Nintendo gewährt Fans den Durchblick
Die Welt nach dem iMac: Hardware als Symbolträger für Fun, Individualismus und modisches Bewusstsein.
Nach dem Erfolg des Apple iMac scheint die Hardware-Welt nun den Farben und der Transparenz verfallen zu sein. Jetzt hat Nintendo die N64-Konsole als farbiges, durchsichtiges Modell herausgebraucht. Angesichts dieser Neuheit und der vielen iMac-Klonversuche zeichnet sich ein Paradigmenwechsel im Hardware-Design ab. Die Frage nach dem Grund für diesen Wandel beschäftigt die Marketing-Strategen und Designer wie keine andere.
Am 15. November brachte Nintendo die N64 Color-Edition auf den Markt. Somit hat sich Nintendo den Status als erster Hersteller farbig-transparenter Konsolen gesichert. Bei Hardware und Preis hat sich nichts an den Konsolen geändert. Für handelsübliche DM 199,- erhält man genau dasselbe Produkt wie vorher, bloß in verschiedenen Farben. Zur Auswahl stehen insgesamt sechs Töne (oder "Trendfarben", wie sie von Nintendo getauft wurden): Von Ocean Blue, Jungle Green bis zu Sun Orange.
Zwar hatte Nintendo bereits einen transparenten Gameboy herausgebracht, doch der Marketing-Clou hinter der N64 Color-Edition, sechs Farben auf einmal in den Handel zu bringen, ist eindeutig von Apple inspiriert. Weg von den anthrazitgrauen Arbeitstieren hin zu Hardware in Bonbonfarben.
Der Erfolg des iMac-Designs
Die Einführung des farbigen iMacs zunächst in türkisblau, später dann auch in den Geschmacksrichtungen Grape, Lime, Tangerine, Blueberry und Strawberry, verhalf dem angeschlagenen Apple Konzern zum Comeback. Mit bisher 2 Millionen verkauften Exemplaren wurde der iMac laut PC Data zu einem der erfolgreichsten Desktop-Rechnern am Markt. Dieser Erfolg schlug sowohl in der Hardware-, als auch in der Designwelt Wellen. Designer proklamierten eine Wende in der Art und Weise, wie Hardware in Zukunft gestaltet wird. Apple's gesamte Produktpalette wurde dementsprechend umgestaltet - sowohl die G3 und neuen G4 Rechner, als auch Macintosh's iBook-Laptop. Und als dann Anfang dieses Monats der iMac in weiteren, limitierten Farben, mit noch transparenteren Plastikkomponenten auf den Markt kam, meinte Steve Jobs dazu: "Die sind so hübsch. Wir hoffen, dass die Leute alle sammeln wollen!"
Geklonte Farben
Hoffnung auf eine ähnliche Wirkung machen sich auch andere Hardware-Hersteller, nicht nur Nintendo. Laut einer Meldung in Wired von Anfang November plant IBM farbige Hüllen für ihre Thinkpad-Laptops auf den Markt zu bringen. Zusätzlich versuchten auch die PC-Hersteller Future Power aus Kalifornien und Sotec aus Japan, Klone des iMac auf PC-Basis herzustellen. Mit einstweiligen Verfügungen konnten beide Versuche von Apple gestoppt werden. Ein ähnlicher Prozess wird zur Zeit auch gegen die Firma eMachines, amerikanischer Hersteller des eOne, geführt. Noch werden diese Versuche von amerikanischen Gerichten als Plagiate bewertet, doch könnte Hardware in Bonbonfarben bald omnipräsent sein.
Paradigmenwechsel im Hardware-Design
Was macht diese Art von Design so attraktiv? Und warum sind die Konsumenten so davon begeistert? Für David Kelly, Designer und Präsident der Produktentwicklungsfirma IDEO, stellt der neue Umgang mit Farbe und Design im Großen und Ganzen einen Paradigmenwechsel dar:
"Das Abenteuerliche für uns Designer ist, dass Design von zunehmender Bedeutung für die Technologie wird. Das Design war ein sehr großer Erfolgsfaktor des iMacs."
In Zeiten, in denen Hardware-Spezifika entweder unverständlich für die meisten Anwender sind, oder schlichtweg keinen großen Unterschied in der Performance ausmachen, kann Design der entscheidende Faktor sein. Mark Dziersk, Design-Präsident bei Herbst LaZar Bell, der Industriedesign-Firma hinter Motorola Pagern und Kodak Digitalkameras, gibt Steve Jobs recht, wenn er sagt, dass der Konsument sich in Zukunft die Frage nach der Lieblingsfarbe stellen wird:
"Wenn ein Produkt das Niveau eines Grundstoffes erreicht hat, wird die Kaufentscheidung größtenteils vom Design geprägt. Redet man über RAM und Prozessor-Geschwindigkeiten, befinden sich sowieso alle auf derselben Stufe."
Ein glaubwürdiges Argument, gerade wenn man den Hintergrund des ausgeprägten Individualismus hinter dem Mac-Logo beleuchtet. Es ist dieser Individualismus, den Nintendo mit der Color-Edition auch für sich vereinnehmen will. "Wir haben die Wirkung farbiger Hardware im Markt genau untersucht", sagt Axel Herr, Managing Director Marketing & Sales Deutschland. "Der Lifestyle-Gedanke wurde auf dem Konsolenmarkt bislang komplett ausgeklammert. Die Verbindung von Spitzentechnologie mit innovativem Styling unterstützt das Bedürfnis nach Individualität auf dem Videospiel-Markt." Die Hardware wird also zum Symbolträger für Fun, Individualismus und modisches Bewusstsein. Oder, wie Thomas Meyerhoffer, ehemaliger Senior Designer bei Apple, sagt:
"Es reflektiert den netzorientierten Inhalt des Rechners, dass dieser weder eine grafische Druckmaschine noch ein Taschenrechner in beige oder schwarz ist: Es ist eine www.edutainment.kiste".
Einblick in die Intimsphäre der Elektronik
Nur beantwortet das nicht die Frage nach der Transparenz. Warum besteht die Hälfte des IKEA Katalogs aus transparentem, farbigem Geschirr oder Wohnaccessoires? Wozu durchsichtige Playstation-Joysticks? Braucht irgendjemand ein durchschaubares Rowenta Bügeleisen? Sind diese Produkte wirklich nur eine Spielwiese für Designer, die sich mit innovativen Kunststoffen beschäftigen, oder steckt da möglicherweise eine tiefere Bedeutung dahinter? Eine Art Demokratisierungstheorie des Konsumenten etwa, oder sind durchsichtige Maschinen ein weiteres Indiz für die Transparenz des im Netz behafteten Menschen, von allen Seiten durchleuchtet und beobachtet?
Für Tobias Koehler, Industriedesign-Student an der Kieler Mutthesius Hochchule, transzendiert der Konsument seinen Status als König. Er wird zum allwissenden Gott:
"Die Leute wollen Einblicke in die Funktionen haben. Sie wollen sehen, was passiert. Es ist ein viel intensiveres Erlebnis, wenn man der Technik zugucken kann."
Der Technologie wird also eine gewisse Lebendigkeit zugeschrieben. Sie soll sich unter uns Menschen mischen und sich in einer anderen Haut wohl fühlen. Götz Gramlich, Mediengestalter bei der Agentur WZP in Heidelberg, geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Hinter der durchsichtigen Hülle offenbart sich, wie auf der Leinwand, ein quasi gynäkologischer Blick in die Intimsphäre der Elektronik, also eine Art Cyberpornografie: "Es ist ganz leicht. Es ist der gegenseitige Voyeurismus, der uns in diese Transparenz treibt!"