Nie wieder Krieg ohne uns: Wie Bundeswehr und Gesellschaft mobil gemacht werden
Neben weiterem Sozialabbau für Rüstung wird ein Revival der Wehrpflicht ins Gespräch gebracht. Ampel-Parteien im Grundsatz einig. Das weckt Erinnerungen. Ein Kommentar.
"Wer den Frieden will, bereite den Krieg vor. Die Bundeswehr muss kriegsfähig sein nach innen und nach außen." Wenn Politiker in Deutschland solche Sätze vor wenigen Jahrzehnten von sich gegeben hätten, wäre eine öffentliche Protestwelle die Folge gewesen. Heute kann der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Henning Otte im Deutschlandfunk mehr als zehn Minuten lang die Zuhörer darauf einstimmen, dass die Bundeswehr wieder kriegsfähig sein soll – und niemanden scheint es zu stören.
Das ist eine direkte Folge der Entsorgung der deutschen Geschichte. Eine der mehrmals wiederholten Aussagen von Otte war, dass Kampfverbände aufbaut werden müssten, die einen Krieg führen können. Auch, wo die Gelder herkommen sollen, hat er klar gestellt: "Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten." Mehr Geld für Kinder erklärt er zu grünem Klimbim, der in Zeiten der Zeitenwende entbehrlich ist.
Zeitenwende für den deutschen Militarismus
Auch die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht rückt für Otte in den Bereich des Möglichen. Dabei stimmt der CDU-Politiker allerdings im Wesentlichen mit dem aktuellen Verteidigungsminister, der ein SPD-Parteibuch hat, überein. Er fordert nur, die Zeitenwende für den deutschen Militarismus noch konsequenter durchzusetzen. Es ist auch kein Zufall, dass er dabei die baltischen Staaten zum Vorbild einer neuen deutschen Wehrhaftigkeit erklärt.
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Wer etwas Ahnung von Geschichte hat, wird wissen, dass diese baltischen Staaten schon in den 1920er-Jahren enge Verbündete des deutschen Imperialismus und dessen Osteuropa-Strategie waren. Besonders eng waren die Kontakte zu Nazi-Deutschland. Bis heute werden NS-Verbündete in den baltischen Staaten als Kämpfer gegen die Sowjetunion gefeiert und Straßen und Plätze nach ihnen benannt.
Wer also gerade diese baltischen Staat als Vorbild preist, bezieht den faschistischen Flügel zumindest mit ein. Das geschieht heute schließlich auch in der Ukraine, wie vor allem Russ Bellant und Moss Robeson auf der Tagung "Der Bandera Komplex" herausgearbeitet haben, die am Sonntag, organisiert von der Tageszeitung junge Welt, in Berlin stattfand. Dabei differenzierten die beiden Referenten durchaus: Beide machten deutlich, dass die Ukraine heute kein faschistischer Staat ist und dass der Bandera-Komplex nicht der alles steuernde Instanz ist.
Sein heutiger Einfluss auf die ukrainische Außenpolitik dürfte nur erhalten bleiben, wenn er sich in eine moderne Rechte transformiert. Solche Entwicklungen sehen wir schließlich weltweit bei den ultrarechten Kräften. Festzuhalten ist auch die Erkenntnis, dass in der heutigen modernen kapitalistischen Welt pronazistische Kräfte mit enthalten sind. Sie sind eben kein Gegensatz zu der kapitalistischen Moderne oder den westlichen Werten.
Das ist auch in Deutschland nicht anders. Nur redet darüber kaum jemand. Das ist auch der Grund, warum ein Henning Otte oder ein Verteidigungsminister Boris Pistorius heute ganz klar darüber reden können, dass die Bundeswehr wieder Kriege führen können muss.
Wenn dann Otte noch hinzufügt, dass sie selbstverständlich keine Angriffs- sondern nur Verteidigungskriege führen soll, befindet er sich ganz in der Tradition des deutschen Militarismus, der sich offiziell natürlich immer nur verteidigte. Kaiser Wilhelm II. verteidigte Deutschlands Platz an der Sonne und Hitler begann den Zweiten Weltkrieg mit dem Satz: "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen".
Der neue deutsche Militarismus, den Otte und Pistorius verkörpern, kämpft heute um den Platz einer Deutsch-EU in einer Welt der kapitalistischen Blöcke.
