Nato: "Das Gehirn wird das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts"
In der Nato wird eine neue Gefahr propagiert: die "kognitive Kriegsführung", die Verhalten und Denken der Menschen manipulieren kann. Mit der "Militarisierung der Neurowissenschaften" soll ein Krieg um die Köpfe geführt werden
In der Nato geht das Konzept einer "kognitiven Kriegsführung" umher, seitdem man 2014 gesehen hat, dass die bislang praktizierte strategische Kommunikation ein zweites Mal im Ukraine-Konflikt gescheitert ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte man gegen den Ostblock, der Meinungs- und Pressefreiheit von oben zu kanalisieren suchte, auf den freien Informationsfluss (free flow of information).
Auch das Internet wurde zunächst noch als Mittel gesehen, die gegnerischen autoritären Systeme zu unterwandern, bis die Islamisten mit 9/11 und im Irak-Krieg gezeigt haben, dass sich der freie Informationsfluss im Internet, aber auch mit zu eigenen Sendern konkurrierenden Auslandssendern wie al-Jazeera - und später Russia Today, TeleSur oder PressTV - unterwandern lässt.
In einer Studie über kognitive Kriegsführung des mit der Nato verbundenen Innovation Hub geht es darum, dass in zunehmend asymmetrischen und grauen Konflikten die Möglichkeiten wachsen, den menschlichen Geist mit "neurowissenschaftlichen Techniken und Mitteln" zu manipulieren und letztlich "Neurowaffen" zu entwickeln.
Das erweitere die traditionellen Manipulationstechniken durch die Informationstechnik und den Infowar und führe zu einer "Militarisierung der Neurowissenschaften". Mit Übertreibungen wird nicht gespart: "Das Gehirn wird das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts." Nicht mehr das Territorium, "die Menschen sind die umkämpfte Domäne".
Der menschliche Geist gilt nun als neue, sechste Kriegsdomäne neben den klassischen Domänen Land, Meer und Luft sowie den neuen im Weltraum und im Cyberspace. Es wird davon ausgegangen, dass die Menschen mit dem Informationsfluss nicht mehr zurechtkommen, was die Legitimation darstellt, gegen die angebliche Bedrohung anzugehen, da doch die Feinde in diesem Feld viel investieren. Und die Bedrohung ist natürlich groß, schließlich sollen Russland und China schon aktiv an der kognitiven Kriegsführung arbeiten.
Die Thematisierung der kognitiven Kriegsführung vermischt Krieg und Frieden und ist allgegenwärtig, der Feind ist überall, auch im Alltagsleben und nicht zuletzt eben in die Gehirne zieht der hybride Krieg ein:
"Die Kriegsführung im kognitiven Bereich mobilisiert ein breites Spektrum an Strategien, Instrumenten und Techniken. Im Kern geht es darum, die Kontrolle über Orte, Gruppen, Einheiten, Organisationen und Nationen zu erlangen, indem man auf die Gehirne ihres Personals, sowohl des zivilen als auch des militärischen, abzielt und diese beeinflusst."
Letztlich gehe es darum, das Vertrauen der Menschen zu untergraben.
Dargestellt wird dies nach dem gewohnten Schema, dass man sich gegen neue Strategien des Feindes wappnen müsse, dabei geht es wohl darum, Mittel zu entwickeln, genau dies selbst machen zu können:
"Unabhängig von der Art und dem Ziel der Kriegsführung läuft es immer auf einen Zusammenstoß des menschlichen Willens hinaus, und daher wird der Sieg durch die Fähigkeit bestimmt, einem ausgewählten Publikum ein gewünschtes Verhalten aufzuzwingen."
Die Nato müsse, so heißt es im Papier, in den eigenen militärischen Organisationen den "Entscheidungsprozess" schützen und den des Feindes stören.
Da immer mehr von technischen Systemen abhängt und allmählich der Übergang zu autonomen Systemen geschieht, schein die Konzentration auf Neurowaffen und -verteidigungsmittel etwas anachronistisch, weil es dann doch eher um Cyberwaffen und Kontrolle bzw. Übernahme von KI-Systemen gehen sollte. Aber die Ausrichtung auf das Gehirn hat den Vorteil, die Kriegsführung auch vor einem Konflikt auf alle auszudehnen, um Entscheidungsprozesse und ein gewünschtes Verhalten aufzuzwingen.
Damit werden schon Gedanken in den Köpfen gefährlich und gibt es auch keine öffentliche Kommunikation mehr, die nicht überwacht und kontrolliert werden müsste, weil hier mit Informationswaffen geschossen wird:
"Die kognitive Kriegsführung ist potenziell endlos, da es bei dieser Art von Konflikten weder einen Friedensvertrag noch eine Kapitulation geben kann."
Mit dem Krieg gegen den Terror wurde schon der lange Krieg gefunden, jetzt soll er also auf endlos gestellt werden. Dazu muss kräftig die Paranoia geschürt werden:
Die heutigen Fortschritte in der Nanotechnologie, der Biotechnologie, der Informationstechnologie und der kognitiven Wissenschaft (NBIC), verstärkt durch den scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug einer Troika aus künstlicher Intelligenz, Big Data und zivilisatorischer "digitaler Sucht"’, haben eine weitaus bedrohlichere Perspektive geschaffen: eine eingebettete fünfte Kolonne, in der jeder, ohne es zu wissen, nach den Plänen eines unserer Konkurrenten handelt.
