"Mutti, die Viren haben unser Koks gefressen!"
Kann Kokainsucht bald mit Bakteriophagen geheilt werden?
Bakteriophagen, die kokainbindende Eiweißkörper aufnehmen, versprechen den ersten Erfolg gegen die Kokainsucht, aber auch gegen andere Drogen.
Zwar hatten verschiedene Forscher bereits Proteine entdeckt, die Kokain aus dem Blut herausfischen können, doch wurde das eigentliche Problem bisher nicht gelöst, nämlich die starken Auswirkungen der Droge am "Tatort", dem zentralen Nervensystem, abzufangen. Diesem Problem haben sich Kim Janda und Mitarbeiter zugewandt: sie schleusten eine Bakteriophage als Vermittler unmittelbar ins Gehirn. Ihr Bericht "Treating cocaine addiction with viruses" in PNAS könnte der Anfang vom Ende der Kokainsucht werden.
Die Forscher injizierten zur Bildung von Kokain-Antikörpern befähigte Bakteriophagen zweimal für drei Tage in die Nase von Ratten. Am vierten Tag wurde den Tieren Kokain zugeführt. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigen die mit den Viren behandelten Tiere deutlich weniger motorische Unruhe und stereotypes Verhalten als Wirkung der Droge wie etwa das Schnüffeln.
Viren im Hirn fressen den süchtig machenden Wirkstoff
Die Untersuchungsergebnisse zeigen ferner, dass die Bakteriophage in das Gehirn tatsächlich eindringt und Kokain unschädlich macht. Die Wirkung der Bakteriophage im Gehirn der Ratten ist nach zwei Tagen messbar und erreicht nach vier Tagen das Maximum.
Kokain ist hochgradig suchtfördernd. Abgesehen von Methadon gibt es keine Pharmakotherapie gegen Kokain. Auch wenn kokainähnliche (Agonisten) oder Kokain-artverwandte Stoffe (Antagonisten und Antidepressiva) beim Tier und beim Menschen eingesetzt wurden, brachten sie keinen wirklich überzeugenden Erfolg. Warum? Die Antwort liegt im Kokain selbst: Die Komponenten, die sich einmal im Gehirn befinden, können mit keiner oral oder intravenös verabreichten Substanz direkt angegangen werden.
Das Entfernen aus der Blutbahn ist dagegen kaum wirksam
So wurde in den letzten 10 Jahren von mehren Gruppen versucht, bei Ratten und ähnlichen Tieren den stimulativen Effekt von Kokain durch passive und aktive Immunisierung zu unterdrücken. Diese Untersuchungen zeigen zwar, dass die Antikörper (Anti-Kokain-Antikörper) mit dem Kokain reagieren. Der Erfolg wirkt sich aber nur im Blut aus, nicht jedoch im Gehirn. Ferner haben mehrere Wissenschaftler auf die Butyrylcholinesterase (BChE) gesetzt. Dabei handelt es sich um das wichtigste Enzym, das Kokain abbaut, das aber wiederum nur im Blut vorhanden ist. Weder physiologische noch genetisch hergestellte Butyrylcholinesterase hat eine nennenswerte Wirkung, weil das Zentralnervensystem für die Butyrylcholinesterase nicht erreichbar ist.
Kim Janda und Kollegen kamen nun auf die Idee, Bakteriophagen für diesen Schritt auszuwählen. Bakteriophagen sind Viren, die Bakterien befallen und zersetzen. Die Vermehrung ist äußerst einfach, weil sie in Bakterienkulturen in großem Umfang erfolgt und dementsprechend gesteuert werden kann. Ferner hat bereits G.P.Smith (Science 22, 1315-1317, 1985) gezeigt, dass eine Bakteriophage mit Peptiden, Proteinen oder Antikörpern beladen werden kann.
Der erste Erfolg der Forscher ist es, eine Bakteriophage ins Zentralnervensystem zu bringen, weil dazu die Blut-Hirn-Schranke passiert werden muss. Darüberhinaus muss die Bakteriophage den Wirkstoff binden, der im Gehirn erhöht ist und ausgetauscht werden soll. Beide Schritte sind für die hier ermittelte Bakteriophage bewiesen worden: Der Nachweis der Bakteriophagen im Gehirn konnte durch Gewebsuntersuchungen geführt werden und die Wirksamkeit wurde mit 10, 15 und 30 mg/kg Kokain pro Körpergewicht geprüft sowie im Verhalten der Tiere bestätigt.
Kokain schadet der Nase. Wie steht es mit den Viren?
Bevor Bakteriophagen beim Menschen eingesetzt werden, sind noch einige Fragen zu klären. Dazu zählt nicht nur die Verträglichkeit. Ebenso bedeutsam ist die Langzeitaufnahme über die Nasenschleimhaut. Die Verbindung über diesen Weg wird nicht nur vom Blutfluss zum Gehirn bestimmt, sondern auch von der Immunologie der Nase selbst. Denn der "Nasenring" ist eine wichtige Stelle, um nicht nur Erreger, sondern auch die allergisierenden Komponenten aufzufangen. Die Nase und ihren Zellen sind eine noch keineswegs erforschte Quelle für gute oder schlechte Wechselwirkungen. Schlecht wäre es, wenn sie Antikörper entstehen lässt und damit die Aufnahme der Bakteriophagen behindert.
Immerhin ist dies die erste Untersuchung, die sich der Kokainsucht zuwendet und einen Effekt nachweist. Das ist ein hinreichender Grund, weitere Tier- und Menschenversuche anzuschließen.
Neben Kokain könnten auch andere hirnwirksame Substanzen beseitigt werden
Wenn die Bakteriophagen so wirksam sind, wie bisher am Tier gezeigt, öffnet sich damit ein weites Feld in der Medizin. Neben Kokain ließe sich auch jede andere Substanz beseitigen, für die es Antikörper gibt und die im Gehirn wirksam wird. Der nächste Schritt ist die Bindung des Stoffes (Kokain) in einer ersten und die Verabreichung eines Medikaments in einer zweiten Stufe, wobei beides mit derselben Bakteriophage möglich gemacht wird. Ebenso bedeutsam ist die Zufuhr von Stoffen, die bisher nur gespritzt werden können, weil sie die Gefäß-Hirn-Schranke nur mühsam passieren. Hier öffnen sich mit der Bakteriophage unendlich viele Möglichkeiten.