Nord Stream 2 und die US-Sanktionen

Bild: Patrick Gruban/CC BY-SA-2.0

Die Bundesregierung sollte nach UN-Charta ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs einfordern

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Von Beginn der Bauarbeiten an machten die USA deutlich, dass sie nichts unversucht lassen würden, um die zweite Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland zu verhindern. Waren es anfangs Einflussversuche auf diplomatischen Kanälen oder über die Medien, die auf US-hörige Mitglieder der EU-Kommission, des Europaparlaments und diejenigen Mitgliedsstaaten der EU zielten, deren Regierungen seit Jahren die Schimäre einer Bedrohung durch Russland verbreiten, haben US-Kongress und Regierung inzwischen die Daumenschrauben deutlich angezogen. Dies funktioniert allerdings nur, wenn die Betroffenen keine glasklaren Grenzen gegen den Eingriff in ihre Souveränität setzen.

Worum geht es? Die USA sind entschlossen, auf der Basis von Abschnitt 232 des "Countering America's Adversaries Through Sanctions Act" Sanktionen gegen Firmen und Personen zu verhängen, die sich am Bau und späteren Betrieb der Pipeline beteiligen.

Diese Sanktionen sind unzweideutig völkerrechtswidrig, weil hier ein nationales Gesetz eines Staates exterritorial angewendet wird. Wir konnten dieses Verhalten der USA in den vergangenen Jahren immer wieder beobachten, wie im Fall Iran. Ohne dies an dieser Stelle näher auszuführen: Wirkung konnten die verhängten Sanktionen nur wegen der Rolle des US-Dollars im Weltfinanzsystem entfalten. Gemeinhin nennt man ein solches Vorgehen Erpressung.

Die deutsche Regierung hat sich zwar öffentlich jede Einmischung in die geschäftlichen Aktivitäten Deutschlands verbeten. Dies ist jedoch nicht ausreichend, um die USA von ihrem Vorhaben abzubringen, das Projekt Nord Stream 2 zu verhindern. Schließlich lässt sich ein Verbrecher, der von einem Bürger mit gezücktem Revolver Geld verlangt, auch nicht durch gutes Zureden irritieren. Was hier auf dem Spiel steht, ist nichts anderes, als die mit der Charta der Vereinten Nationen nach 1945 geschaffene internationale Rechtsordnung immer mehr durch das Faustrecht zu ersetzen, eine Entwicklung, die seit dem Ende der Sowjetunion bereits einige Fahrt aufgenommen hat.

Was also rate ich der Bundesregierung? Keinesfalls sollte sie versuchen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, also ihrerseits zu Sanktionen zu greifen. Denn dann befeuerte sie die Erosion des Völkerrechts, die sie ja gerade beklagt. Die Charta der Vereinten Nationen weist den Weg. Deutschland ist bis zum Jahresende nicht-ständiges Mitglied des Sicherheitsrats und hat noch bis Ende Juli den Vorsitz inne. Sie sollte die Initiative zur Anwendung des Artikels 96 der Charta ergreifen:

Artikel 96

(1) Die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat kann über jede Rechtsfrage ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs anfordern.

(2) Andere Organe der Vereinten Nationen und Sonderorganisationen können mit jeweiliger Ermächtigung durch die Generalversammlung ebenfalls Gutachten des Gerichtshofs über Rechtsfragen anfordern, die sich in ihrem Tätigkeitsbereich stellen.

Charta

Damit wäre das Thema auf der Weltbühne und würde breiter wahrgenommen, während es derzeit im Wesentlichen lediglich in der amerikanischen und europäischen1 Öffentlichkeit debattiert wird. Dies gilt auch für den wahrscheinlichen Fall, dass die USA im Sicherheitsrat ein Veto einlegen.

Der entscheidende Grund für die Obstruktion der USA durch deren Machtelite, die unabhängig von der jeweiligen Präsidentschaft agiert, ist geopolitischer Natur. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland im Energiesektor ist zweifelsohne ein Baustein auf dem langen Weg zu einem eurasischen Wirtschaftsraum, der auch zwangsläufig eine neue Sicherheitsarchitektur nach sich zöge. Damit wäre der seit Jahrzehnten andauernde anglo-amerikanische Kampf um die "Weltinsel" vergeblich gewesen, deren Beherrschung nach Halford Mackinder die Voraussetzung für die Dominanz der Welt ist.

Andere Gründe, wie der Verkauf des amerikanischen Fracking-Gases in flüssiger Form in die EU spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle und dienen Präsident Trump allenfalls als Wahlkampfthema. Hingegen ist das Pipeline-Projekt für Russland sowohl in geopolitischer, als auch angesichts seiner Wirtschaftsstruktur in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutend.

Insofern wäre es begrüßenswert, wenn Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates die Anwendung des Artikels 96 der Charta in Erwägung zöge.

Jochen Scholz ist Oberstleutnant a. D.

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