Nordsyrien: Bundesregierung holt IS-Frauen zurück
Trotz der offensichtlichen Kontakte vermeidet die Bundesregierung nach wie vor, die Gespräche und Verhandlungen mit der Selbstverwaltung offiziell zu bestätigen
Eine Delegation des Auswärtigen Amtes besuchte vergangenes Wochenende gemeinsam mit dem finnischen Sondergesandten des Außenministeriums die demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens in Qamishlo.
Grund der Konsultation war die Rückführung von drei deutschen IS-Frauen mit ihren Kindern sowie weiterer deutscher und finnischer Waisenkinder. Das Gespräch fand in Qamishlo mit dem Ko-Außenbeauftragten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Dr. Abdulkarim Omar, statt.
Grund der Konsultation war die Rückführung von drei deutschen IS-Frauen und sieben Waisenkindern. Die Frauen und Kinder befanden sich in dem Lager für IS-Angehörige al-Roj. Bei den Frauen handelt es sich um Leonora M. aus Sachsen-Anhalt mit ihren beiden Kindern; Merve Aydin aus Hamburg-Wilhelmsburg mit ihren beiden in Syrien geborenen Kindern und Yasmin A. aus Bonn.
Der Fall von Leonora M. hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht, weil sie 2015, im Alter von 15 Jahren, nach Syrien ausgereist war und als Drittfrau mit ihrem deutschen Mann, Martin Lemke aus Zeitz, eine Ezidin mit ihren Kindern als Sklavin gehalten hatte. Lemke arbeitete für den IS-Geheimdienst und sitzt jetzt in einem Gefängnis für IS-Terroristen in Nordsyrien.
Die Rückführung wurde monatelang vorbereitet. Es ist die dritte Rückführung von IS-Frauen und Kindern nach Deutschland. Im August 2019 wurden erstmals drei Waisenkinder und ein krankes Baby zurückgeholt, im November 2019 unterzeichnete der deutsche Vizekonsul in Erbil, Sven Krauspe, bei einem Besuch in Nordsyrien ein Rückführungsprotokoll für drei weitere IS-Kinder. Die Bundesregierung hat sich lange mit Verweis auf eine fehlende konsularische Vertretung bei der Rückführung von IS-Anhängerinnen herausgeredet.
Experten warnen seit langem, der Aufenthalt in kurdischen Camps könne Frauen erneut radikalisieren und Kinder traumatisieren. Deutsche Gerichte hatten nach Klagen von Angehörigen der IS-Mitglieder entschieden, dass die deutschen Staatsbürger nach Deutschland überführt und ggf. der Justiz übergeben werden müssten.
Solange das Problem der deutschen konsularischen Vertretung in Nordsyrien nicht geklärt ist, könnte das deutsche Konsulat in Erbil/Nordirak diese Aufgaben übernehmen - was es de facto schon tut. Es gibt Treffen zwischen der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien mit Konsulatsvertretern aus Erbil, syrische Bürger und Amtsträger stellen ihre Visaanträge für Auslandsreisen in Erbil.
Derzeit verhandelt die kurdische Autonomieverwaltung in Nordost-Syrien mit dem Auswärtigen Amt über die Rückführung einer zweistelligen Zahl deutscher Frauen, die sich dem IS angeschlossen hatten. Khaled Davrisch, der Deutschland-Vertreter der Selbstverwaltung von Nord-und Ostsyrien, sagte dem Tagesspiegel:
Unser Ziel ist, dass die Bundesregierung weitere IS-Anhängerinnen nach Deutschland ausfliegt... Es geht um deutsche Frauen, deren Kinder und Waisen. Männliche IS-Schergen aus Deutschland sollten sich am besten vor einem internationalen Tribunal verantworten. Die Vereinten Nationen sollten dieses Gericht unterstützten. Sinnvoll wäre, wenn es in Nordost-Syrien tagt, dort wo der IS seine Terrorherrschaft errichtet hatte.
