Nigerias Erdöl
Multis, Diebstahl, Korruption - von den Besonderheiten einer der führenden Rohstoffdienstleister der Weltwirtschaft
Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 23. Februar 2019 waren mit über 84 Millionen registrierten Wählern die größten jemals in Afrika abgehaltenen Wahlen. Die Wahlbeteiligung war mit 35 Prozent gering. Die Wiederwahl des ehemaligen Generals Muhammadu Buhari als Präsident war für viele Nigerianer keine allzu große Überraschung. Buhari konnte 56 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Sein Herausforderer Atiku Abubakar kam auf 41 Prozent.
Die Parlamentswahlen haben dennoch zu einigen Verwerfungen geführt. Am einschneidendsten war der Machtverlust einiger bekannter "Paten", die im Vorfeld der Wahlen mit Geld und Einfluss Unterstützung für sich und ihre bevorzugten Kandidaten organisiert hatten. Die Wahlen fanden aufgrund gewaltsamer Zusammenstöße eine Woche später statt, ebenso wie die Wahlen der Gouverneure, Parlamente der Bundesstaaten sowie Gemeinderäte, die auf den 9. März 2019 verschoben wurden. Beobachter sprachen dennoch von einem weitgehend friedlichen Verlauf, obwohl alle Zutaten für einen hochexplosiven Cocktail zugegen waren: Die Ungleichheiten auf lokaler und regionaler Ebene werden immer offensichtlicher, zu denen eine blühende Korruption ihr Scherflein beiträgt.
Die Hauptwahlkampfthemen der Kandidaten rankten sich vor allem um die innere Sicherheit des Landes, die etwa durch die Boko Haram-Islamisten oder die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hirten und Bauern um die Nutzung noch nicht von Verödung betroffener Landstriche im Landesinneren gefährdet ist. Außerdem ganz oben auf der Prioritätenliste: der Kampf gegen Korruption sowie die Wiederbelebung der Wirtschaft. Auch wenn die Ölbranche dabei nicht explizit erwähnt wird - sie diktiert die Geschicke Nigerias, einem Land, in dem sich Politik vor allem auf den Konkurrenzkampf um den Zugriff zur wichtigsten Einnahmequelle des Landes und eine strategisch geschickte Verteilung des nationalen Geldreichtums unter der Anhängerschaft beschränkt. Das Ölgeschäft ist zutiefst mit den Problemen des Landes verwoben, wie allein die Verquickung der beiden wichtigsten zur Wahl stehenden Kandidaten mit dem Sektor illustriert.
1976 war der aus dem Militär stammende Buhari zum Bundesbeauftragten für Erdöl und Rohstoffe ernannt worden. Als 1977 die nigerianische National Petroleum Corporation (NNPC) gegründet wurde, wurde Buhari zum Vorsitzenden ernannt, eine Position, die er bis 1978 innehatte. Während seiner Amtszeit waren angeblich 2,8 Milliarden Dollar von Konten des NNPC in Großbritannien verschwunden. Eine eingesetzte Untersuchungskommission hatte keine Beweise gefunden, die die Vorwürfe einer Veruntreuung bestätigen würden. Die NNPC ist bis heute jedoch ein Instrument zur Bereicherung der herrschenden politischen Klasse Nigerias geblieben.
Während der Amtszeit von Buhari als Bundesbeauftragter für Erdöl und Rohstoffe investierte die Regierung in Pipelines und Erdölspeicher-Infrastruktur. Ein Pipeline-Netz entstand, das das Bonny-Terminal und die Raffinerie von Port Harcourt mit den Öldepots verband. Unter seiner Ägide kam außerdem der Vertrag über den Bau einer Raffinerie in Kaduna und einer Ölpipeline vom Escravos-Ölterminal zur Warri-Raffinerie und nach Kaduna zustande, bevor er wieder zurück ins Militär wechselte und zum Ende der 1970er Jahre das United States Army War College in Carlisle, Pennsylvania besuchte.