Deutsche Geschichtsentsorgung und Militarismus
Es brauchte gut drei Jahrzehnte, bis in Deutschland die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr wieder zu einem offiziellen Politikziel erklärt werden konnte, und kaum jemanden stört es. Vorher musste die deutsche Geschichte entsorgt werden. Die Konsequenz aus der deutschen Geschichte besagte, dass die Armee eines Staat, von dem zwei Weltkriege ausgingen und der Auschwitz verbrochen hat, nie wieder kriegsfähig werden darf.
Schon bei der deutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre hatten schlaue Köpfe wie Wolfgang Pohrt den Verdacht, dass viele ihr "Nie wieder Krieg" nur solange vor sich hertragen würden, wie Deutschland noch unter Kontrolle der Alliierten stand. Doch schon in den 1970er-Jahren rüttelten deutsche Linksnationalisten am System von Jalta, dass eben nicht von Deutschland, sondern von den Siegern über den deutschen Faschismus bestimmt wurde.
Nach dem Einsturz des Systems von Jalta 1989 ging es sehr schnell mit der Wiedererlangung der deutschen Kriegsfähigkeit. Die Kriegseinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien und Afghanistan waren noch heftig umkämpft, es gab Massendemonstrationen. Damals existierte noch eine Bewegung, die sich an die deutsche Geschichte erinnerte. Heute ist sie praktisch entsorgt – und nur damit es zu erklären, dass die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr zum Politikziel erklärt wird.
Dazu hat auch die unkritische Solidarität mit einer Fraktion des ukrainischen Nationalismus geführt, in die der Bandera-Komplex integriert ist. Die Hetze gegen angebliche Lumpenpazifisten, die Denunzierung von allen politischen Kräften, die gegen die Unterstützung des Krieges in der Ukraine waren, gehören zu der nahen Vorgeschichte, die es ermöglicht, dass heute Politiker von SPD und Union wieder über die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr reden können.
Auch die AfD gehört zu deren Befürwortern. Sie ist schließlich eine deutschnationale und militaristische Partei, auch wenn sie bestimmte Kriege gerade nicht im deutschen Interesse sieht. Eine geschwächte Linkspartei wird da wenig entgegensetzen können. Und wie die neue Partei um Sahra Wagenknecht sich zum deutschen Militarismus verhalten wird, muss sich zeigen.
Welche Chancen hat konsequenter Antimilitarismus?
Unabhängig von solchen parteitaktischen Erwägungen stellt sich die Frage, welche Chance in Deutschland eine antimilitaristische Bewegung hat, die weiter an den Grundsatz fest hält, dass alles getan werden müsste, um die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr zu verhindern? Viel Grund zum Optimismus besteht da nicht. Der erstarkte deutsche Militarismus hat auch eine Basis in der Bevölkerung.
Es ist noch nicht der Grad der "Volksgemeinschaft" erreicht, wie vor dem Erstem und dem Zweiten Weltkrieg. Doch die Kampagne, die in den letzten Monaten gegen "Lumpenpazifisten" und Kriegsgegnerinnen geführt wurde, zeigt das Erstarken solcher Tendenzen. Dabei gäbe es genügend Anknüpfungspunkte für eine antimilitaristische Bewegung in Deutschland.
Wenn Otto und Co. offen sagen, dass der Sozialstaat zugunsten des Militärhaushalts zurückgefahren werden muss, fühlt man sich an die Kampagne Kinderspeisung statt Panzerkreuzer vor 95 Jahren erinnert, mit der linke antimilitaristische Gruppen den damals wieder erstarkenden Militarismus stoppen wollten – wenn auch vergeblich.
Auch die drohende Wiedereinsetzung der Wehrpflicht könnte eine neue Bewegung gegen Zwangsdienste befördern. Wenn es gelingt, solche Initiativen mit der schon bestehenden Antimilitarismus-Bewegung zu verbinden, die in den letzten Jahren rund um die Kampagne Rheinmetall Entwaffnen entstanden ist, könnte der Forderung nach Kriegsfähigkeit der Bundeswehr zumindest wahrnehmbarer Widerspruch entgegengesetzt werden.
Der Autor hat mit ClemensHeni und Gerald Grüneklee das Buch "Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine" herausgegeben, in dem Einspruch gegen den neuen deutschen Militarismus und die Entsorgung der deutschen Geschichte erhoben wird.