschutzvereine oder auch vereinzelte Rechtsanwälte scheinen ausschließlich von Abmahnungen zu leben. Im Wesentlichen geht es bei den Abmahnungen um den Schutz von Marken oder um schützenswerte Verbraucherrechte. In letzter Zeit beginnen sich die Abgemahnten allerdings zunehmend zu wehren. Durch die Internet-Vernetzung werden derartige Abmahnungen öffentlich, so dass sich Betroffene zu Interessengemeinschaften zusammenschließen und erfolgreich gegen Serienabmahner kämpfen können. Für die Mehrzahl der User bleiben diese Machenschaften schwer verständlich und werden als unmoralisch angesehen.

Vielen Computerbesitzern fällt bei dem Wörtchen "Abmahnung" sofort der Rechtsanwalt Freiherr Günter von Gravenreuth, der manchen als "Symbol" für moralisch verwerfliche Mahnungen mit zum Teil horrenden Honorarforderungen gilt. Aktuell vertritt er die Markenrechte des "Explorer" und mahnt jeden ab, der auf eine gleichnamige, aber nicht mit den Namensrechten versehene Software verweist. Unter anderem handelt es sich um ein Shareware-Programm "FTP-Explorer", auf das Webseitenbesitzer verweisen. Allein dieser Hinweis reicht dem Rechtsanwalt, eine Abmahnung zu versenden. In der Regel wird für diese rechtsanwaltliche Handlung eine Summe von etwa 1.900 DM in Rechnung gestellt. Gleichzeitig werden die Hinweisgebenden von dem Rechtsanwalt per Unterlassungserklärung aufgefordert, entsprechende Hinweise abzustellen und dieses schriftlich zu bestätigen. Im Fall des "Explorers" regte sich aber Widerstand, denn einerseits wurde von der Netzgemeinde angezweifelt, ob es je ein solches Produkt unter dem Namen aus dem Hause "Symicron" gab, andererseits wurde dem Anwalt eine Serienabmahnung unterstellt, so dass der angegebene Kostenrahmen nicht stimmig sei.

Ganz vom rechtlichen Hintergrund abgesehen, wurde die Abmahnwelle aus der Anwaltskanzlei Gravenreuth von der Netzgemeinde als moralisch verwerflich eingestuft. Im Internet rief man gegen Belohnung sogar eine Suche nach dem angeblich markenrechtlich geschützten Programm aus. Bis zum angesetzten Termin fand sich nicht eine Kopie der Software und auch der Eigentümer konnte keinen Nachweis liefern. Der Freiherr kann mit seinen Markenrechten, die er vertritt, und der Rolle des Buhmanns gut leben, wie er dem Autor versicherte.

Bislang haben deutsche Gerichte nicht das letzte Wort im Namen des "Explorers" gesprochen. Noch stehen die Verfahren gegen Stefan Münz (siehe die Darstellung der Hintergründe aus der Sicht von Stefan Münz) und den Heise-Verlag aus. Letzterer hat im August Termin und Herr Münz rechnet mit seinem Berufungsgerichtsurteil im September (eine ausführliche Beschreibung und juristische Würdigung des Falls findet man bei Jurawelt). Parallel zu den Verfahren liegt inzwischen beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Antrag auf Löschung der Marke "Explorer" vor. Dennoch braucht Stefan Münz finanzielle Unterstützung, die ihm unter anderem der Verein Freedom for Links gewährt. Herr Gravenreuth hat unterdessen eine Checkliste Marken- und/oder Namensverletzung auf seiner Homepage eingerichtet. In einem offenen Brief hat sich Gravenreuth inzwischen beim Verein Freedom for Links darüber beschwert, aus datenschutzrechtlichen Gründen in dessen "Abmahndatenbank alle Datensätze mit einem Bezug zu meiner Person zu sperren, da ich Ihnen hierfür zu keinem Zeitpunkt eine Einwilligung zur Speicherung, Verarbeitung und/oder Veröffentlichung gegeben habe."

Serienabmahnungen wurde bereits Ende 1999 vom Landgericht München der Riegel vorgeschoben. Im Klagefall um die Marke "Webspace" wurde die Klage abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass die von Freiherr Günter von Gravenreuth vertretene Klage eine "offensichtliche Serienabmahnung zum Zwecke des Geldverdienens" war.

Newsletter ebenfalls von Serienabmahnungen betroffen?

