Mobilmachung für Krieg im Inneren

Ein neues "Nordkommando" soll künftig die terroristische Bedrohung in den USA bekämpfen, massive Militärausgaben helfen auch bei der Bekämpfung der Rezession

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Im Laufe dieser Woche werden die Weichen für die Einrichtung einen neuen militärischen "Nordkommandos" in den Vereinigten Staaten gestellt. Nachdem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld diese Pläne bereits am vergangenen Donnerstag bei einer Ansprache an der National Defense University bekannt gegeben hat, sollen nun konkrete Gespräche mit US-Präsident George W. Bush stattfinden. Das neue Kommando wird nach Ankündigung des stellvertretenden US-Generalstabschefs Peter Pace mit der Überwachung der Flughäfen, Grenzen und Küsten beauftragt werden. Damit wird der dauerhafte Einsatz des Militärs auf dem eigenen Territorium ermöglicht - eine historische Zäsur in den USA. Amerikanische Truppen sind auf dem eigenen Territorium zuletzt unter George Washington und bei der Schlacht von New Orleans 1815 gegen die Briten eingesetzt worden.

Dass die staatliche Überwachung massiv zunehmen wird, wurde schnell nach dem 11. September deutlich. Wenige Tage nach den Anschlägen hatte Bush durch einen einfachen Erlass ein "Amt für Innere Sicherheit" (Homeland Security) einrichten lassen, dessen Arbeit nicht der Kontrolle des Parlamentes unterliegt. Mit dem im Oktober verabschiedeten umfassenden Gesetzespaket zur vorgeblichen Bekämpfung des Terrorismus wurde zudem die traditionelle Trennung zwischen den inländischen und ausländischen Geheimdiensten aufgehoben. Geschichtsträchtig war auch das Vorgehen der Polizei während des Weltwirtschaftsforums am vergangenen Wochenende in New York: Die Polizeibehörde grub eigens für die erwarteten Proteste ein Gesetz aus dem Jahr 1845 aus, mit dem Gruppen ab drei Personen verhaftet werden können, sofern sie Masken oder Kapuzen tragen.

"The threat of terrorism is an inescapable reality of life in the 21st century. It is a permanent condition to which America and the entire world must adjust. The need for homeland security, therefore, is not tied to any specific terrorist threat. Instead, the need for homeland security is tied to the underlying vulnerability of American society and the fact that we can never be sure when or where the next terrorist conspiracy against us will emerge" - Securing The Homeland

Im Rahmen der neuen Verteidigungspolitik sollen dem neu einzurichtenden Nordkommando weitreichende Befugnisse im Inneren zugestanden werden. Derzeit ist die US-Armee in neun Kommandos unterteilt. Fünf dieser Kommandos sind in bestimmten Regionen stationiert: Europa, Lateinamerika, Afrika, Zentralasien und im Persischen Golf. Drei weitere Kommandos sind mit den logistischen Aufgaben, dem Transport von nuklearem Material und Spezialeinsätzen betraut. Das neunte Kommando ist für "besondere Aufgaben" reserviert. Die nun geplante Einrichtung eines zehnten Kommandos im Inneren steht im Kontext einer umfassenden Militärreform, um die Armee langfristig für den "Kampf gegen den Terrorismus" fit zu machen.

So wird die nun geplante Militärreform von US-Verteidigungsministerium auch mit der andauernden terroristischen Bedrohung begründet. Dementsprechend befürwortet Donald Rumsfeld die Neustrukturierung der Luftüberwachung, die künftig zusammen mit dem Küstenschutz dem neuen Nordkommando unterstellt werden soll. Damit sollen im Fall von Angriffen mit Massenvernichtungswaffen militärische Notfallpläne schneller realisiert werden können. Eine solche neue Struktur unter militärischen Vorzeichen mache Sinn, sagte Vizepräsident Dick Cheney, "weil wir uns im Falle eines Angriffes mit solchen Waffen automatisch im Verteidigungsfall befänden".

Mit dem geplanten Nordkommando werden bislang polizeiliche Aufgaben in die Hände des Militärs übergeben. So sollen nicht nur Aufgaben der Grenzpolizei und Küstenwache künftig von Militär ausgeführt werden, auch die Drogenbehörde und sogar die Bundespolizei FBI werden Teilbereiche ihrer Arbeit dem Militär überantworten müssen. Nach Ansicht von Sicherheitsexperten steht intern nun ein langwieriger Streit um die Kompetenzen bevor.

Die Pläne sind Teil eines umfassenden Aufrüstungsplanes. Im unlängst verabschiedeten Haushalt für 2003 sind 48 Milliarden Dollar Mehrausgaben für das US-Militär vorgesehen, die höchste Steigerung seit 20 Jahren. Ein großer Teil dieser Gelder wird nach Angaben von Rumsfeld für das Nordkommando verwendet werden. Mit dem enorm gesteigerten Militärbudget soll nebenbei auch die Rezension bekämpft werden, wie der Präsident in seiner jüngsten Regierungserklärung freimütig zugab. Das Haushaltsdefizit in den USA steigt mit den Mehrausgaben für die Armee im Haushaltsjahr 2003 auf schätzungsweise 80 Milliarden Dollar an. Bis vor wenigen Jahren lag die Haushaltsbilanz der USA in der Regel im Plus oder war zumindest ausgeglichen.

Widerstand gegen die Verteidigungspläne dürfte es aus den Reihen der Demokraten geben. Zu befürchten ist neben wahrscheinlichen Novellierungen der Steuern, dass mittelfristig geplante Sozialprogramme der Militärreform geopfert werden. An oberster Stelle dabei stehen die staatlichen Rentensubventionen. Es wird sich schnell zeigen, wie labil eine solche Umstellung der USA auf die Kriegswirtschaft ist.

US-Bürgerrechtsorganisationen weisen zudem auf die schleichende Militarisierung des Landes hin. So wurde in New York mit Verweis auf die drohende Gefahr weiterer Attentate mit Frank Libutti ein ehemaliger General der "Marines" in die Polizeibehörde berufen. Als Berater wurde der ehemalige CIA-Funktionär David Cohen verpflichtet. Beide hatten am vergangenen Wochenende bei den Protesten gegen das Weltwirtschaftsforum ihren ersten großen Einsatz.