Khaled Davrisch
Bloß nicht Erdogan erzürnen
Trotz der offensichtlichen Kontakte vermeidet die Bundesregierung nach wie vor, die Gespräche und Verhandlungen mit der Selbstverwaltung offiziell zu bestätigen. "Die Bundesregierung arbeitet in der Regel offiziell nicht mit den kurdischen Regionalbehörden zusammen, um die Türkei nicht zu verärgern, heißt es aus dem Auswärtigen Amt", wie die Berliner Zeitung berichtet.
Um den türkischen Präsidenten nicht zu erzürnen, bedient man sich des unverfänglichen "Diplomaten-Sprechs". Man könnte dieses Gebaren gegenüber Erdogan auch anders titulieren, zum Beispiel als untertänig.
Außenminister Heiko Maas würdigte die Arbeit der Selbstverwaltung und thematisierte verklausuliert die türkischen Angriffe auf die Region:
"Die gestrige Rückholaktion war ein Kraftakt, dem Monate intensiver Vorbereitungen und Abstimmungen vorausgingen...Die Lage in Nordostsyrien sei durch Kampfhandlungen und die Corona-Pandemie in diesem Jahr noch prekärer geworden, so der Politiker. Viele der Ansprechpartner vor Ort hätten derzeit auch sonst genug Probleme: "Umso mehr gebührt Ihnen unser Dank, ebenso wie unseren finnischen Partnern, mit denen gemeinsam wir diese Operation durchgeführt haben."
Berliner Zeitung
Georg Stückel bezog sich als Vertreter des Auswärtigen Amtes vor allem auf den humanitären Aspekt der Rückführung und vermied ebenfalls aus diplomatischen Gründen, die Selbstverwaltung als solche zu benennen. Ihm dürften jedoch die aktuellen türkischen Angriffe auf Ain Issa und die damit verbundene Präsenz von russischem wie auch amerikanischen Militärs in Qamishlo just zu der Zeit, als sich die Delegation dort aufhielt, nicht entgangen sein.
In seinem Statement erwähnt er den Willen der Bundesregierung, die NGOs in ihren humanitären Aktivitäten für die Region zu unterstützen. Doch davon merken die NGOs in Deutschland nichts. Sie versuchen mit Spenden und lokalen Finanzierungsmöglichkeiten zu helfen (Trotz Corona-Pandemie wird Syrien ausgehungert)
Der finnische Sondergesandte des finnischen Außenministeriums, Jussi Taner, hat da scheinbar weniger Probleme. In seinem Statement sagte er vor der Presse:
Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien ist ein demokratisches Projekt, das auf Pluralismus und der Achtung der Rechte der Frauen basiert ...Das Beispiel, das diese Erfahrung für die Region des Nahen Ostens darstellt, das sich auf Demokratie, Pluralismus und die Achtung der Frauenrechte stützt, ist sehr wichtig und muss entwickelt und verallgemeinert werden.
Jussi Taner
Immer mehr Regierungen unterhalten diplomatische Beziehungen zu der demokratischen Selbstverwaltung in Nordsyrien, obwohl diese von allen offiziellen Verhandlungsrunden in Genf, Astana oder Sotchi aufgrund des Vetos der Türkei ausgeschlossen ist. Langsam dämmert es Europa, dass das Spiel der Türkei nicht mehr das der EU sein kann.
Auch wenn immer wieder ökonomische Interessen angeführt werden, Erdogans Traum vom Neo-Osmanischen Reich scheint ausgeträumt. Er muss nur noch einen guten Abgang finden. Deutschland könnte ihm dabei helfen. Leider bleibt die Bundesregierung hartnäckig bei ihrer Position, Erdogan bei der Stange zu halten.
Anfang der Woche lehnte Außenminister Heiko Maas ein europäisches Waffenembargo gegen die Türkei mit dem Argument ab, es wäre strategisch inkorrekt. Obwohl ihm bekannt ist, dass die von ihn genannten "Kampfhandlungen" in Nordsyrien von der Türkei mit deutschen Waffen begangen werden.