Momentaufnahmen aus Damaskus

Trotz Aufstand: Syriens Hauptstadt bleibt ruhig - an der Oberfläche

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Weshalb der syrische Aufstand keine kritischen Massen in der Hauptstadt hervorbringt, hat viele Gründe: extreme Überwachung, ein teilweise gar nicht so schlechtes Leben und die Angst vor dem "danach". Zeitgleich aber bröckelt die Wirtschaft - und der "Moscheenmonat" Ramadan naht.

Ewige Herrscherpose: Bashar al-Assad?

Es ist Freitag in Damaskus. Wieder einmal. Seit vier Monaten währt der Aufstand. Unerschütterlich, Freitag für Freitag, gehen sie hinaus. Aber nicht in der Hauptstadt. Ruhig ist es hier, unheimlich ruhig. Auf dem Rondpoint des Abbasiden-Platzes - sonst ein einziges riesiges Auto-Sphagetti - könnte sich jeder Fahranfänger austoben, sofern er Lust hätte, dies unter den Augen der "Sicherheit" zu tun.

Die steht nämlich oben, auf der Galerie des angrenzenden Fußballstadiums. In Zivil oder in Uniform und in jedem Fall bewaffnet. Busseweise fahren sie am Freitag vor. Der Abbasiden-Platz wäre der erste bedeutende Platz für die Demonstranten aus den Vororten auf ihrem Weg in die Hauptstadt - gelänge es ihn zu besetzen, hätte Syrien sein Midan al-Tahrir-Moment.

Die Christen: eine Säule des Regimes

Ist die extreme Überwachung von Damaskus - oder Syriens zweitgrößter Stadt Alepp - der Hauptgrund dafür, dass die Menschen dort nur zaghaft protestieren? Dass, im Gegenteil, die meisten Freitags zuhause bleiben und ihre Jalousien noch weiter hinunterlassen? Samer Ayyoub lacht jovial. Angst? Wieso Angst vor der Sicherheit, fragt er und fährt lässig an einem Armeeposten bei Rot über die Ampel.

"Siehst du? Sie sagen überhaupt nichts. Denn das ist Syriens Volksarmee, die nur ein Anliegen hat: uns vor dem Verschwörerpack im Land zu schützen", erklärt er inbrünstig. Erst kürzlich habe er, trotz schlecht gehender Geschäfte, seine Drogerie geschlossen, nur um den ganzen Tag an einer Pro-Regierungsdemonstration teilzunehmen. Sein zweijähriger Sohn trage selbstverständlich ein "Wir lieben dich, Baschar"-T-Shirt, schließlich habe das Land nie einen besseren Präsidenten gesehen, den Vater, Hafez al-Assad, natürlich ausgenommen.

Um die Lobeslawine des 40-Jährigen irgendwie zu stoppen, deute ich auf die Fische, das Kreuz und das goldumrahmte Marienbild, die, einer Miniaturarmada, gleich seine vordere Autoablage bestücken. Sind religiöse Symbole in Wagen nicht seit dem letzten Jahr verboten? Samer windet sich etwas. Ja, schon, man wolle ja keine konfessionellen Signale in dem säkularen Staat aussenden. Aber, es halte sich sowieso niemand daran - also, was soll's?

Da hat er wiederum Recht. Gebogene Schwerter mit Doppelspitze sieht man zwar kaum - die Sichtbarmachung des Symbols der Alawiten, der Konfession, die die politische und militärische Elite stellt, war schon immer provokant und ist es dieser Tage erst recht. Dafür aber baumeln Kreuze und Korane um die Wette, auch in den Taxis. Und so fährt man klingelnd und klappernd an den Plakaten vorbei, die derzeit die Großstädte tapezieren: "Hand in Hand für die Einheit Syriens", steht darauf, oder: "Solidarisch bauen wir unsere Zukunft".

Und für alle, die die Botschaft immer noch nicht verinnerlicht haben, prangt von den Hochhäusern ein gigantischer roter Schriftzug: "Fitna!" "Volksverhetzung!" - als Warnung vor einem potentiellen Bürgerkrieg.

Wie "syrisch" fühlen sich die Syrer?

Es ist offensichtlich: Die Syrer haben Angst vor dem "danach". Ob sie Grund dazu haben, wüsste jeder nur zu gerne. Doch es gibt zu denken, wenn Christen wüste Geschichten über die Sexualpraktiken von Muslimen verbreiten, ebenso engstirnige Freitagsprediger "Zionisten und Nazarethaner" in einem Atemzug als Feinde benennen und der Gärtner, dem man sein Leid über den gießunwilligen Hausmeister klagt, prompt fragt: "Ist das ein Kurde?" Denkt man dies laut gegenüber Oppositionellen, brausen die unwirsch auf: "Du hast ja keine Ahnung!", "All das ist doch nur Geplänkel!", "Syrien hat keine Bürgerkriegstradition, sondern einzig eine Geschichte friedlicher Koexistenz!"