Generalmajor Buhari war einer der Anführer des Militärputsches vom Dezember 1983, der die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Shehu Shagari stürzte. Der Putsch beendete Nigerias kurzlebige Zweite Republik, eine 1979 installierte Mehrparteiendemokratie. Buhari hatte die Machtergreifung des Militärs gerechtfertigt, indem er die zivile Regierung als hoffnungslos korrupt charakterisierte und für den wirtschaftlichen Niedergang in Nigeria und den allgemeinen Verfall der Moral in der Gesellschaft verantwortlich machte.
Buharis Widersacher Atiku Abubakar hat ebenfalls enge Verbindungen zur Ölbranche: Das 1982 vom ehemaligen nigerianischen Vizepräsidenten und heutigen Milliardär mitbegründete Unternehmen Intels bietet integrierte Logistikdienstleistungen für die Öl- und Gasindustrie an. In Onne, einem Vorort von Port Harcourt, betreibt Intels den größten Öl- und Gas-Freihafen der Welt, gleichzeitig der einzige Tiefwasser-Liegeplatz des Offshore-Sektors. Zu Intels Hafen-Reich gehören ebenso Warri, der wichtigste Ölhafen im Nigerdelta, sowie Calabar und Lagos, letzterer der größte Hafen Nigerias. Die Muttergesellschaft Oreant Invest besitzt im ganzen Land Luxusimmobilien. Als Konzessionär der Freihandelszone Onne ist Intels von der Zahlung von Steuern und Abgaben befreit. Der frühere Präsident Goodluck Jonathan hatte 2015 eine Direktive erlassen, die Intels die alleinige Kontrolle über den Umschlag an seinen Terminals in Onne, Warri und Calabar überließ. Die Regierung versucht in letzter Zeit, etwas gegen Intels Quasi-Monopol im Binnen-Ölgeschäft zu unternehmen.
Öl in Nigeria - Ausländische Multis auf historischem Terrain
Nigeria ist mit geschätzten 37 Milliarden Barrel Ölreserven das ölreichste Land Afrikas - gleich nach Libyen. 1958 war erstmalig nigerianisches Rohöl in den Export gegangen. Es stammte aus dem Oloibiri-Ölfeld, das Geologen von Shell Darcy (später Shell-BP) zwei Jahre zuvor unter den Sümpfen des Nigerdeltas entdeckt hatten - nach einem halben Jahrhundert der Suche. 1960 wurden bereits 847.000 Tonnen Rohöl exportiert. In den 1950er Jahre waren auch nicht-britische Unternehmen mit Konzessionen zur Öl-Erkundung eingestiegen: Mobil 1955, Tenneco 1960, Gulf Oil (später Chevron) 1961, Agip/Eni 1962 und Elf (später Total) ebenfalls 1962.
1960 in die Unabhängigkeit entlassen, kam es bald zu Konflikten zwischen dem islamisch geprägten Norden und dem christlichen Süden des Vielvölkerstaats - eine Folge britischer Kolonialarchitektur, die diese ethnisch komplexe Mixtur 1914 mit bewährter Rezeptur zum Konstrukt "Nigeria" verschmolzen hatte und durch eine Politik des Teilens und Herrschens regierte - mit ähnlich katastrophalen Langzeitfolgen wie beispielsweise im Sudan. 1967 brach der nigerianische Bürgerkrieg aus, der als Biafra-Krieg in die Geschichte einging. Dreh- und Angelpunkt des Konflikts: die Kontrolle der Ölförderung. Die internationalen Ölfirmen engagierten sich entsprechend ihrer Interessen. Mit dem Ende des Kriegs 1970 waren zwei Millionen Tote unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, Opfer von Pogromen und Belagerung.
Heute ist die Verteilung des Ölreichtums ein Dauerstreitthema zwischen dem Süden und Norden des Landes. Ein Großteil der Öleinnahmen muss allein dafür aufgewendet werden, um den politischen Zusammenhalt dieses heterogenen Staatsgebildes zu gewährleisten - Grundbedingung einer Stabilität, die die Mineralölunternehmen von außerhalb für das Florieren ihrer Geschäfte erwarten.