August Cole, Hervé Le Guyader
Es handelt sich nicht um eine exotische Idee, die in einem Hinterzimmer der Nato ausgebrütet wird, wie man meinen könnte. Ende November veranstalten Nato HQ Supreme Allied Command Transformation (SACT) und der Nato Innovation Hub mit dem kanadischen Verteidigungsministerium den Workshop 2021 Nato Innovation Challenge.
Man merkt schon in den Formulierungen, dass die seit 2016 in den USA während des Präsidentenwahlkampfs geschürten Ängste vor Beeinflussungsoperationen des Feindes fortgeführt und erweitert werden sollen:
Bei der kognitiven Kriegsführung wird der Geist (mind) als Schlachtfeld und umkämpfter Bereich betrachtet. Ihr Ziel ist es, Dissonanzen zu erzeugen, widersprüchliche Narrative zu schüren, Meinungen zu polarisieren und Gruppen zu radikalisieren. Kognitive Kriegsführung kann Menschen zu Handlungen motivieren, die eine ansonsten kohäsive Gesellschaft stören oder fragmentieren können. Die daraus resultierende Unordnung kann die Entscheidungsfindung beeinflussen, Ideologien verändern und Misstrauen unter den Verbündeten erzeugen.
Bewerben können sich für die Teilnahme "nicht-traditionelle Denker" aus den Nato-Mitgliedsstaaten, um Möglichkeiten vorzustellen, wie sich "die konitive Domäne gegen Angriffe sichern" lässt. Interessiert sei die Nato an "neuen Techniken und Mitteln, mit denen sich die Gefahr von Angriffen auf den Geist bekämpfen lassen".
Klar ist dabei, dass der Krieg auch im öffentlichen Kommunikationsraum geführt wird, wo jetzt bereits immer mehr der angebliche Feind bekämpft wird, der unerwünschte Meinungen äußert und verbreitet. Wenn nicht schon länger begraben, ist das das Ende des herrschaftsfreien Diskurses, der Demokratien zugrundgeliegt.
Hintergrund: Erste Bemühungen im Krieg gegen den Terror
Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurde während des Irak-Kriegs nicht müde zu betonen, dass man im Medienkrieg unterlegen war, um eine große Propaganda-Abteilung zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu fordern.
Das geplante Office of Strategic Influence scheiterte damals ebenso wie das Überwachungsprogramm Total Information Awareness, allerdings wurden die Ansätze dennoch weiter verfolgt. Das hat Edward Snowden aufgezeigt, und das wird auch bei den Bemühungen deutlich, die Informationshoheit zu gewinnen, indem die Gefahr der gegnerischen Beeinflussung herausgestrichen wird.
Mittlerweile wird es immer deutlicher, dass im Zuge des nach dem Kalten Krieg einsetzenden Kampfs gegen den Terror und der erneuten geopolitischen Konkurrenz der Großmächte wieder wie im Kalten Krieg es nicht nur um einen Kampf mit Waffen und um Territorien geht, sondern um die Köpfe der Menschen, also um die Informationshoheit. Eine erste Theorie war vielleicht die Memetik von Richard Dawkins, die mit einer Analogie zur genetischen Information, biologischen Viren und Computerviren erklären wollte, wie neue Informationen Gehirne infizieren.
Um die Information geht es in jedem Krieg und Konflikt. Früher hat man vor Propaganda und falschen Gerüchten gewarnt, heute geht es um hybride Kriegsführung, Desinformation, Beeinflussungsoperationen oder zu Waffen gemachte Information (weaponized information). Oder eben um kognitive Kriegsführung. Eigentlich sind das nur neue Begriffe alter Strategien und Befürchtungen der Mächtigen.
Exkurs: Gerüchte, Desinformation und Verschwörungstheorien
Gerüchte haben die Mächtigen schon immer gefürchtet und entsprechend bekämpft. Gerüchte, heute als Verschwörungstheorien, Desinformation, Fake news etc. bezeichnet und diffamiert, sind der unkontrollierbare "Schwarzmarkt der Information", der "erste freie Rundfunk", sagt Jean-Noel Kapferer. Sie sind das "älteste Massenmedium":
Bevor es die Schrift gab, verfügten die Gesellschaften nur über den einzigen Kommunikationskanal der mündlichen Mitteilung. Das Gerücht übermittelte Nachrichten, verlieh Ansehen und zerstörte es, beschleunigte Unruhen oder Kriege.
Kapferer, der sein Buch über Gerüchte 1987 veröffentlichte, konnte noch nicht erkennen, dass die sogenannten Sozialen Netzwerke in einer sich instantan verbreitenden und ungefilterten Kurzform des Schriftlichen eine neue "Mündlichkeit" entwickelt hat. Aber er machte klar, dass man Gerüchte nicht analysieren kann, wenn man sie als falsch erklärt.
Als Gerücht versteht er "das Auftauchen und die Verbreitung von Informationen im gesellschaftlichen Organismus, die entweder von den offiziellen Quellen noch nicht öffentlich bestätigt sind oder von diesen dementiert werden."
Das Gerücht ist kritisch auf die Autorität bezogen, es ist eine politische Äußerung und bestreitet die Autorität der offiziellen Sprecher und der vorherrschenden Meinung. Kapferer geht davon aus, dass ein Dementi oder eine Widerlegung eher die virale Verbreitung des Gerüchts stärkt, das ließe sich wohl auch auf die derzeit gängigen Faktenchecks erweitern, die suggerieren, die Fakten von Gerüchten, Halbwahrheiten oder Fake News allgemeinverbindlich trennen zu können, also die Wahrheit zu vertreten, während sie oft selbst einseitig und selektiv vorgehen.
Der Artikel erschien zuerst bei Krass & Konkret.