Fein. Aber - Syrien in seinen heutigen Grenzen blickt auf eine Geschichte zurück, die hauptsächlich 48 Jahre säkularer Baath-Partei geprägt haben. Diese tabuisierte den Begriff "Konfession" derart, dass er unterirdisch umso mehr blüht. Zeitgleich instrumentalisierte sie den "Panarabismus" und "Nationalismus" zur Dauerpeitsche in einem Land, das ohnedies erst kurz zuvor von Kolonialisten im Alleingang zur "Nation" proklamiert wurde. All dies erscheint doch ein bißchen viel und ein bißchen schnell auf dem Weg zum Nationalbewusstsein.

Verwirrender Medienkrieg

"So etwas wie im Irak oder Libanon will hier aber auch keiner", wirft Chadijé wiederum ein. Die 28-jährige lebt im Palästinenserlager Yarmuk, in das es Samer Ayoub nie verschlagen würde. Nicht, weil Yarmuk aus zerschlissenen Flüchtlingszelten bestünde - tatsächlich ist das Lager teilweise ebenso teuer wie die Hauptstadt -, doch es ist zu 90 Prozent von Sunniten bevölkert und wird nur selten von den Minoritäten oder generell von sunnitischen Syrern aufgesucht. Dennoch spricht Chadijé allen aus dem Herzen: Keiner wolle einen Bürgerkrieg - obwohl, fragt sie: "Haben wir den nicht schon?" 1500 Tote in vier Monaten. Und die bohrende Frage: Fielen sie alle der "Sicherheit" zum Opfer?

Baupläne, aber Investitionen bleiben schwierig

Aus westlicher Perspektive scheint die Frage lächerlich, unter Syrern aber ist das Ausmaß der Konfusion gigantisch. Nicht zu Unrecht: Dass bewaffnete Salafiten im Land sind, scheint ein Fakt, das ganze Ausmaß hingegen noch völlig unklar. So wird nicht nur Chadijé weiterhin rätseln, welchen Nachrichtensender sie überhaupt noch einschalten soll. "Das staatliche syrische Fernsehen lügt doch ebenso wie Al-Jazeera, Al-Arabiya oder BBC Arabic - je nachdem, wie sie es brauchen", stöhnt sie.

Unentschlossen: die Palästinenser

Entsprechend verunsichert ist auch die Stimmung in Yarmuk. Traditionell hat die mit dem Regime verbündete Hamas dort einen guten Stand und infolgedessen hielten sich die meisten Palästinenser von den Protesten fern. Als Sicherheitskräfte Mitte Mai junge Bewohner anwarben und sie auf Staatskosten in den Golan verfrachteten, damit sie dort gegen die israelische Besatzung protestierten, hofften einige, es läge dem Regime doch etwas an der "palästinensischen Sache". "Dabei war es nur ein Ablenkungsmanöver vom Geschehen im eigenen Land", erzählt Chadijé.

Am 5. Juni wiederholte sich das Manöver und endete mit der Erschießung von über 20 Demonstranten durch israelische Grenzsoldaten. Ihre Angehörigen wünschten nicht, dass die Vertreter der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP-GC) den Beerdigungen in Yarmuk beiwohnten - es sei der Heuchelei und Instrumentalisierung genug. "Unruhen brachen aus, einige PFLP-GC-Milizen eröffneten das Feuer, noch mehr Menschen starben", erzählt Chadijé bitter. Doch sie will nicht weiter darüber nachdenken.

Bei allem lauten Schweigen ist sie unüberhörbar - die Angst. Auch die um die wirtschaftliche Existenz. Mit 1000 Pfund (ca. 14,50 Euro) pro Tag verdient Chadijé als Putzfrau in verschiedenen Haushalten ganz gut und kommt - vor allem in den staubigen Sommermonaten - mitunter auf monatliche 16.000 Pfund. In Syrien ist das nicht wenig. "So gut wie hier ginge es mir in Palästina wohl nicht", glaubt sie. Doch wie lange noch?

"Mein Mann fährt Taxi und das Benzin ist unglaublich teuer. Wir haben vier Kinder und die Nahrungsmittelpreise steigen seit Jahren. Die Hälfte unseres Verdienstes geben wir für das Essen aus, obwohl wir kaum je Fleisch kaufen." Da alles vom wirtschaftlichen Niedergang spricht, will Chadijé vorsorgen und eine eigene Wohnung bauen. "Die Zeit ist günstig: alle im Lager bauen derzeit ohne Lizenz, weil die ‚Sicherheit‘ keine Kapazitäten mehr frei hat", grinst sie.

