Nach Ampel-Streit: Keine Kindergrundsicherung vor Mitte 2025
Verzögerte Einführung nach langem Koalitionsstreit. Ob Geld reicht, hängt davon ab, ob mehr als Hälfte der Betroffenen ihr Recht wahrnimmt. Doch es sind weitere Fragen offen.
"Armut und ein Armutsrisiko beeinflussen den Bildungserfolg, die Gesundheit sowie die Entwicklung von Kindern nachteilig und erschweren gesellschaftliche Teilhabe", heißt es zur Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Kindergrundsicherung. Kurz vor Beginn der parlamentarischen Beratungen an diesem Donnerstag wurde nun bekannt, dass sich der geplante Start dieser Transferleistung um mindestens ein halbes Jahr verzögern wird.
Der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) angegeben Termin Anfang 2025 ist nach Angaben Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht mehr zu halten. Der Starttermin sei "aus finanziellen, organisatorischen, infrastrukturellen und personellen Gründen für die BA nicht mehr realisierbar" zitierte die Nachrichtenagentur Reuters aus einer Stellungnahme der Behörde, deren Familienkasse für die Transferleistung zuständig sein soll.
Hintergrund der Verzögerung ist der lange Koalitionsstreit über deren Finanzierung – vor allem zwischen FDP und Grünen. Paus hatte ursprünglich zwölf Milliarden Euro pro Jahr für bis zu 5,6 Millionen betroffene Familien veranschlagt, sich dann aber vorerst auf ein Fünftel dieser Summe herunterhandeln lassen.
Kalkuliert wird mit Verzicht auf Rechtsansprüche
Mit der Kindergrundsicherung werden mehrere staatliche Leistungen vom Kindergeld über das Bürgergeld bis zum Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien zusammengefasst. Die dafür bisher bereitgestellte Summe von 2,4 Milliarden Euro im Startjahr wird allerdings nur reichen, wenn ein erheblicher Teil dieser Familien die Leistung gar nicht in Anspruch nimmt. Paus rechnet damit, dass die Zahl der Haushalte, die trotz bürokratischer Hürden von ihrem Rechtsanspruch Gebrauch machen, in den Folgejahren steigen wird.
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In diesem Zusammenhang werden zum Teil verwirrenden Zahlen genannt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Sven Lehmann, rechnet perspektivisch mit Ausgaben in Höhe von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die immer wieder genannte Ausgabenhöhe von 2,4 Milliarden Euro beziehe sich auf eine Inanspruchnahme-Quote von 50 Prozent, sagte Lehmann während einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses am Montag.
"Wir hoffen, dass die Quote irgendwann bei mindestens 90 Prozent liegen wird", sagte er. Dann sei von einer Investition von etwa 7,5 Milliarden Euro auszugehen. Das gehe dann auch stärker in die Richtung der von Paus ursprünglich genannten zwölf Milliarden Euro.
BA will Umsetzung erst planen, wenn Bundesrat grünes Licht gibt
Wann die Kindergrundsicherung von Bundestag und Bundesrat beschlossen wird, ist noch nicht absehbar. Das Vorhaben steht erst am Anfang der parlamentarischen Beratungen. An diesem Donnerstag wird der Gesetzentwurf in erster Lesung beraten, für Montag ist eine Expertenanhörung im Familienausschuss geplant.
Die BA sieht aber erst nach der Verabschiedung durch den Bundesrat die Möglichkeit für eine konkrete Umsetzungsplanung. Zum Beispiel müsse sie Personal für 5.355 Vollzeitäquivalente rekrutieren und vor allem qualifizieren, heißt es in der Stellungnahme.
Darüber hinaus sieht die BA zahlreiche ungeklärte Punkte im Gesetzentwurf. Offen bleibe darin zum Beispiel, wie intensiv rund 400.000 Jugendliche, die aufgrund eines eigenen Anspruchs auf Kindergrundsicherung keinen Anspruch mehr auf Bürgergeld hätten, betreut und vermittelt werden sollen. Dies müsse im parlamentarischen Verfahren "unbedingt geregelt werden, um den Berufseinstieg vieler junger Menschen nicht zu gefährden", erklärt die BA.