Nazivergleiche und Faschismusbegriff: Wie viel NSDAP steckt in der AfD?
Nazivergleiche und auch Gleichsetzungen nehmen zu. Das trägt kaum zur analytischen Auseinandersetzung bei. Diese Gefahr wird unterschätzt. Ein Kommentar.
"Von Blau zu Braun" titelte die taz bereits im letzten Jahr zum zehnten Jubiläum der AfD-Gründung. Dort wurden allerdings vor allem ehemalige Parteigründer zitiert, die sauer sind, dass sie heute nicht mehr viel zu sagen haben. Dass es in den vergangenen zehn Jahren eine Rechtsverschiebung innerhalb der Partei gegeben hat, wird wohl keiner bestreiten, der sich mit der Entwicklung der AfD befasst.
Braun: Farbe der Sturmverbände, die es in der AfD nicht gibt
Aber rechtfertigt das, sie im Grunde als NSDAP 2.0 zu bezeichnen? Nur dann ergibt es Sinn, die AfD mit der Farbe Braun zu markieren. Die NSDAP wurde mit dieser Farbe identifiziert, weil ihre Sturmverbände Braunhemden getragen haben. Eine solche Formation gibt es bisher bei der AfD nicht, was aber in der Debatte keine besonders große Rolle spielt.
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Es geht auch nicht um eine analytische Untersuchung. Da würden Beobachter der rechten Szene immer noch die großen Unterschiede zwischen NSDAP und AfD betonen. Es geht um eine politische Einordnung. Wenn die AfD in die Nähe der NSDAP gerückt wird und sich diese Vorstellung auch gesellschaftlich durchsetzt, könnte dies verhindern, dass die AfD als Koalitionspartner infrage kommt und damit normalisiert wird.
Das sind Überlegungen derjenigen, die diese Nazivergleiche offensiv verteidigen. Es geht ihnen also darum, dass die AfD möglichst weit aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgegrenzt wird, dass sie aus dem braunen Eck nicht mehr herauskommt.
Und was ist, wenn das nicht gelingt? Wenn von einem Teil der Wähler genau diese Braunfärbung zum Anlass nimmt, sich hinter die AfD zu stellen und sie dann erst recht wählen? Dann würde das Anbräunen der AfD diese sogar stärken.
Was, wenn bewusst Rechtsextreme gewählt werden?
Man könnte sagen, damit entlarven sich die Wähler besonders, wenn sie ganz bewusst eine Partei wählen, die man auch als rechtsextrem bezeichnen kann, ohne dass man dafür den Verfassungsschutz bemühen muss. Das trifft sicher auf viele Wähler zu. Sie wählen die AfD nicht obwohl, sondern weil sie als rechtsextrem benannt wird.
Es geht bei den Nazivergleichen nicht um den harten rechten Kern, sondern um Unentschlossene, die die AfD wählen würden, aber vielleicht dafür zurückschrecken, wenn sie mit den Nazis gleichgesetzt wird. Vor allem aber geht es darum, zu verhindern, dass etwa die CDU oder auch das BSW vielleicht nach langen vergeblichen Koalitionsverhandlungen in einem Bundesland doch mal auf die Idee kommen, es mit der AfD zu versuchen.
Das ist mit einer Partei, die in der Öffentlichkeit als NSDAP 2.0 gilt, wesentlich schwieriger. Nun werden viele sagen, dass es doch ein sinnvolles Anliegen ist, der AfD mögliche Koalitionspartner zu nehmen. Wo ist dann aber das Problem?
Enger oder weiter Faschismusbegriff?
Das Problem liegt darin, dass hier eines politischen Zweckes wegen die Analyse vernachlässigt wird. Da müsste man im ersten Schritt fragen, ob die AfD als faschistische Bewegung eingeordnet werden kann. Nun gibt es seit 100 Jahren in der internationalen Linken und der Arbeiterbewegung heftige Auseinandersetzungen um die Frage, welche nationalistischen Bewegungen als faschistisch gelten.
In der Türkei haben sich an dieser Frage viele Linke gespalten, in Argentinien zerstritten sich linke Gruppen darüber, ob der Peronismus eine Facette des Faschismus oder im Gegenteil Bündnispartner der Linken ist. Auch in Deutschland war der Faschismusbegriff immer umstritten. Man erinnere sich nur an die Sozialfaschismusthese der KPD in den frühen 1930er Jahren.
Danach waren SPD und NSDAP zwei Bereiche des Faschismus. Auch nach 1945 entbrannte in der gesellschaftlichen Linken immer wieder Streit an der Frage, ob eine Bewegung faschistisch oder rechtskonservativ ist. Mit der Frage, wie man den Charakter der AfD beurteilt, setzt man also den alten innerlinken Streit über die Voraussetzungen des Faschismus fort.
Nur Faschisten oder auch Nazis?
