Ukraine-Konflikt: Hoffnung auf Waffenruhe am Telefon …
… Macron und Putin vereinbaren einen diplomatischen Lösungsweg. Fraglich ist, welche Substanz er angesichts der dramatischen Aufladung der Situation hat. Update: Auch zum Gipfeltreffen Biden/Putin gibt es Unklarheiten
In den nächsten Stunden soll die Trilaterale Kontaktgruppe zusammentreffen, um einen Waffenstillstand im Osten der Ukraine zu erreichen, teilte heute Nachmittag der Elysée Palast mit.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte ein längeres Telefongespräch mit seinem russischen Amtskollegen zum Ukraine-Konflikt geführt. Beide haben sich nach Angaben des Präsidentenpalastes in Paris darüber verständigt, dass eine diplomatische Lösung der aktuellen Krise privilegiert und "alles getan" werden soll, um dies zu erreichen. Dafür werde eine intensive diplomatische Arbeit in den nächsten Tagen und Wochen geführt.
Vereinbart wurde am Telefon, dass im Rahmen des Normandie-Formats auch die Forderungen der Ukraine berücksichtigt werden, so das französische Kommuniqué des Gespräches, das angeblich rund eine Stunde und 45 Minuten dauerte. Auch sollten die dafür nötigen Bedingungen erfüllt werden, so wird ein Treffen "auf dem höchsten Level" anvisiert, um "eine neue Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa zu definieren".
Kreml setzt andere Akzente
Auch der Kreml veröffentlichte ein Kommuniqué zum ausführlichen Gedankenaustausch der beiden Präsidenten über die Situation des Ukraine-Konflikts "sowie über die Ausarbeitung langfristiger rechtlicher Sicherheitsgarantien für die Russische Föderation".
Dort ist zwar auch die Rede davon, dass es "ratsam" wäre, "die Suche nach diplomatischen Lösungen über die Außenministerien und politischen Berater der Staatsoberhäupter der Länder des Normandie-Formats zu intensivieren" und dass diese Kontakte dazu beitragen sollen, "den Waffenstillstand wiederherzustellen und Fortschritte bei der Lösung des Konflikts um den Donbass zu gewährleisten" (Übersetzung nach Deep L). Aber es werden auch Akzente gesetzt und Vorwürfe erhoben, die in der französischen Zusammenfassung fehlen.
So wird betont, dass der russische Präsident darauf hingewiesen habe, dass "Provokationen der ukrainischen Sicherheitskräfte die Ursache für die Eskalation seien". Putin habe die Waffenlieferungen ("laufende Versorgung") der Nato-Länder an die Ukraine zum Thema gemacht und gehe in diesem Zusammenhang davon aus, dass diese "Kiew zu einer militärischen Lösung des sogenannten Donbass-Problems drängen". Die Zivilbevölkerung in den beiden "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine, der DNR und der LNR, mussten infolgedessen "nach Russland evakuiert werden, um dem zunehmenden Beschuss zu entgehen".
Putin wirft der ukrainischen Regierung vor, dass sie den Verhandlungsprozess nicht ernstnehme. Man weigere sich in Kiew, "die Minsker Vereinbarungen und die im Normandie-Format getroffenen Vereinbarungen umzusetzen".
Nach dem Gespräch mit dem russischen Präsidenten telefonierte Macron mit dem ukrainischen Präsidenten. Selenskyj lässt per Twitter in englischer Sprache verstehen, dass die jüngsten Provokationen von einem Beschuss der anderen Seite rühren. Seine Seite stehe ebenfalls für eine "Intensivierung des Friedensprozesses": "Wir unterstützen die sofortige Einberufung der TCG (Trilaterale Kontaktgruppe; Anm. d.A.) und die sofortige Einführung eines regime of silence". Vermutlich ist mit letzteren eine Waffenruhe gemeint.
Auf die USA kommt es an
Ob die jüngste Telefondiplomatie für eine Deeskalation sorgen kann, ist angesichts der Dynamik, die den Ukraine-Konflikt in den letzten Tagen und Stunden kennzeichnete, schlecht vorherzusagen. Macron mag der augenblicklich wichtigste Vertreter Europas auf dem diplomatischen Parkett sein, für die russische Führung kommt es aber vor allem darauf an, welche Zusagen die USA und die Nato machen.
Am Ende des Kreml-Kommuniqué heißt es, dass Wladimir Putin die Notwendigkeit betone, "dass die USA und die NATO die Forderungen Russlands nach Sicherheitsgarantien ernstnehmen und ihnen konkret und substanziell nachkommen".
