Netz-Journalismus wird anders - oder er wird nicht sein
Seite 2: Abwärts-Spiralen
Die "Erosion der Geschäftsmodelle" im Journalismus ist eine Binsenweisheit geworden. Sollte eine bisherige Vorstellung von Gesellschaft und Öffentlichkeit aufrechterhalten werden, darf ihre Diskussion jedoch nicht abreißen. Die Entwicklung ist dramatisch und dabei schleichend. Wieviele Journalisten schon wieder im Hotel Mama leben und sich schämen, davon zu berichten, ist ungewiss. Wer es vermeiden will, macht Schleichwerbung oder gleich Werbetexte oder scheitert dabei abermals gegen die wachsende Konkurrenz.
Es ist eine Traumwelt für Kapital- und Konzernbesitzer. Auch hier die Marxsche "Reservearmee" von billigen Arbeitskräften, die gegenseitig ihren Lohn drücken. Und für das meiste, was im Internet zu finden ist, gibt es gar keine Bezahlung. Nicht wenige zahlen und arbeiten noch zusätzlich für das eigene Web-Hosting, die eigene Internet-Adresse.
In jedem Fachgespräch dazu kommt es an dieser Stelle zum Thema eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) - auf das ich hier nicht näher eingehen kann. Es ist dies einer von mehreren Funktionsbereichen, in denen ein solches Alimentierungsmodell immer unausweichlicher wird - wenn man nicht zusätzlich Jobcenter-Mitarbeiter dafür bezahlen will, Unbezahlte zu einer Stellensuche zu zwingen, die weitgehend aussichtslos ist. Die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Deutschlands ist das Jobcenter selbst.
Neben der ökonomischen sind dann noch zwei weitere Abwärts-Spiralen zu nennen.
Die erste betrifft handwerkliche Qualität und Niveau. Schon die Schrumpfung von Redaktions-Etats reduziert Budgets für Recherche und Expertise. Während die letzten Festangestellten versuchen, ihre Produkte als "Qualitätsjournalismus" auszuzeichnen, verschwimmen solche Standards. Und wo eine solche Qualität auch bei sog. Etablierten Fragezeichen aufweist, wird sie im barrierefreien Netz umso prekärer.
Es gibt Schlechtes, das als schlecht erkennbar ist. Es gibt Laien, die gut und schlecht nicht (oder nicht sofort) unterscheiden können. Es gibt gegenseitige Vorwürfe, die "Qualitätsjournalismus", teilweise zu Recht, radikal kritisieren. Und es gibt die Hochnäsigkeit noch bezahlter Redakteure, die nicht immer unberechtigt ist, aber vielfach wohl zweierlei nicht wahrnimmt: dass es Autoren gibt, die genauso Gutes und Interessantes im Netz umsonst anbieten; dass deshalb die Akzeptanz eines Prädikats "Qualitätsjournalismus" recht unaufhaltsam schwindet.
Wie noch in jeder effektiven Feudalgesellschaft, wie das öffentlich-rechtliche Gebührensystem es ist, bemerken die meisten Vorteilsnehmer zu spät, dass ihre Köpfe rollen werden. Ihre Eitelkeit stirbt immer zuletzt.
Die letzte zu nennende Abwärts-Spirale ist das, was die Etablierten teilweise zu Recht beklagen: Radikalisierung und Boulevardisierung des Diskurses. Auch hier muss man vorerst sagen, dass es schlichtweg keinen Ausweg gibt. Internet-Inhalte sind global und meist kostenlos zugänglich. Der Wettbewerb ist keineswegs frei - und selbst, wenn Google nicht manipuliert und die eigene Seite für Suchmaschinen optimiert und gut findbar ist, wird sie ab Ergebnis-Seite 2, 3 oder höher von fast niemandem mehr gesehen.
So lesen am Ende nur noch selbst professionelle Rechercheure die verfeinerten Angebote, die meist nicht auf Google-Seite 1 landen, wenn jemand den Begriff sucht. So kämpfen Seitenbetreiber über die Suchmaschinen-Optimierung hinaus dann nur noch mit zwei verbleibenden Instrumenten um die Aufmerksamkeit: einer Radikalisierung von Sprache sowie des Inhalts.
Nur die marktschreierische Überschrift wird von größeren Zahlen von Nutzern angeklickt. Mit einem unabhängigen, praktisch und/oder inhaltlich randständigen Angebot jenseits von www.spiegel.de & Co. wahrgenommen zu werden, erfordert ungewöhnliche Inhalte. Da Subtilität ein absolutes Nischenprodukt ist, bleiben dann vielfach nur noch der Skandal und die Attacke ad hominem. Es gibt nicht wenige zweifelhafte System-Gewinnler, die Letzteres auch verdienen. Aber als Grundlage einer pluralistischen und friedlichen Kommunikationskultur ist und bleibt es riskant.
Wer die Kultur der Fakes und Verleumdungen nach permissivem US-amerikanischem Presserecht kennt, ahnt auch die hiesige Zukunft. Die Zeichen stehen auf Polarisierung und mehr sprachliche Gewalt. Es ist kein gegenläufiger Trend erkennbar oder bisher auch nur denkbar.