Nach ukrainischen Erfolgen: Bombenstimmung in Deutschland
Eine Stärkung der Ukraine wurde stets als Voraussetzung für Friedensverhandlungen genannt. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. So zeigt sich, wie richtig es ist, sich auf keine Seite zu stellen.
"Seit wir die erste Panzerabwehrrakete an die Ukraine geliefert haben, haben wir tödliche Waffen geliefert", erklärte am Montag Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Dort sprach der erklärte Bellizist, der seit Monaten für mehr Waffen an die Ukraine trommelt, auch sonst Klartext. Schon mit den ersten Waffen sei die Eskalation eingetreten, vor der Russland immer gewarnt habe. Daher sei diese Drohung auch nicht besonders ernst zu nehmen. Zudem ist er davon überzeugt, dass man Deutschland durchaus mehr Kriegsbeteiligung zumuten kann.
Es sind bezeichnende Interview-Aussagen, die in diesen Tagen nicht allein stehen. Seit ukrainische Kampfverbände, darunter stramme Nationalisten, die russischen Truppen an einigen Stellen vertrieben haben, mehren sich in Deutschland Forderungen nach weiteren schweren Waffen an die Ukraine.
Die FDP-Rüstungslobbyistin Marie Agnes Strack-Zimmermann, die seit Monaten an der Spitze der bellizistischen Front in Deutschland steht, will nun deutsche Panzer an die Ukraine zu liefern, notfalls auch im Alleingang.
Das fordert auch Grünen-Ko-Chef Omid Nouripour. Dem schließt sich der CSU-Abgeordnete Florian Hahn an. Die ukrainischen Erfolge zeigen aus seiner Sicht, dass das Land nur weiter mit Waffen vollgestopft werden muss. Tatsächlich macht niemand ein Hehl daraus, dass die partiellen Erfolge nur mit Nato-Waffen möglich sind.
Jetzt will eine große Koalition von der Union über die FDP bis zu den Grünen, dass Deutschland weiter vorprescht. Nur die SPD warnt zumindest aktuell noch vor Alleingängen und will die Ukraine im Chor mit den anderen Nato-Staaten bewaffnen.
Wer redet jetzt von Verhandlungen?
Für die Position, sich im Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf keine Seite zu stellen, gab es bis in linke Kreise hinein viel Kritik. Vor wenigen Wochen hieß es noch, ein Erfolg der Ukraine sei nötig, damit überhaupt wieder Verhandlungen mit Russland denkbar seien, denn das Land müsse zuerst seine Position dafür stärken. Nach den aktuellen ukrainischen Erfolgen gibt es aber nur ganz leise Stimmen, die wie ein Kommentator im Neuen Deutschland "Friedensverhandlungen jetzt" fordern.
Der Großteil der Medienmacher in Deutschland hat hingegen mit den ukrainischen Erfolgen Blut geleckt und denkt gar nicht daran, jetzt Friedensverhandlungen zu fordern. Durch die aktuelle Kriegbegeisterung wird einmal mehr deutlich, wie richtig die Position ist, sich im Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf keine Seite zu stellen.
Eine Deutschlandfunk-Korrespondentin hat die ukrainischen Erfolge begeistert kommentiert, aber zu bedenken gegeben, dass "der Erfolg verteidigt werden muss" und "noch viel Arbeit zu tun bleibt". Mit einer solch technokratischen Sprache wird verdeckt, dass es sich hier um einen blutigen Krieg handelt, in dem auf beiden Seiten Menschen sterben oder verletzt werden. Der Krieg wird sprachlich zu einer "Arbeit", die getan werden muss. In der Praxis heißt das aber: noch mehr Tote, noch mehr Verstümmelte.
Der Traum vom Zerfall Russlands
Auch in der Ukraine schüren die Erfolge der letzten Tage die Träume der Nationalisten, die einen Zerfall Russlands in seiner jetzigen Gestalt das Wort reden. Es ist nicht verwunderlich, dass sie damit in Deutschland bei vielen auf offene Ohren stoßen. Da knüpfen eben manche da an, wo die Wehrmacht und ihre ukrainischen Hilfswilligen 1943 gescheitert sind.
Die Sowjetunion schälen, wie eine Zwiebel – diese Forderung sickerte Ende der 1970er-Jahre über sogenannte nationalrevolutionäre Gruppen der neuen Rechten schon früh auch in den Forderungskatalog der Grünen ein. Allerdings gab es lange Zeit Widerstand des linken Flügels dagegen, der aber mehrheitlich Ende der 1980er-Jahre entweder aus der Partei gedrängt war oder sich realpolitisch anpasste.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Einsturz des Systems von Jalta, der Nachkriegsordnung, die die Alliierten ohne Deutschland durchgesetzt hatten, ging es los mit dem Schälen der Sowjetunion. Nun wollen manche Russland weiter schälen. Bis in linke Kreise hinein wird auf einmal über eine Dekolonisierung Russlands geredet, was auch nur eine Form der Zerschlagung Russlands ist.
Der bürgerliche Racket-Staat Russland
Tatsächlich ist es auch nötig, die besondere Form des russischen Kapitalismus kritisch zu betrachten. Es gibt die Theorie vom bürgerlichen Racket-Staat Russland. Der Philosoph Thorsten Fuchshuber, der seine überarbeitete Dissertation unter dem Titel "Rackets – kritische Theorie der Bandenherrschaft" im Ca Ira Verlag veröffentlichte, setzte sich kenntnisreich auch mit der Herrschaft in Russland auseinander.
Aus Fuchshubers Sicht agiert Wladimir Putin nicht als ideeller Gesamtkapitalist, der die unterschiedlichen Kapitalinteressen unterwirft, sondern als Vertreter der Rackets, die in der Phase der Schwäche des russischen Staates nach der Jelzin-Ära nach oben kamen. Der Zerfallstendenz wirkte Putin demnach nicht etwa durch Entmachtung und rechtsstaatliche Integration der Rackets entgegen, soweit das innerhalb staatlicher Herrschaftsformen wenigstens möglich ist, sondern dadurch, dass er sich an deren Spitze setzte.
Welche Folgen eine zumindest partielle russische Niederlage in der Ukraine für dieses Machtgefüge haben kann, ist völlig offen. Ein Zerfall Russlands ist durchaus nicht ausgeschlossen. Dass aber weitere autoritär regierte Kleinstaaten, teilweise im Besitz von Atomwaffen, die Welt nicht sicherer machen, dürfte klar sein.
Genau so evident ist, dass eine Ukraine, mit ihrem erheblichen nationalistischen Potenzial, selbst wenn sie sämtliche Kriegsziele erreicht, ein ständiger Konfliktherd bleiben wird, dass kann die Propaganda über die so demokratische Ukraine nicht verdecken.
Der Konflikt mit Russland oder irgendwelchen Teilstaaten ist vorprogrammiert. Vor 107 Jahren haben sich Kriegsgegner aus ganz Europa im Schweizer Zimmerwald getroffen und ein Manifest verabschiedet, in dem es hieß: "Über die Grenzen, über die dampfenden Städte und Dörfer hinweg rufen wir Euch zu: Proletarier aller Länder vereinigt Euch". Die Forderung hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, wenn es um den Kampf gegen den Krieg geht, auch wenn das Proletariat, das den Krieg beenden könnte, heute viel zerstreuter ist.