Die Konzerne schätzen an Nigeria auch heute noch vor allem eins: unabhängig von der jeweiligen Herrschaftsform, ob Militärdiktatur oder Demokratie, die jeweils Herrschenden haben stets kompromissbereit kooperiert. Selbst die schrittweise Erweiterung der staatlichen Kontrolle durch teilweise Verstaatlichungen hielt sich in einem bescheidenen Rahmen - die Machteliten begnügten sich mit finanziellen Nachbesserungen bei den Förderkonzessionen.
Der Öl- und Gassektor Nigerias trägt heute zu etwa 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei, und der Export von Erdölprodukten erbringt mehr als 80 Prozent des Gesamtexportumsatzes und 95 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes - Zahlen, die die Abhängigkeit des Landes von der Höhe des Ölpreises unterstreichen. Der eigentliche Reichtum aus dem Öl jedoch entsteht in den Zentren der Marktwirtschaft des Planeten: Rohstoff-Dienstleister Nigeria wird aus den Erträgen anderswo akkumulierten Kapitals lediglich alimentiert. Bemühungen des Landes, Wirtschaftsbereiche jenseits der Ölbranche über eine Standortförderung aus den Öleinnahmen zu stärken, haben unter den Bedingungen des internationalen Konkurrenzkampfs in der Vergangenheit nur wenig gegriffen. Stattdessen wird über die Herkunft der Einnahmen die Rolle Nigerias als Rohstofflieferant für die Weltwirtschaft politisch und wirtschaftlich zementiert.
Vor der Entdeckung des Öls war Nigerias Wirtschaft wie die anderer afrikanischer Länder stark von Agrarexporten ins Ausland abhängig. Eigens dafür hatten die Kolonialmutterländer typische "cash crops" etabliert: für den Export bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse. Auf nigerianischem Gebiet beispielsweise wurde das Volk der Hausa mit dem Anbau von Erdnüssen betraut, und das der Yoruba mit Kakao. Dieser "cash crop-Kolonialismus" hat in der Folge die Landwirtschaften vieler afrikanischer Staaten unterminiert, die vorher eine autarke Versorgung mit Agrarprodukten ermöglichten. Aufgrund der resultierenden Verwerfungen in der Landwirtschaft, ihrer extrem niedrigen Produktivität und des enormen Bevölkerungswachstums der zurückliegenden Jahre ist Nigeria heute von Importen abhängig. Die größte Landwirtschaft Afrikas ist nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftszweig des Landes, und es werden Anstrengungen unternommen, um das Land wieder eigenständig ernähren zu können.
Im Nigerdelta erinnern noch heute die Namen landschaftsgeografischer Merkmale an das wichtigste Exportgut der nigerianischen Küste seit Anlandung der Portugiesen im 15. Jahrhundert: Sklaven. In 300 Jahren wurden von der Sklavenküste nach Schätzungen 3,5 Millionen Afrikaner vorrangig in die Neue Welt verschickt.
Heute sind an den Mündungen des (Rio dos ) Forçados, dem Fluss der Sträflinge, oder des (Rio dos) Escravos, dem Sklavenfluss, die Export-Terminals und Depots ausländischer Ölmultis zu finden. Shells Forcados-Terminal kann zusammen mit dem Bonny-Terminal 12 Millonen Barrel speichern. Bonny Island beherbergt heute außerdem Nigerias bisher einzige in Betrieb befindliche LNG-Anlage. Chevrons Escravos-Terminal fasst 36 Millionen Barrel, Enis Bras-Terminal kommt auf weitere 3,5 Millionen Barrel.
Die Offshore-Förderung gilt als attraktiv und ausbaufähig, vor allem, weil die nigerianische Regierung hier bisher nur wenige Anteile hält und relativ wenig regulierend eingreift - das könnte sich mit der Einführung der von der nigerianischen Regierung seit 2008 geplanten Petroleum Industry Bill jedoch ändern. Die Operationen vor der Küste haben noch einen weiteren Vorteil: sie sind weniger anfällig für militante Angriffe und Sabotage-Akte als die Förderung im Delta. 2012 hatte mit Usan das vorerst letzte größere Tiefwasser-Ölfeld mit der Förderung von 125.000 Barrel pro Tag begonnen, dann folgten zunächst nur kleinere Projekte nach.
