Neues Gesetz gegen Gefährder: Vorwurf der "Gesinnungsjustiz"

Ehemaliges Abschiebehaftgefängnis in den Birkhausen/Saarland. Foto: tiegeltuf / CC BY-SA 2.0

Von der Linken kommt harte Kritik. Der neue Haftgrund, den die Regierung für Gefährder schaffen will, sei aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch, heißt es auch von anderer Seite

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Residenzpflicht für Asylbewerber, deren Identität nicht verlässlich feststeht, ein neuer Haftgrund für Gefährder und ein verstärkter Einsatz von elektronischen Fußfesseln sind die auffälligsten Maßnahmen, die gestern von Innenminister de Maizière und Justizminister Maas vorgestellt wurden. Es sei kein Gesetzespaket, präzisierte de Maizière bei der Pressekonferenz, sondern es handle sich um Neuregelungen unterschiedlicher Gesetze.

Die beiden Minister trugen die Gesetzesvorhaben selbstgewiss vor. Zweifel daran, dass sie mit rechtsstaatlichen Vorgaben in Einklang zu bringen sind, wurden gestern von den beiden Kabinettsmitgliedern nicht geäußert. Einen Tag später bieten Reaktionen das übliche Rollenspiel.

Aus der CSU kommt die Forderung, dass "wir zweifellos noch mehr brauchen" (Joachim Hermann), grüne Politiker gehen auf Abstand und betonen, dass bestehende Gesetze entschlossener umgesetzt werden sollten (Hofreiter). Der Linken-Parteichef Riexinger hält der SPD vor, dass sie auf den Hardliner-Kurs der Union eingeschwenkt sei.

"De Maizière und Maas öffnen die Tür zur Gesinnungsjustiz"

Mit dem Hinweis auf mögliche Konflikte der Präventiv-Maßnahmen mit rechtsstaatlichen Maßgaben wollte offensichtlich niemand auffallen. Es scheint, also ob die Parteipolitiker derzeit wie hypnotisiert auf die Innere Sicherheit blicken - andere Themen bleiben im Hintergrund - und sie bemühen sich sehr, nicht aus der Rolle zu fallen. Sie sind darauf bedacht, dass ihre Partei nicht in den Ruf kommt, bei diesem Thema ein Bremser zu sein oder gar ein Versteher der "falschen Seite". 2017 stehen viele Wahlen an.

Die Abgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, fällt, wie öfter zuvor, aus dem Rahmen, den der Konsens absteckt. Sie wirft Maas und de Maizière vor, dass sie sich mit ihren Vorstellungen weiter von den Vorgaben des Rechtsstaates entfernen , ist empört darüber, wie der Anschlag in Berlin für Gesetzesverschärfungen genutzt wird, und spricht davon, dass Türen zu einer "Gesinnungsjustiz" geöffnet werden.

Der Vorwurf hat seine Assoziationen und ist hart. Liest man die Aussagen des Juristen und Politologen Jannik Rienhoff zu den Gesetzesvorhaben, so relativiert sich der Eindruck. Zwar steigt Jelpke ziemlich auf das Polemik-Pedal, aber ihr Vorwurf scheint nicht aus der Luft gegriffen zu sein.

"Gefährder": ein juristisch problematischer Begriff

Rienhoff hatte schon im Oktober im Gespräch mit netzpolitik.org darauf verwiesen, dass der Begriff "Gefährder" juristisch problematisch ist, weil er auch im Polizei- und Ordnungsrecht, wo er auftaucht, nicht "legaldefiniert" sei.

Einen Gefährder, also eine Person, die an sich die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, gibt es so im Gesetz nicht.

Jannik Rienhoff

In einem aktuellen Interview mit ntv macht Rienhoff erneut darauf aufmerksam, dass sich die Einstufung von Personen als Gefährder auf abstrakte, polizeiliche Generalklauseln oder geheimdienstliche Einschätzungen stütze, aber nicht auf strafrechtliche Definitionen. Das hat seiner Auffassung nach Konsequenzen für die Gesetzesvorhaben der Regierung.