Der letzte Satz des Kremlpapiers kühlt die frühlingshafte Hoffnung aus dem Elysée-Palast, wonach künftige Gipfeltreffen für eine neue friedens- und sicherheitspolitische Ordnung Europas sorgen könnten, auf die Nüchternheit winterlicher Tage herab: "Es wurde vereinbart, die Kontakte auf verschiedenen Ebenen fortzusetzen."
Es sei nicht sicher, ob man Macrons Initiative einen diplomatischen Coup nennen könne, da es fraglich sei, welche Unterstützung ihm vonseiten der britischen Regierung und der US-Regierung zukomme, auch wenn die Schritte Macrons bisher immer auch mit dem Weißen Haus abgesprochen wurden, kommentiert der außenpolitische Experte des Guardian, Patrick Wintour.
Aus Großbritannien kamen die vergangenen Tage nicht gerade vom Geist einer Deeskalation geprägte Einschätzungen zum Ukraine-Konflikt. So sprach die britische Außenministerin Liz Truss davon, dass man Putin stoppen müsse, da die Invasion der Ukraine nur der Anfang wäre:
Die baltischen Staaten sind in Gefahr ... auch der westliche Balkan. Putin hat all dies öffentlich gesagt, dass er ein Großrussland schaffen will, dass er zu der Situation zurückkehren will, wie sie früher war, als Russland die Kontrolle über große Teile Osteuropas hatte. Deshalb ist es so wichtig, dass wir und unsere Verbündeten Putin die Stirn bieten.
Liz Truss
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wertet genau solche Bemerkungen als Provokation angesichts einer hoch aufgeladenen, brenzligen Situation im Donbass. Äußerungen über angebliche Pläne Russlands, in die Ukraine einzumarschieren, würden nur zu einer Verschärfung der Spannungen führen.
In der New York Times wird am Sonntagnachmittag hervorgehoben, dass die USA und die Nato die Manöver mit Beteiligung russischer Streitkräfte in Belarus als Bedrohung der Ukraine verstehen. Dass Russland seine Truppen, anders als erwartet, nicht abziehe, wird von der gut vernetzten und einflussreichen Zeitung als "unheilvolle Wende in dem seit langem schwelenden Konflikt im Donbass" bezeichnet.
Dort wird unterstellt, dass die geschätzt 30.000 russischen Soldaten, die nun länger in Belarus bleiben, den "Aufbau einer Invasionstruppe in der Ukraine" bedeuten. Die Militärmanöver könnten lediglich ein Vorwand sein.
Laut US-Außenminister Antony Blinken sei Präsident Biden "trotz der Einschätzung der US-Regierung, dass Putin bereits beschlossen hat, in die Ukraine einzumarschieren", weiterhin zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir W. Putin bereit.
Update: Treffen zwischen Biden und Putin?
Die Nachricht von einem Treffen zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin war die Top-Meldung am Montagmorgen. Macron hatte gestern noch ein zweites Mal bei Putin angerufen, nachdem er zuvor mit Joe Biden und anderen Staatschefs reihum (Selenskyj, Scholz und Johnson) telefoniert hatte, und ein Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin vorgeschlagen, wie der Elysee-Palast berichtet.
Dort heißt es, dass beide Staatschefs "dem Prinzip eines solchen Gipfels zugestimmt oder akzeptiert" hätten (im Original: "Les Présidents Biden et Putin ont chacun accepté le principe d’un tel sommet".
Dies sei nur eine gewisse Verständigung, aber noch keine konkrete Zusage, erklärte laut Reuters heute Kreml-Sprecher Peskow: Es bestehe Einigkeit darüber, dass "der Dialog auf der Ebene der [Außen-]Minister fortgesetzt werden müsse". Allerdings sei es "verfrüht, über konkrete Pläne für die Organisation eines Gipfels zu sprechen", sagte er.
Biden und Putin hätten immer die Möglichkeit, "wenn es nötig ist", "zu telefonieren oder auf andere Weise zu sprechen".
Auch die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet in ihrer englisch-sprachigen Ausgabe von einem zweiten Telefonat gestern zwischen Marcron und Putin. Dort heißt es, dass sich die beiden Außenminister Lawrow und Blinken am 24. Februar treffen sollen. Ein Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin sei laut Informationen des Elysee-Palastes vorgeschlagen worden ("The Elysee Palace said later that Macron had suggested Putin and Biden should hold a summit...").
Die Tass selbst steuert dazu keine Angaben aus dem Kreml bei.