Unter Nigerias Boden werden außerdem die größten Erdgasvorkommen Afrikas vermutet. Um die Jahrtausendwende starteten erste Vorhaben zur Gewinnung. 2015 war das Land bereits der viertgrößte LNG-Hersteller der Welt, mehr als die Hälfte ist für den asiatischen Markt bestimmt. Erdgas wurde zuvor als Nebenprodukt der Erdölförderung vor allem abgefackelt, mit rückläufiger Tendenz. Über die West African Gas Pipeline werden kleinere Mengen nigerianisches Gas in andere afrikanische Staaten exportiert. Die Regierung versucht unterdessen, die Binnennachfrage anzukurbeln, um den Elektrizitätsengpässen Herr zu werden. Der Grad der Elektrifizierung Nigerias liegt bei lediglich 45 Prozent. Traditionelle Biomasse ist mit einem Anteil von rund 75 Prozent der nach wie vor wichtigste Primärenergieträger im Land, und für 115 Millionen Nigerianer die einzig verfügbare Energiequelle überhaupt. Aufgrund der geringen Auslastung vorhandener Raffineriekapazitäten muss das ölreiche Land Treibstoffe importieren, und auch hier gibt es hin und wieder Probleme bei der Versorgung.
Öl für die Welt
Die Vereinigten Staaten importierten vor 2012 zwischen 9% und 11% ihres Rohöls aus Nigeria. Dieser Anteil ist jedoch drastisch gesunken. Nigeria fiel vom fünftgrößten ausländischen Öllieferanten der USA im Jahr 2011 (noch 9% der US-Rohölimporte) auf den elften Rang im Jahr 2015 (weniger als 1% der US-Rohölimporte) zurück. Das Wachstum der Rohölförderung in den USA aufgrund des Fracking-Booms insbesondere in den Lagerstätten von Bakken und Eagle Ford hat zu einem erheblichen Rückgang der US-Importe von Rohölsorten vergleichbarer Qualität geführt - davon ist auch das leichte und schwefelarme Öl Nigerias betroffen.
Gleichzeitig stiegen die europäischen und asiatischen Öl-Einfuhren aus dem afrikanischen Land. Europa ist momentan der größte regionale Importeur von nigerianischem Öl. Das europäische Embargo gegen iranische Rohölimporte und sporadische Versorgungsunterbrechungen in Libyen trugen zu Europas gestiegenen Ölimporten aus Nigeria bei. Um seine Abhängigkeit von russischem Öl herunterzufahren, hat PKN Orlen, Polens größte Raffineriegesellschaft, 2018 erstmals Rohöl aus Nigeria bezogen. Für Exporte Richtung Asien, dem derzeit größten Abnehmer afrikanischen Öls, steht Nigeria im Konkurrenzkampf mit Angola.
Die nigerianische Ölbranche läuft wie geschmiert: Ein hochkarätiger Korruptionsfall vor Gericht
2011 hatten die italienische Eni und die anglo-holländische Royal Dutch Shell OPL 245, eins der vielversprechendsten Offshore-Ölfelder Nigerias, für 1,3 Milliarden US-Dollar erworben. Jahre später ist der Deal ein Fall für die Gerichte: das Feld fördert immer noch nicht, stattdessen stehen seit 2018 Ölmanager im Malabu Oil-Skandal vor Gericht. Um den Vertrag wasserdicht einzufädeln, waren insgesamt 1,1 Milliarden US-Dollar Schmiergelder geflossen. Das Geld war an die Malabu Oil and Gas gegangen, der Firma des früheren nigerianischen Ölministers Dan Etete, der bereits wegen Geldwäsche verurteilt worden war. Eine Wirtschaftsprüfung im Jahr 2016 hatte schon zuvor ans Tageslicht gebracht, dass die staatliche NNPC 2014 "vergessen" hatte, Einnahmen in Höhe von 16 Milliarden US-Dollar an die Staatskasse zu überweisen. Weitere Befunde: zahlreiche Regelverstöße wie etwa Steuerbetrug und Unstimmigkeiten bei der Vergabe von Förderlizenzen.
