Nach SPD-Parteitag: Wie zu Gerhard Schröders Zeiten

Seite 3: Aufgabe sozialdemokratischer Positionen in Koalitionsvereinbarung

Der Kapitulation in der Sicherheitspolitik entspricht die Aufgabe weiterer zentraler Forderungen, mit denen die SPD in den Wahlkampf gezogen war. So wird es keine Einkommensteuerreform geben, die die unteren Schichten entlastet – von der Einführung einer Vermögenssteuer ganz zu schweigen.

Der Mietendeckel wird nicht verstärkt, und von der geforderten Eingliederung der privaten Krankenversicherung in eine Bürgerversicherung ist keine Rede mehr. Auch die Schuldenbremse soll wieder in Kraft gesetzt werden, sobald die Corona-Pandemie überwunden ist.

Die Hartz IV-Regelungen werden lediglich angepasst und die Grundsicherung das schöne Wort "Bürgergeld" erhalten. Die Ampelkoalition geht dabei – wie zuvor schon die Große Koalition – sowohl vom Prinzip des "aktivierenden Sozialstaates" als auch von der falschen Ursachenanalyse aus, dass Arbeitslosigkeit von den Betroffenen selbst verschuldet wird.

Auf eine konkrete Erhöhung des heute bei lächerlich geringen 446 Euro liegenden Hartz-IV-Satzes legte sich die "Fortschrittskoalition" nicht fest.

Kritiker wie Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, werfen den Ampel-Parteien daher einen "Etikettenschwindel" vor, weil die Reform außer einem neuen Namen kaum substanzielle Verbesserungen für Arbeitslose bringe.

Viel Lob erhielt hingegen die "Bürgerversicherung" von der Kapitalpartei FDP. Allein die Heraufsetzung des Mindestlohns auf 12 Euro kann als einer der wenigen Erfolge der SPD bei den Koalitionsverhandlungen gewertet werden.

Für all diese uneingelösten SPD-Wahlkampfversprechen wird nun die Stärke der FDP in den Koalitionsverhandlungen verantwortlich gemacht. Das ist jedoch allenfalls die halbe Wahrheit. Tatsächlich eignen sich die Liberalen für Kanzler Scholz ideal dafür, sich hinter ihnen verstecken zu können.

So kann er verdecken, dass er, der als Generalsekretär Schröders – des "Genossen der Bosse" –, in der Partei aufstieg, heute alles unternimmt, um sich ja nicht mit den Wirtschaftsinteressen der Herrschenden in diesem Lande anlegen zu müssen.

Scholz und mit ihm die gesamte Riege der Parteirechten sind denn auch in Wirklichkeit froh darüber, dass die Partei Die Linke so schlecht bei den Bundestagswahlen abschnitt, sodass es selbst für eine rechnerische Mehrheit nicht gereicht hätte. Das ersparte ihm zu begründen, warum für ihn eine solche Zusammenarbeit tatsächlich niemals infrage gekommen wäre. Das sieht die FAZ ganz richtig1:

Schwer auszudenken, was Scholz geblüht hätte, wäre eine Links-Koalition rechnerisch möglich gewesen. Das Wahlergebnis war ein Segen für Scholz. Und die Union hatte ihm mit ihrer Last-Minute-Kampagne gegen die Linke dabei noch geholfen.

Eine marginalisierte Parteilinke

Eine traurige Rolle in der Rückwende der SPD zu Schröder spielt die verbliebene, marginalisierte Parteilinke. Die langjährige Vorsitzende des innerparteilichen Zusammenschlusses "Forum Demokratische Linke – DL 21" und Kritikerin der Nominierung von Scholz, Hilde Mattheis, hatte es auf dem Parteitag 2019 nicht einmal mehr als Beisitzerin in den Parteivorstand geschafft.

Uwe Kremer, einer der Herausgeber der linksozialdemokratischen Zeitschrift Sozialistische Politik und Wirtschaft (spw) sah in der Nominierung von Olaf Scholz hingegen "die Chance eines gemeinsamen Lernprozesses, da es schließlich für alle Beteiligten um reformpolitisches Neuland geht."1

Selbst die einst so radikalen Jusos sind längst zahm geworden. Über ihren Bundeskongress vom 26. bis 28. November 2021 konnte die FAZ vermelden1:

Die Mitglieder folgen mehrheitlich ihrem Kurs [der SPD, A.W.], dürfen rhetorisch aber ein bisschen Dampf ablassen. Das Ampel-Bündnis infrage gestellt hat aber niemand an diesem Wochenende. Es wird grundsätzlich als Chance gesehen, nicht mehr mit der Union regieren zu müssen. Es gab noch nicht einmal die Forderung, dass alle Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen sollen.