Abwartend: die sunnitische Mittelschicht

Hadi F. nickt. 50.000- 60.000 in der 400.000-Mann-starken Armee gelten als absolut Assad-treu, zählt er auf. Hinzu kämen 5000 bis 10.000 bei der Shabbiha-Miliz. Maximal 70.000 Mann verteidigten demnach das Regime eisern - plus der Geheimdienst, zirka zwei Millionen. Diese aber seien nur unzulänglich bewaffnet.

Demgegenüber würden in Hama bereits eine halbe Million demonstrieren, ergo... Man merkt dem Kaufmann den Spaß am Kalkulieren an. Hadi F. ist 55 und Besitzer einer Fabrik zur Herstellung von Versatzteilen für Kühlanlagen. Im Sommer sind seine Produkte besonders gefragt und jeden Sommer verflucht er das Regime besonders laut:

Wegen der auf Hochtouren laufenden Klimaanlagen, stellen sie täglich den Strom ab, aber man weiß nie, wann und für wie lange. Das plötzliche Abschalten schadet meinen Maschinen. Würde ich keine Schmiergelder zahlen, um die Uhrzeiten zu erfahren, hätte ich horrende Reparaturkosten.

Dies aber ist der ganz normale Irrsinn in einer korrupten Diktatur, mit der sich Hadi F. sonst gut arrangiert zu haben scheint. Sein politisches Schweigen wurde schon unter Hafez al-Assads mit satten Aufträgen entlohnt, wie die monströsen Lüster und Bronzeskulpturen von Syriens en-vogue-Bildhauer Mustapha Ali in seinem Salon bezeugen.

Doch nicht nur hierein investiert der Kaufmann, sondern auch in "Hafz al-Ni’meh" ("Wahrung der Gnade"), eine Wohltätigkeitsorganisation, betrieben von Damaskus beliebtester Moscheegemeinde Zayd. Deren Scheich, Ussama al-Rifai, wagte zu Beginn des Aufstandes sehr mutige Reden - hält sich aber wieder bedeckter, seitdem starker Druck auf ihn ausgeübt wurde.

Hadi zeigt seine Sympathie für al-Rifai derart unverhohlen, dass man ihn ebenso direkt fragen muss: Würde er sich Demonstrationen in Damaskus anschliessen? Er lacht. "Sehe ich so aus?" Er habe lieber sein Geld auf libanesische Banken geschafft, denn er sehe es keineswegs als seine nationale Pflicht an, das syrische Pfund zu stützen, wie es Präsident Assad in seiner Ansprache jüngst verlangt hatte.

"Was hat diese Nation mir oder sonstwem je gegeben?", fragt er und sein Blick wird sehr direkt. Wenn er in etwas einzahlen würde, dann nur in einen Fonds für die Familien der "Märtyrer" und meint die getöteten Aufständischen.

Die Alawiten - bis zum letzten Blutstropfen?

Am zentralen Busbahnhof ist den Sicherheitsbeamten unterdessen das Lachen keineswegs vergangen. "Was bin ich doch für ein Qabadei!", ruft einer von ihnen im alevitischen Dialekt, vor allem wenn junge verschleierte (und also sunnitische) Damen vorbeihuschen. "Qabadei" ist syrischer Dialekt und bedeutet soviel wie "richtiger Kerl".

Doch im Anblick des Bürschchens fragt man sich: Bist du das? Sein Monatseinkommen dürfte unter dem Chadijés liegen. Zugleich muss er als Alevit, der bei der "Sicherheit" arbeitet, mit Rachefeldzügen seitens der sunnitischen Mehrheit rechnen - zumindest für eine bestimmte Zeit. Werden die Alawiten, die so unterbezahlt wie dieser Mini-Qabadei sind, im Ernstfall bis zum letzten Blutstropfen die Stellung halten? Oder werden sie fliehen?

Robert Malley und Peter Harling von der International Crisis Group nehmen letzteres an und schreiben, viele Alawiten hätten bereits ihre Familien in ihre angestammten, schwer zugänglichen Dörfer im Westen des Landes gebracht.

Und Samer Ayoub? Wo wird er stehen, sollten die Alawiten, von denen er sich so beschützt fühlt, tatsächlich aus der Hauptstadt weglaufen?

In zwei Wochen beginnt Ramadan

Damaskus‘ hochkomplexe Mosaikgesellschaft stellt einen vor schier endlose Fragen. Vielleicht zeigen sich die ersten Antworten aber bald. Im August ist Ramadan. Dann, wenn es noch heißer ist. Wenn die Strom- und Wasserkürzungen besonders spürbar werden. Wenn die reichen Golftouristen ausbleiben werden. Und, wenn es die Syrer verstärkt in die Moscheen zieht - nicht nur an Freitagen.