Das Nigerdelta im Ölzeitalter: Zwischen Togo-Dreieck und Widerstand
Mit der Aufnahme der Ölförderung hätte die Wirtschaft Nigerias einen Aufschwung erfahren müssen. Der Kampf um die Gewinne aus dem Erdöl führten stattdessen immer wieder zu Konflikten in der Region. Bei vielen Nigerianern kommt nichts von den Erlösen an. Darüber hinaus sind die nigerianischen Regierungsvertreter Hauptaktionäre des Geschäfts, mit der Konsequenz, dass die Regierung fast die gesamten Einnahmen aus der Ölproduktion einbehält. Die Bewohner sehen keine andere Möglichkeit, sich am Ölsegen zu beteiligen: sie legen selber Hand an die Pipelines.
Der Diebstahl von Öl wird in industriellem Maßstab betrieben. Hunderte von Menschen sind in den letzten Jahren dabei ums Leben gekommen. Menschen riskieren ihr Leben, um aus Pipelines oder Lastwagen ausgetretenen Kraftstoff zu sammeln. Wie Anfang März 2019, als im Bundesstaat Bayelsa im Kernland des Nigerdeltas eine leckgeschlagene Pipeline explodierte. 50 Menschen wurden zunächst vermisst. Tödliche Unfälle durch undichte Leitungen sind an der Tagesordnung. Im Januar 2019 war erst ein umgestürzter Öltanker in Odukpani im Bundesstaat Cross River explodiert, während Dutzende von Menschen damit beschäftigt waren, austretenden Treibstoff aufzufangen. Als bisher tödlichster Zwischenfall dieser Art gilt die Pipeline-Explosion von Jesse 1998, bei der über tausend Menschen ihr Leben verloren.
Im sogenannten Togo-Dreieck blüht ein grenzüberschreitender Handel mit abgezweigtem Öl. In den Sümpfen des Deltas haben zudem illegale Destillen Hochkonjunktur. Hier wird das aus den Ölpipelines im großen Stil abgelassene Rohöl unter apokalyptisch anmutenden Umständen raffiniert. Für viele Menschen der Gegend ist das die einzige Einkommensquelle. Oftmals wird das regionale Militär geschmiert und steht auf der Gehaltsliste der illegalen Wertschöpfungskette. Hin und wieder werden Exempel statuiert, bei denen die beschlagnahmte Ware einfach vor Ort verklappt wird. Das Öl gelangt in die Wasserarme des Deltas, das mittlerweile großräumig verseucht ist. Menschen, die für ihren Erwerb von einer intakten Natur im Delta abhängig sind, wie etwa Fischer und Bauern, verlieren ihre Lebensgrundlage.
Den Regierenden in der fernen Planhauptstadt Abuja ist das egal - manchem Delta-Bewohner jedoch nicht. Der Widerstand der Bevölkerung vor Ort nimmt immer wieder organisierte Formen an, wie etwa die Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP) in den 1990er Jahren, die unter anderem eine angemessene Beteiligung der Bewohner an den Öleinnahmen forderte. MOSOP-Gründer Ken Saro-Wiwa bezahlte sein Engagement mit dem Leben - er wurde mit acht seiner Gefährten hingerichtet. Kritiker beharren auf einer Mitschuld von Royal Dutch Shell an der Zerstörung der Umwelt in der Region und am Tod der Aktivisten.
2006 sah die Bildung der militanten Gruppierung MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta), die Ölfelder attackierte, Pipelines in die Luft jagte und Arbeitskräfte der Ölfirmen entführte und sich so bis 2013 in den Schlagzeilen hielt. 2005 noch hatte Nigeria mit 2,44 Millionen Barrel pro Tag einen Landesrekord in der Ölförderung aufgestellt, ein Niveau, das in den Folgejahren aufgrund der Attacken nicht gehalten werden konnte. 2016 traten die Niger Delta Avengers in die Fußstapfen von MEND, die Sabotage nahm wieder zu. Die nigerianische Regierung bediente sich bei der Bekämpfung solcher Gruppierungen in den letzten Jahren verschiedener Mittel: sie unterdrückte sie mit militärischen Mitteln, oder sie versuchte, die Militanten zu kaufen, über Amnestieprogramme oder über das Angebot eines Seitenwechsels in Form eines Jobangebots beim Sicherheitspersonal der Ölindustrie.