Niederlande: Polizisten wollen bei Corona-Demo streiken
Polizeigewerkschaften kritisieren unhaltbare Dauerbelastung. Am Dienstag streikten bereits Beamte der Einwanderungspolizei. Überalterung dürfte Probleme vergrößern
Der Beamtenstatus ist in den Niederlanden weniger ausgeprägt als in Deutschland. Zudem gibt es hier keine spezifischen Gesetze für Streiks. Daher gilt die Europäische Sozialcharta des Europarats von 1961. In den 1980ern wurde dann das Streikverbot für Bahnangestellte und Beamte aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Am Dienstag, dem 28. Dezember, kam es nun zu einem mehrstündigen Streik bei der Einwanderungspolizei in Ter Apel, nahe der deutschen Grenze zwischen Leer und Meppen. Dort müssen Flüchtlinge ihren Asylantrag stellen und gibt es für sie ein Ankunftszentrum.
Die Einwanderungspolizei ist dort an der Identitätsfeststellung beteiligt und kontrolliert auch die Einhaltung von Auflagen. Zudem soll sie Verdachtsfällen von Menschenhandel nachgehen.
Die Regionalzeitung Dagblad van het Noorden besuchte den Streik und sprach dort mit Albert Springer, dem stellvertretenden Vorsitzenden der niederländischen Polizeigewerkschaft NPB. Der Streik sei erst der Anfang einer ganzen Reihe von Aktionen, mit der die Polizei auf die unhaltbare Dauerbelastung der Beamten aufmerksam machen wolle.
So fehlten dauerhaft 18.000 Vollzeitstellen. Das Vertrauen, dass die Politik von selbst auf die Polizistinnen und Polizisten zukomme, sei verloren gegangen. Ter Apel sei ein symbolischer Ort für den Anfang der Aktionen, da dorthin Beamte aus dem ganzen Land zur Unterstützung abkommandiert würden. Diese fehlten dann allerdings in ihren ursprünglichen Einheiten.
Corona-Demo am Sonntag in Amsterdam
Die Journalistin vom Dagblad berichtete im Zusammenhang damit vom nächsten geplanten Streik, der die Aufmerksamkeit des ganzen Landes wecken dürfte: So habe die Amsterdamer Bürgermeisterin für die erwartete Demonstration gegen die Coronamaßnahmen am kommenden Sonntag ein großes Polizeiaufkommen beantragt.
Laut dem Polizeigewerkschafter sollen dann aber ausgerechnet Beamte der "Mobilen Einheit", die auf die Kontrolle von Ausschreitungen spezialisiert ist, vorübergehend die Arbeit niederlegen. Springer erwartet, dass die Amsterdamer Bürgermeisterin daher ein Gericht einschalten wird, um den Polizeistreik im Eilverfahren zu untersagen. Doch seine Worte sind deutlich:
Wenn es an uns liegt, wird die Mobile Einheit am Sonntagmittag für ein paar Stunden nicht arbeiten. Der Moment des letzten Tropfens, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist angebrochen. Die Bürgermeisterin ist für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verantwortlich und muss dafür mal eine Lösung finden. Vielleicht fragt sie ja die Armee um Hilfe.
Albert Springer, stellvertretender Vorsitzender der Polizeigewerkschaft NPB; dt. Übers. d. A.
Laut ständiger Rechtsprechung in den Niederlanden kann ein Streik gerichtlich untersagt werden, wenn die zu erwartenden Folgen zu gefährlich sind. Das würde den Personalmangel und die Überarbeitung bei der Polizei aber natürlich nicht beheben.
Wie schnell eine Corona-Demo aus dem Ruder laufen kann, hat sich erst im November in Rotterdam gezeigt. Hier kamen zu einer kleinen Gruppe von Protestierenden in der Innenstadt hunderte gewaltbereite Krawallmacher aus dem ganzen Land und richteten Verwüstungen an.
Polizisten, die der Lange anders nicht Herr werden konnten, gaben vielfach Warnschüsse ab. In einigen Fällen schossen sie Randalierern sogar gezielt in die Beine. Die Ordnung konnte erst mit Unterstützung der Mobilen Einheit wiederhergestellt werden.
Problem für die Zukunft
Die Politik will jetzt zwar mehr Geld in die Polizei investieren – nach einer Kürzungsrunde unter Premierminister Rutte vor einigen Jahren –, doch laut dem Polizeigewerkschafter noch nicht genug. Zudem ließen sich nicht alle Probleme mit Geld lösen.
So würden in den nächsten Jahren tausende Polizeibeamte in den Ruhestand gehen. Das solle nun unter anderem mit Bonuszahlungen bei einer Weiterbeschäftigung über das Rentenalter hinaus und mit einer Verkürzung der Ausbildungszeit von drei auf zwei Jahre aufgefangen werden.
Wie nachhaltig solche Lösungen sein werden, ist aber völlig offen. Die Niederlande haben wie Deutschland und viele andere "entwickelte" Länder einen schlechten Altersaufbau: Einer großen, in den Ruhestand übergehenden Babyboomer-Generation stehen weniger jüngere Menschen gegenüber.
Daher wird es wahrscheinlich in zahlreichen Sektoren zu einem verschärften Personalmangel kommen, der sich heute auch schon im Gesundheitswesen abzeichnet. Eine Krise wie die Coronapandemie vergrößert die Probleme zusätzlich. Wenn dann auch noch Tausende in den Gesundheits- und Pflegeberufen mit den Langzeitfolgen von COVID zu schaffen haben, wird der Druck auf den Rest immer größer.
Die Polizeigewerkschafter verhandeln gerade den neuen Tarifvertrag. Hinter den Streiks stecken damit auch strategische Ziele. Die Polizistinnen und Polizisten würden wohl nicht tatenlos zusehen, wie Krawallmacher ihre Hauptstadt verwüsten. Aber ein deutliches Warnzeichen sind die Streiks der Polizeibeamten allemal.