In den letzten Wochen erregte eine neue Welle von Abmahnungen die Gemüter. Anlass war der hannoversche Verbraucherschutzverein "Die Gesellschaft zum Schutz privater Daten in elektronischen Informations- und Kommunikationsdiensten e.V. (GSDI. Die GSDI firmiert im Internet unter der Webadresse www.webrobin.de, die suggerieren soll, dass es sich um einen Rächer der Geschädigten handelt.

Der Verein wirft den Betreibern vor, für den Eintrag in diverse Newsletterdienste mehr Daten abzufragen, als ausschließlich die Email-Adresse. Nach Ansicht der Verbraucherschutzvereins verstoßen die Newsletter-Anbieter somit gegen den Grundsatz der Datensparsamkeit im Sinne des Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG). Der Verein beauftragte die hannoversche Anwaltskanzlei Klinkert & Kollegen, Anbietern von solchen Email-Newslettern eine Unterlassungserklärung zukommen zu lassen. Für diesen Dienst verlangen die Anwälte im gleich beigefügten Kostenbescheid 1.286,21 DM. Abgemahnt wurden mindestens 70 Betreiber von Websites.

Ähnlich wie bei der Gravenreuth-Aktion in Bezug auf die Marken "Explorer" oder "Webspace" zeigt dieser aktuelle Abmahnfall des hannoverschen Vereins, dass sich die Rechtsanwälte zur Arbeitsvereinfachung der Computertechnik mit Serienabmahnungen bedienen. Auf der Website www.advograf.de ("Magazin gegen den Abmahnwahn im Internet") organisierten sich die von dieser neuen Abmahnwelle betroffenen Diensteanbieter. Der Verdacht einer Serienabmahnung scheint sich diesem Fall ebenfalls zu bestätigen.

Die betroffenen Unternehmen wehrten sich zunächst mit einem förmlichen Widerspruch beim Bundesverwaltungsgericht gegen die Eintragung des Vereins in die Liste der Einrichtungen nach § 22a AGBG. Nur mit dieser Listen-Eintragung dürfen die Vereine Verbraucherinteressen vertreten und entsprechende Unterlassungserklärungen versenden. Man erhofft sich von dieser Maßnahme eine rückwirkende Nichteintragung des Vereins. Somit wären sämtliche erfolgten Abmahnungen hinfällig. Als begründeten Angriffspunkt sehen die Anwälte der Abgemahnten die Vermischung von Verbraucherinteressen und der Beratung von Unternehmen. So äußerte sich der Vorstand Dirk Felsmann gegenüber dem Heise, dass der GSDI "ein kommerzieller Verein sei, mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften". Der Verein bietet unter anderem auch die Datenschutzprüfung eines Internetauftritts gegen 99 Euro an und kann sich auch vorstellen, als externer betrieblicher Datenschutzbeauftragter aktiv zu werden.

Nach Ansicht von Felsmann sei mindestens die Hälfte aller Internet-Newsletter datenschutzrechtlich zu beanstanden. Doch letztlich will man mit der Aktion lediglich die Verbraucher "für das Thema Datenschutz sensibilisieren". Deutlich wird jedoch auch, dass der Verein mit zweierlei Maß arbeitet, denn einerseits wurden sofort Unterlassungserklärungen nebst Gebührenrechnung verlangt, während man auf der anderen Seite etwa mit dem Westdeutschen und dem Hessischen Rundfunk erst einmal Gespräche führte.

Mittlerweile hat die GSDI angekündigt, die von ihr durch die Abmahnungen verursachten Anwaltskosten aufzukommen, um die Diskussion auf das eigentliche Anliegen des Datenschutzes zu lenken. Die Abgemahnten würden, wie die GSDI in einem offenen Brief schreibt, eine veränderte Unterlassungserklärung erhalten. Darin sollen sie sich verpflichten, auch einen anonymen Bezug der von ihnen angebotenen Newsletter zu ermöglichen. Zudem sollen sie auf alle Ansprüche gegenüber dem Verein verzichten. Das "Signal der Einigung" wird von der GSDI zugleich als Erfolg bewertet: "Der Datenschutz im Internet ist durch das Vorgehen des GSDI e.V. nachhaltig gestärkt worden."

