Nord Stream: Der Angriff auf die Pipelines

Die Feier am 8. November 2011 mit dem damaligen französischen Premierminister François Fillon, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und dem seinerzeitigen EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger. Bild: Kremlin.ru/CC BY 3.0

Zeitenwende: Wie sich die Positionen verändert haben - die Suche nach den Verursachern der Lecks, die Konkurrenz auf dem Energiemarkt und die geostrategischen Interessen der USA, Teil 1.

Die Hintergründe der Sabotage an den deutsch-russischen Ostsee-Pipelines sind weiterhin ungeklärt. Und doch verdächtigen deutsche Medien bereits einmütig den Kreml-Herrscher Wladimir Putin.

Dabei lässt sich eigentlich schwer unterschlagen, dass Nord Stream 2 seit Jahren im Mittelpunkt einer US-amerikanischen Geostrategie steht, die, wie es Äußerungen, die im Folgenden zur Sprache kommen, verstehen lassen, auch eine extreme wirtschaftliche Schwächung ihres scheinbar engsten Verbündeten in Kauf nimmt.

Mittlerweile werden nur mehr wenig Zweifel daran geäußert, dass die in der Nacht zum 26. September erkannten Druckabfälle in den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf einen Sabotageakt zurückzuführen sind.

Obwohl sich die eindeutige Ermittlung des Täters als schwierig bis unmöglich erweisen dürfte, wird in Deutschland wie in Russland angenommen, dass ein staatlicher Akteur hinter dem Anschlag steckt. Nur, wer – darüber gehen die Meinungen der immer mehr zu Blöcken eines Kalten Kriegs erstarrenden politischen Lager auseinander.

Während Putin gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von einem "Akt des internationalen Terrorismus" spricht und der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, die USA als Hauptverdächtigen nennt, entwerfen deutsche Medien, (militärische) Sachverständige und politisch Verantwortliche das Spiegelbild der Beschuldigung.

Für sie scheint sich angesichts des völkerrechtswidrigen Einmarschs in die Ukraine nicht mehr die Frage zu stellen, wer für Kriegs-(Verbrechen) jeglicher Art verantwortlich zeichnet.

Bemerkenswert ist, wie dabei ohne faktische Grundlage eine russische Operation unter falscher Flagge für wahrscheinlich erklärt wird – eine Hypothesenbildung, die man im Falle der Gräueltaten im ukrainischen Butscha noch als unlauter oder gar irrational disqualifizierte.

Die üblichen Verdächtigen

Dieser False-Flag-Vorwurf, obwohl (wie eben vieles) definitiv nicht auszuschließen, ist im Falle der Pipelines allerdings (noch) schwer nachvollziehbar. Warum Russland sich entschieden haben soll, seine terroristische Drohgebärde ausgerechnet auf das (zur Hälfte) eigene Milliardenprojekt zu richten und dabei die in unmittelbarer Nähe befindliche "Konkurrenz"-Pipeline von Norwegen nach Polen verschonte, mag nicht recht einleuchten.

Ebenso wenig wie die von Journalistenkollegen vermutete Motivation, den Europäern vor Augen führen zu wollen, "wie verwundbar unsere Energieversorgung ist". Hat es dazu jenseits eines beispiellosen Wirtschaftskriegs, der Deutschland in die Deindustrialisierung zu stürzen droht, wie ein ARD-Betrag befürchtet, wirklich noch einer Demonstration bedurft?

Was die Motive der USA angeht, die in nahezu keinem deutschen Leitmedium jenseits einer Darstellung als Kreml-Propaganda diskutiert wurden, so wirken sie deutlich weniger weit hergeholt. Und dazu muss man nicht russischer Propaganda oder dem inzwischen gelöschten Tweet des ehemaligen polnischen Außenministers blinden Glauben schenken.

Abgesehen von der Ukraine und Polen, die nicht zuletzt aufgrund des drohenden Verlusts ihres Transitland-Status von Beginn an Bedenken gegen das Großprojekt vorgebracht haben, war deren Schutzmacht USA der wohl verbissenste Gegner von Nord Stream 2.

Pipeline-Protest bis an die Grenze des Völkerrechts

Die Vereinigten Staaten torpedieren das deutsch-russische Projekt aktiv seit 2017, als der amerikanische Kongress unter Präsident Donald Trump den gegen die Feindstaaten der USA – wie den Iran, Nordkorea und Russland – gerichteten Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) verabschiedete.

Im Dezember 2019 folgte mit dem Protecting Europe’s Energy Security Act (PEESA) das zweite Gesetz, das den Bau der Pipeline durch US-Sanktionen gegen die beteiligten Unternehmen zu verhindern trachtete.

Vor fünf Jahren wurde das in der deutschen Öffentlichkeit noch als Übergriff, wenn nicht gar – so etwa vom damaligen Außenminister Sigmar Gabriel – als völkerrechtswidrigen Eingriff in die Souveränität Deutschlands gedeutet. Damals war die Gefahr geringer, von den Medien deshalb als antiamerikanisch oder gar pro-diktatorisch dargestellt zu werden.

Ex-Außen- und Wirtschaftsminister Gabriel war nicht der einzige, der den USA (wirtschafts-)imperialistische Interessen in Bezug auf den Verkauf von Flüssigerdgas (liquified natural gas, LNG) unterstellte – eine, wie das Handelsblatt noch im Juli 2020 schrieb, wirtschaftliche Blase, die aufgrund des gesättigten europäischen Gasmarkts sowie des Ausbaus der Erneuerbaren zu platzen drohte:

Aus Russland kommen über 40 Prozent der europäischen Gasversorgung. Die USA nutzen den Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 deshalb auch weiterhin, um die EU von der Notwendigkeit von mehr Flüssigerdgas zu überzeugen. […]

Andrew McDowell, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, betonte kürzlich, dass Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe einschließlich LNG ‚wirtschaftlich eine zunehmend unsicherere Entscheidung‘ seien.

"Jedes weitere Wachstum von LNG in Europa müsste schon politisch getrieben werden", ist auch [Energie-Experte Jens] Burchardt überzeugt.

Handelsblatt