Nicht zum Kiffen: Wiederbelebung des Hanfanbaus in Russland

Hanfanbau hat in Russland Tradition. Foto: TinaKru auf Pixabay (Public Domain)

Lebensmittel, Stoffe, Kosmetik: Das Land besinnt sich auf eine vielseitig verwendbare Pflanze, bleibt aber bei seiner Nulltoleranz-Politik in Sachen Cannabis-Konsum

Hanfprodukte sind auch in Russland in der urbanen Mittelschicht immer mehr ein Trend. Das führt dazu, dass der traditionell sehr starke Hanfanbau dort durch eine Gesetzesinitiative wiederbelebt wird - aber nicht für den Konsum von Cannabis.

Hanf als traditionell russisches Produkt

Ende des 19. Jahrhunderts war der Anbau von Hanf ein Haupteinkommen der Bauern in mehreren russischen Regionen wie Kaluga oder Kursk. 40 Prozent der europäischen Hanfproduktion kamen damals aus dem Zarenreich. In der Sowjetunion wurde der Anbau, wie bei anderen Feldfrüchten auch, kollektiviert oder verstaatlicht. Das Land stieg durch eine fast industrialisierte Produktion auf zum weltweit bedeutendsten Hanfproduzenten mit - nach eigener Statistik - 80 Prozent der weltweiten Anbauflächen. Sogar spezielle Hanf-Mähdrescher wurden ausgerüstet.

Die bedeutende Stellung auf dem Weltmarkt hatte nicht nur mit einer Steigerung der Anbaufläche in Russland zu tun. Eine Rolle spielte hier natürlich auch der beginnende Kampf gegen Cannabis als Rauschdroge in westlichen Industriestaaten, wodurch dort der Anbau früh zurück ging. Mit dem Ende der UdSSR brach auch die Hanfkultivierung in den Staatsfarmen zusammen. Im neuen Russland war die Kultivierung der Pflanze erst ab 2007 wieder erlaubt, aber nur unter strengen, bürokratischen Auflagen und natürlich in der Rauschmittel-freien Industrievariante.

Bedeutungsverlust im neuen Russland

Da die Behörden den Konsum von Hanfprodukten wie Marihuana verhindern wollen, nutzten sie zunächst die Untiefen der Bürokratie, eine neue Ausbreitung der einst wichtigen Feldfrucht zu hemmen. In Russland gilt bei Drogenkonsum eine Nulltoleranz-Politik, die auch für Cannabis angewendet wird. Die Bewegung für die Legalisierung der Droge, in Deutschland ja sehr stark, ist hier kaum vorhanden. Breiter gesellschaftlich wird das Thema bisher nicht diskutiert.

Selbst eine Gesetzesinitiative für die medizinische Anwendung scheiterte 2019. Zu einer Wiederbelebung der verlorenen Tradition kam es deswegen zunächst nur im sehr bescheidenen Umfang, 2018 waren 8.000 Hektar, was nicht einmal 10 % der Aussaatfläche am Ende der Sowjetzeit entspricht.

Das soll sich jetzt ändern, denn die Nachfrage nach Hanfprodukten ganz abseits vom Drogenkonsum steigt und Russland besinnt sich auf seine traditionelle Stellung auf dem Markt zurück. Das Ministerium für Industrie und Handel bereitet laut dem Medienportal RBK aktuell eine Gesetzesänderung vor, die die Produktion von Hanf aus der Grauzone der Halblegalität herausholen soll.

Das Gesetz soll eine genaue Definition der industriellen Verwendung von technischem Hanf enthalten, der weniger als 0,1 Prozent des Suchtmittels THC enthält. Eine Aufgabe der Nulltoleranzpolitik beim Konsum von THC-haltigem Cannabis ist nicht geplant. Welche Sorten angebaut werden dürfen bleibt ausdrücklich definiert. Zur Förderung des Anbaus und Verbreitung der Verarbeitung wurde ein nationaler Fonds gegründet.

Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten

Hanf kann für zahlreiche Dinge verwendet werden, die im Zuge des auch in Russlands Großstädten stattfindenden Booms von Naturprodukten aktuell stark nachgefragt werden. Hierbei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur mitteleuropäischen Meinung die Mehrheit der russischen Bevölkerung schon seit den 1960er-Jahren nicht mehr auf dem Land lebt. Im Großstädten und Metropolen ist nach dem Millennium eine kaufkräftige, neue Mittelschicht entstanden, in der Hanf ebenso wie andere Bioprodukte ein positives Image eines nachhaltigen Naturerzeugnisses besitzt.

Neben der Verarbeitung zu Süßwaren oder Tees können auch traditionell Seile, Bekleidung, Vliesstoffe, Kosmetik oder Öle aus Hanf hergestellt werden und finden innerrussisch Abnehmer. Ein Mischgewebe aus Baumwolle und Hanf namens Cottonin ist haltbarer als pure Baumwolle, knittert weniger und besitzt angesichts stark gestiegener Baumwollpreise auch wirtschaftliche Attraktivität. Wie RBK berichtet, wird aktuell die Unterwäsche der chinesischen Armee voll auf die Mischfaser umgerüstet. Auch als Zusatzstoff für Kohlefaser im Automobilbau lässt sich Hanf als Zusatzstoff einsetzen.

Inländische Spezialisten stehen in den Startlöchern

Spezialisierte Produzenten wie die russische Firma Smart Hemp weiten aktuell ihre Anbauflächen in der Region Iwanowo aus und werden von den regionalen Behörden mit Steuererleichterungen unterstützt. Eine Verarbeitungsfabrik ist 2021 im Entstehen. Laut der Fachzeitschrift Textiles Eastern Europe will das Unternehmen seine Produktion dann in einem zweiten Schritt auf elf russische Regionen ausweiten, um eine steigende Nachfrage zu befriedigen.

Wegen der großen Anbautradition bis in die 1980er-Jahre ist beim Hanfanbau in Zentralrussland noch viel Know-How vorhanden, das nicht allzu lange Zeit verschüttet wurde. Mit einem neuen Hanfboom ist im Land zu rechnen, in dem auch politisch eine Wiederbelebung alter Traditionen und die Förderung der heimischen Landwirtschaft hoch im Kurs steht. Und da gehört Hanf in Russland auf jeden Fall dazu. Produzenten, die hier jetzt investieren können auf gute Geschäfte hoffen.

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