Mahnen und Kassieren - ohne vorher miteinander zu sprechen

Solche Abmahnungen lösen in der Regel ziemliche Verärgerung aus, zumal sie meistens mit hohen Kosten für den Abgemahnten verbunden sind. Statt eines Anrufes oder einer Email wird sofort ein Rechtsanwalt beauftragt oder der Rechtsanwalt wird von sich selbst aus aktiv. Daraus lässt sich leicht der Schluss ableiten, dass es letztlich nicht um den Schutz von Marken oder Verbraucherinteressen geht, sondern immer nur um das Kassieren von Gebühren. So zumindest kommt diese Verfahrensweise bei der Mehrzahl der Internetanbieter - und Nutzer - an und wird als unmoralisch und somit verwerflich gedeutet. In vielen Rechtsfällen ist eine sollen Verfahrensweise auch unüblich. Normalerweise muss ein Schreiben von einem Anwalt auch nicht vom Abgemahnten entsprechend der Gebührenordnung gezahlt werden. Im Mietrecht muss man dem Vermieter zum Beispiel immer erst eine Frist setzen und solange es nicht zu einem Gerichtsverfahren kommt, muss der Mieter die Rechtsanwaltkosten selbst tragen.

In den vorliegenden Fällen erzürnt die Netzgemeinde insbesondere das Verfahren der Serienabmahnung, denn hier werden unter optimalen Bedingungen schnell gleich lautende Briefe verschickt, die letztlich den Kostenumfang eher senken würden. Dennoch wird von den Anwälten so abgerechnet, als sei jeder Fall ein Einzelfall.

"Der heise-online-Redaktion liegt inzwischen das Logfile eines abgemahnten Websiten-Betreibers vor, das offensichtlich die zugrunde liegende Recherche dokumentiert. Der Zugriff erfolgte demnach über den Rechner router.cyber-park.de mit der IP-Nummer 212.86.132.94. Er wird von der Hannoveraner cyber-park.de AG betrieben. Im cyber-park.de-Vorstand sitzt Dirk Felsmann, der auch den Verein GSDI leitet. Bei den Recherchen half der GSDI eine bekannte Suchmaschine, wie folgender Logfile-Auszug zeigt:
... 212.86.132.94 [...] "http://www.google.de/search?q=newsletter+e-mail+name+KG+-gmbH+-verein+- verband+-gmbH" ...
Der Zugriff dauerte nur wenige Minuten: 30 Sekunden lang blieben die GSDI-Surfer auf der Seite mit dem Newsletter-Abonnement. Dann wechselten sie auf die Startseite des Anbieters und luden sich fünf Sekunden später das Impressum herunter."

Verbraucher wehren sich zunehmend selbst

Dank des Internet mit seinen vielfältigen Vernetzungsmöglichkeiten bleiben solche Machenschaften nicht mehr anonym. Schnell werden in diesen Fällen von empfundenem Unrecht Anlaufstellen für ähnlich Betroffene gebildet. Als einer der größten Erfolge wird im Internet immer noch die erkämpfte Nachrüstung des Audi TT gesehen. Erst durch das Internet wurden andere Audi-TT-Fahrer darauf aufmerksamwww.spiegel.de/druckversion/0,1588,61471,00.html, dass ihre Schwierigkeiten mit dem unausgewogenen Fahrzeug nicht auf einer individuellen Fahrweise beruhte. Der Audi-TT wurde nach monatelangem Ringen letztlich doch zur Nachbesserung in die Werkstätten geholt. Auch andere Autohersteller wurden inzwischen von vergleichbaren freien Interessenvertretungen zu Nachbesserungen gezwungen.

Mängel oder vermeintliches Unrecht verbreiten sich im Internet wie ein Lauffeuer. Hersteller, dubiose Vereine oder Rechtsanwälte müssen sich in Zukunft warm anziehen, denn schnell ist eine Interessenvereinigung auf einer Website eingerichtet, wenn die Betroffenen merken, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind. Sammelklagen werden in Zukunft auch noch so große Unternehmen in die Knie zwingen, wenn sie in der Öffentlichkeit immer noch steif und fest behaupten, dass die Mängel nur Einzelfälle seien. Abmahner werden erkennen, dass sie in der Öffentlichkeit eher als Abzocker angesehen werden und nicht als Vertreter von Verbraucherinteressen. Die Verbraucher werden sich in Zukunft selbst zur Wehr setzen. Ein Image ist durch teure Werbung schnell geschaffen, doch Schlampereien oder dubiose Geschäftpraktiken sprechen sich ebenfalls schneller herum. Aber vielleicht gilt bei einigen Menschen immer noch die Devise: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert".