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Moskau marschiert (ein)

Feldherr, einsam: Wladimir Putin am Montagabend. Bild: kremlin.ru

Russland erkennt "Volksrepubliken" in Ost-Ukraine an und will Truppen entsenden. Nato-Staaten kündigen Sanktionen an. OSZE bestätigt Angriffe auf Zivilisten

Zu Wochenbeginn war noch von einer möglichen diplomatischen Lösung im Streit zwischen der Nato und Russland [1] über den Status der Ukraine die Rede – nun hat Russlands Präsident Wladimir Putin Fakten geschaffen.

Am Montagabend kündigte er die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine an; wenig später stellte er Truppenentsendungen in Aussicht. Bei der Verlegung von Militär in die Separatistengebiete handele es sich um eine "humanitäre Mission", hieß es aus der russischen Kapitale.

Krieg im Donbass (0 Bilder) [2]

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Nach der Anerkennung von Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten durch Russland sollte sich nach übereinstimmenden Agenturberichten zeitnah der UN-Sicherheitsrat mit der Entwicklung beschäftigen. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Albanien, Norwegen und Irland beantragten am Montag eine Dringlichkeitssitzung, die offenbar binnen weniger Stunden stattfinden sollte.

Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete, haben die "westlichen Länder im 15-köpfigen Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (…) in den vergangenen Wochen für den Fall eines Angriffs auf die Ukraine oder einer anderweitigen Eskalation einen Ablaufplan ausgearbeitet".

Dieser beinhalte auch einen Resolutionsentwurf, der die Forderung an Moskau enthalten soll, die territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren. "Es blieb zunächst unklar, ob der Text bei der anstehenden Sitzung eingebracht wird", schrieb die dpa am Abend.

Moskau hatte in den vergangenen. Tagen und Wochen wiederholt behauptet, die ukrainischen Streitkräfte begingen an der russischsprachigen Bevölkerung der beiden abtrünnigen Regionen "Genozid". Auch hatte Moskau angebliche Angriffe auf Zivilisten und Grenzposten gemeldet. Diese Angaben konnten nicht verifiziert werden, die USA und andere Nato-Vertreter sprachen von fingierten Aktionen, um eine Intervention zu rechtfertigen.

Unabhängig von der Bewertung Moskaus bestätigt die Sonderbeobachtungsmission der OSZE in ihren täglichen Berichten Angriffe beider Seiten [4], auch auf zivile Infrastruktur im Separatistengebiet. Diesen Umstand hat sich Putin nun argumentativ zunutze gemacht.

Russische Armee soll für "Frieden" sorgen

Die russischen Truppen, die in den vergangenen Wochen in erheblicher Stärke an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden waren, sollen, so Putin in einer einstündigen Regierungsansprache, in den "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" für "Frieden" sorgen. So steht es in einem Dekret, das Russlands Präsident am Montag unterzeichnet hat.

Bis zuletzt war unklar, wann genau die russischen Truppen in die Separatistengebiete einrücken sollen. Die USA und die EU kündigten gleichwohl bereits Sanktionen gegen Moskau an. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und Ratspräsident Charles Michel führten am Abend aus, die Strafmaßnahmen würden jene treffen, die an der Anerkennung und den Militäraktionen unmittelbar beteiligt seien.

In einer Anordnung von US-Präsident Joseph Biden heißt es damit übereinstimmend:

Ich verfüge, Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die seit dem Datum des Beschlusses (der Anerkennung der "Volksrepubliken", d. Red.) in den betreffenden Regionen tätig sind oder waren oder seit dem Datum der Anerkennung führende Politiker, Beamte, leitende Angestellte oder Mitglieder des Verwaltungsrats einer in der betreffenden Region waren oder sind.

Joseph Biden [5]

Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti verwies in einem ersten Bericht, der mit einem Foto jubelnder [6]Männer mit den Fahnen der Volksrepubliken und Russlands bebildert war, darauf, dass die Anerkennung "vor mehr als einem Monat in der Staatsduma diskutiert worden ist".

Damals habe eine Anerkennung unwahrscheinlich erschienen, weil sie den Verhandlungsprozess im Minsk-Format beenden würde. Seither habe der Kreml aber "endlich eingesehen, dass die Abkommen bereits tot sind".

Mit harschen Worten wandte sich der Anführer der Volksrepublik Donezk an die Menschen. Denis Puschilin wiederholte in einer Nachricht auf dem Messengerdienst Telegram die These von Angriffen auf Zivilisten, gefolgt von einem Appell:

Wir müssen unsere Anstrengungen bündeln. Ich rufe die gesamte männliche Bevölkerung – alle, die in der Lage sind, eine Waffe in der Hand zu halten – auf, zu den Militärkommissariaten zu kommen und sich zur Verteidigung ihrer Familien, ihrer Kinder, ihrer Frauen, ihrer Mütter und unseres Vaterlandes zu erheben.

Gemeinsam werden wir den Donbass und das gesamte russische Volk verteidigen! Gemeinsam werden wir den Sieg erringen!

Dennis Puschilin [7]

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6514268

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[1] https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Konflikt-Hoffnung-auf-Waffenruhe-am-Telefon-6507036.html
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6516567.html?back=6514268;back=6514268
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6516567.html?back=6514268;back=6514268
[4] https://www.osce.org/files/2022-02-20-21%20Daily%20Report_ENG.pdf?itok=82567
[5] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2022/02/21/letter-to-the-speaker-of-the-house-of-representatives-and-the-president-of-the-senate-regarding-the-blocking-property-of-certain-persons-and-prohibiting-certain-transactions-with-respect-to-continued/
[6] https://ria.ru/20220222/donbass-1774199633.html
[7] https://t.me/pushilindenis/2005