Die Frage ist einerseits, ob die AfD als faschistisch bezeichnet werden kann. Eine wesentliche Zuspitzung besteht aber darin, sie mit den Nazis gleichzusetzen, also der spezifischen deutschen Form des Faschismus, die mit der Shoah, dem Massenmord an Juden und dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion verbunden ist.
Immer wieder und an unterschiedlichen Orten der Welt werden bestimmte Bewegungen oder Einzelpersonen mit den Nazis verglichen, was zu einer Inflationierung des Nazibegriffs führt. Wenn aber für jedes Ärgernis und alles "Böse in der Welt" die Nazis verantwortlich sind, werden sie letztlich verharmlost und normalisiert.
Die besondere Verbrechensgeschichte der Nazis, vorwiegend der Massenmord an den Jüdinnen und Juden, wird dadurch bagatellisiert. Es waren in den 1990er-Jahren gerade Kritiker der deutschen Verhältnisse, die die vor einer solchen Relativierung der NS-Herrschaft warnten, als alle Kriege und alle autoritären Herrschaftsformen in der Welt mit Nazivergleichen belegt wurden.
Besonders makaber ist es, wenn in Deutschland Israel oder auch die Sowjetunion, genauer gesagt: Russland, mit Nazivergleichen belegt werden. Heute scheint von diesen frühen Warnungen vor einem inflationären Nazibegriff wenig geblieben zu sein, wenn man die AfD nicht nur als Spielart des Faschismus, sondern gleich als Nazis bezeichnet.
Der instrumentelle Nazibegriff
Nun ist es bekannt, dass auch die Nazi- bzw. Faschismusvergleiche einen klar instrumentellen Zweck hatten, So fällt auf, dass die taz, die angekündigt hat, die Linien für die AfD-Ergebnisse bei Wahlen braun einzuzeichnen, ganz ohne jegliche Bezüge auf Nazis und Faschismus auskommt, wenn sie über die Asow-Brigaden in der Ukraine berichtet.
Unter der Überschrift "Demokratischer Mentalitätswandel" wurde dort berichtet, dass sich in der Ukraine Soldaten unsinnigen oder besonders gefährlichen Entscheidungen der Militärhierarchie widersetzen und öffentliche Kritik an Vorgesetzten üben.
"Mit dieser Überprüfungspraxis wurde in einer der renommiertesten Einheiten der ukrainischen Armee – der 12. Brigade der Nationalgarde ‚Asow‘ – begonnen", heißt es dann in dem Artikel ganz wertfrei. Da wird mit keiner Silbe erwähnt, dass die Asow-Brigaden von Neonazis gegründet wurden und dass sie heute noch entsprechende Symbole tragen.
Rechtsextremer Kampfverband mit Renommee
Deshalb wurden erst vor wenigen Wochen Propagandaauftritte von Asow in mehreren europäischen Städten verhindert. Doch dem taz-Journalisten Juri Konkewitsch ist die Nazi-Connection kein Wort wert, im Gegenteil hebt er Asow noch positiv hervor, in dem er von "renommierten Asow-Brigaden" spricht.
Man stelle sich nur vor, in der taz würde über eine innerparteiliche Entwicklung der AfD geschrieben . Natürlich würde dort der Zusatz nicht fehlen, dass es um eine laut Verfassungsschutz um eine rechtsextreme Organisation geht – oder es würde gleich von Nazis oder Faschisten gesprochen.
Wenn dann in der taz ein Autor die rechtsextremen Asow-Brigaden nur als "renommiert" hervorhebt, zeigt sich ein instrumenteller Umgang mit Nazi- und Faschismusvergleichen. Weil Asow in der Ukraine aufseiten des Westens und vor allem Deutschland kämpft, wurden sie schon mal vorsorglich entnazifiziert.
Solche Töne in der Zeitung zu lesen, die bis zur Farbe der Zustimmungswerte in Umfrage-Grafiken die AfD als Nachfolger der Nazis darstellen will, muss zumindest irritieren. Hier wird schnell deutlich, dass mit den Nazibegriffen beliebig verfahren wird. Was einem politisch in den Kram passt, wird entnazifiziert, was man ablehnt, muss dann kräftig angebräunt werden. Das hat mit antifaschistischer Analyse wenig zu tun.
Der autoritäre Staat, die AfD und die Restlinke
Vor allem soll damit vergessen gemacht werden, dass es keinen Faschismus benötigt, um Kriege zu führen und die Menschenrechte selektiv außer Kraft zu setzen. Aktuell können sich in Deutschland die Staatsapparate aus der Kritik nehmen, indem sie nur besonders klar die AfD als Nazis und Faschisten bezeichnen.
Dann kann umso geräuschloser der autoritäre Umbau des Staates vorangetrieben werden, wie es in letzten Jahren in Deutschland geschehen ist, wo die Politiker ganz offen bekunden, dass Deutschland kriegsfähig gemacht werden soll. Darauf hat Manfred Sohn am Freitagabend bei einer Veranstaltung im Berliner Sprechsaal hingewiesen, die sich kritisch mit der politischen Funktion des Faschismusbegriffs befasste.
Tatsächlich knüpfte die Kritik an linke Diskussionen in den 1970er-Jahren an, die auch klargestellt hatten, dass der neue Faschismus nicht mit SA-Stiefeln heranzieht, sondern aus dem Staatsapparat selbst kommt. Solche Aspekte werden vergessen, wenn man aus der AfD eine NSDAP 2.0 macht. Dass man aber nun auf einmal die AfD zum Verbündeten machen sollte, auf diese Idee kann nur ein Dieter Dehm kommen.
Bleibt die Querfront mit der AfD eine abseitige Idee?
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken schraubte zunächst etwas bemüht an der umstrittenen Faschismus-Definition des Kommunisten Georgi Dimitroff herum, um dann festzustellen, dass demnach die AfD mindestens das kleinere Übel ist. Offen empfahl Dehm, dass BSW und AFD in Thüringen und Sachsen Koalitionsgespräche aufnehmen sollten. Sie könnten seiner Meinung höchstens daran scheitern, dass die AfD sich als "AFDP", also besonders neoliberal gibt.
Der Rassismus, die Hetze gegen Minderheiten der AfD scheint für Dehm ein unbedeutendes Problem zu sein. Bisher sind solche offenen Querfront-Bestrebungen im BSW nicht erwünscht. Das garantiert aber – soweit erkennbar – nicht, dass sich das nicht ändert, wenn alle Koalitionsgespräche mit anderen Parteien scheitern.
Der Vortrag im Berliner Sprechsaal machte aber auch deutlich, dass Menschen, die sich aus analytischen Gründen gegen einen inflationären Faschismusbegriff in Bezug auf die AfD wenden, mit solchen Querfront-Bestrebungen nichts zu tun haben. Wenn man richtigerweise analysiert, dass wir mitten in einem autoritären Staatsumbau sind, dann ist der Aufstieg der AfD ein wichtiges Zeichen dafür. Wer sich gegen diesen autoritären Umbau wendet, muss auch die AfD bekämpfen und nicht etwa mit ihr Bündnisse schmieden.
Redaktionelle Anmerkung
Zu diesem Beitrag erreichte uns eine Zuschrift von Diether Dehm, der im Beitrag erwähnt wird:
Peter Nowak hätte wenigstens kurz die Ohren aufsperren sollen, wenn er die Veranstaltung schon so frühzeitig verlassen hat. Weder hatte ich die AfD zum „Verbündeten“ erklärt, noch meine Kritik an der AfD auf deren Neoliberalismus begrenzt, wie er behauptet, sondern sie wörtlich sogar als „die zionistischste Fraktion im Bundestag“ bezeichnet.
Außerdem hätte Novak zumindest den anderen Referenten, Dr. Manfred Sohn (den früheren Fraktionsvorsitzenden der Linken im niedersächsischen Landtag und heutigen Leiter der DKP-nahen Marx-Engels-Stiftung) erwähnen können.
Wenn Novak die Dimitrowsche Faschismus-Definition von 1935 nicht passt, wäre auch zumindest etwas sachliche Kritik daran (und nicht bloß die lapidare Anpassungformel „umstritten“) denkbar gewesen. Dimitrow hatte den Faschismus an der Macht als terroristische Diktatur des imperialistischsten Monopolkapitals bezeichnet. Die Kräfte, die gerade in einen dritten Weltkrieg treiben, hatten Manfred Sohn und ich eher im woken Weißen Haus, bei Blackrock-Merz und der Ampel-Regierung gesehen, als in der AfD, die (wohl aus anderen Gründen als wir Marxisten) „Frieden mit Russland“ fordert.
Ich hatte im "Sprechsaal" auch nie für "Querfront" geworben. Allerdings die sächsischen und thüringischen Techtelmechtel des BSW mit den Kriegstreibern CDU, FDP und SPD kritisiert - wenn gleichzeitig Sahra Wagenknecht „Frieden mit Russland“ zur obersten Verhandlungskategorie erklärt. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, hatte ich dann empfohlen, dass ALLE, soweit sie es mit dem Grundgesetz (Angriffskriegsverbot, Zensurfreiheit, Sozialstaatlichkeit) neu versuchen wollen, miteinander verhandeln. Und dies nicht in Hinterzimmern, sondern im Beisein alternativer Medien wie Nachdenkseiten, Telepolis uä.
Wenn dann solche Verhandlungen mit AfDlern oder Sozialdemokraten scheitern, schafft das wenigstens entzaubernde Aufklärung. Aber ein Miteinanderreden ist vor allem nötig, um die Friedensbewegung endlich zu verbreitern. Und diese Notwendigkeit war und ist mit Dimitrow präzise zu begründen.
Dr. Diether Dehm
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