"Inhaftierung ohne Straftat juristisch kaum haltbar"

Denn, so der Kern seiner Argumentation, eine Inhaftierung ohne Straftat sei juristisch kaum haltbar. Die Prävention von Straftaten durch Inhaftierung von Gefährdern bewegt sich rechtlich gesehen auf sehr dünnem Boden, geht aus Rienhoffs Erklärungen hervor. Auch bei ihm fällt der Begriff "Gesinnung". Als Jurist orientiere er sich "an tatsächlichen Anhaltspunkten, sprich Straftaten, und nicht an einer Gesinnung oder einer Gefährlichkeit, die nur in Ausnahmefällen relevant wird".

Wenn keine Straftat vorliege, es aber um Gefahrenabwehr gehe, sei üblicherweise das Sicherheitsrecht zuständig. Damit sei aber eine Inhaftierung von gefährlichen Personen kaum möglich. Denn dort gebe es vorrangig Überwachungsmaßnahmen durch die Polizei und den Verfassungsschutz.

Präventives Inhaftieren sei problematisch, so das Leitmotiv der Aussagen Rienhoffs. Als Ausnahmefälle nennt er allerdings "die Verabredung zu einer Straftat und einige Vorbereitungstatbestände im Strafgesetzbuch". Gut möglich, dass das Justizministerium bei der Ausarbeitung der neuen Gesetze hier ansetzt.

Prävention und Asylrecht

Rienhoff ist die Richtung aus rechtsstaatlicher Sicht nicht geheuer: Die Vorbereitungstatbestände würden "immer weiter vor-, und damit immer weiter weg von einer konkreten Rechtsgutsgefährdung gerückt". Aber der Rechtsgüterschutz sei "das einzige legitime Ziel des Strafrechts und die Begründung für die Vorverlagerung bisher dünn".

Der Jurist besteht im Gespräch mit dem Fernsehsender auch darauf, Asylrecht und Terrorabwehr zu trennen. Das Asylrecht habe damit nichts zu tun. Es gebe Haftgründe für ausreisepflichtige Personen und es gebe die Diskussion für eine Inhaftierung zum Schutz der Bevölkerung. Er wehrt sich gegen eine Vermischung.

Eine Haft zur Durchführung der Abschiebung kann nicht einfach als Sicherung einer gefährlichen Person umgedeutet werden. Das mögen zwar viele Menschen nicht einsehen, aber das sind nun mal rechtstaatliche Grundsätze.

Jannik Rienhoff

Es gehe ihm nicht um ein Beharren auf Rechtsstaatlichkeit, das darauf hinauslaufe, dass der Gesetzgeber nichts tue, erklärt Rienhoff. Aber der Gesetzgeber dürfe nicht zu Gunsten von ein wenig mehr Sicherheit großzügig Freiheiten aufgeben. Ihm fehlt es im Moment an einer "rationalen Abwägung". Dass die Maßnahmen dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung dienen sollen, ist ihm zu wenig. "Ein Gefühl kann aber nicht Grundlage von Politik sein und schon gar nicht von Strafverschärfungen."

Aufenthaltsrecht: "eine ganze Menge Möglichkeiten"

Tatsächlich, so ein Bericht der konservativen FAZ aus der Praxis der Abschiebehaft, biete das gegenwärtige Aufenthaltsrecht "eine ganze Menge Möglichkeiten", abgelehnte Asylbewerber in Abschiebhaft zu nehmen. Sie würde aber nicht als normales Instrument zur Unterstützung der Ausreise genutzt, obwohl das gesetzlich möglich und auch europarechtlich geboten ist, wird der Leiter der Stabsstelle Rückkehr im Bundesministerium des Innern (BMI), Christian Klos, darin zitiert.