Österreich: Aleviten wollen nicht unter das Islamgesetz fallen
Teil der Religionsgemeinschaft sieht sich als eigenständige Fortentwicklung
In Österreich gibt es seit 104 Jahren ein Islamgesetz, das Rechte und Pflichten dieser Religion regelt. Zuerst betraf es vor allem Bewohner des ehemals osmanischen Bosnien-Herzegowina, das die K.u.K.-Monarchie nach dem Russisch-Osmanischen Krieg 1878 besetzt hatte. In den 1960er Jahren bekam es durch den Zuzug von Gastarbeitern aus der Türkei und Jugoslawien neue Bedeutung. Da es die Politik für die neue Situation als zunehmend unpassend ansah, wurde es im letzten Jahr neu gefasst.
Diese Neufassung sorgte bereits im Vorfeld für Streit, weil sie nicht nur für die sunnitisch dominierte Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) gelten soll, sondern auch für die Alevitische Glaubensgemeinschaft ALEVI, deren Vorgängerverein 2009 beim Wiener Innenministerium einen Antrag auf Anerkennung als eingetragene Bekenntnisgemeinschaft stellte, dem 2013 stattgegeben wurde.
Die ALEVI sieht sich trotz der unlängst erfolgten Streichung des Attributs "islamisch" aus ihrem Namen als Konfession, die zum Islam gehört. Dieser Meinung sind jedoch nicht alle der sechzig- bis achtzigtausend österreichischen Aleviten: Viele sehen sich nicht als Moslems, sondern ihren Glauben als eigenständige Fortentwicklung des Islam, wie auch das Christentum eine Fortentwicklung des Judentums ist. Deshalb haben sie sich vom ALEVI -Vorgängerverein noch vor der Antragstellung abgespalten und in der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich (AABF) zusammengeschlossen.
Deren Vertreter betonen, dass sie den Koran nicht wörtlich, sondern mystisch auslegen und dass die vorgeschriebenen Gebete, die Abgaben, das Ramadanfasten und die Pilgerfahrt nach Mekka für sie obsolet sind. Pressesprecherin Derya Aybay wies den ORF außerdem darauf hin, dass Frauen und Männer in der alevitischen Lehre "absolut gleichgestellt" seien und es keine Verschleierung gebe.
Trotzdem soll das Islamgesetz auch für die AABF-Aleviten gelten. Deshalb wollen sie morgen unter dem Motto "Nein zur Zwangsislamisierung in Österreich" in Wien demonstrieren. Konkreter Anlass ist eine Regelung, die vorsieht, dass Bekenntnisvereine bis zum 1. März ihren Vereinszweck ändern oder sich auflösen müssen. Das möchten viele Vereine nicht mitmachen.
Das dem österreichischen Innenministerium unterstellte Kultusamt, dass ALEVI die Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft gewährte, weigerte sich, diesen Status auch der AABF zukommen zu lassen. Die klagte darauf hin beim österreichischen Bundesverwaltungsgericht, das sich mit einer Entscheidung Zeit lässt.
Der Wiener Religionsrechtler Richard Potz, der für die Entscheidung zusammen mit Brigitte Schinkele ein Rechtsgutachten verfasste, hält eine staatliche Zwangszuordnung für "sicher unzulässig". Seiner Ansicht nach werden sich die Probleme "in den nächsten Wochen und Monaten zuspitzen", weil ALEVI mit der Streichung des vorangestellten Attributs "islamisch" aus dem Namen den Alleinvertretungsanspruch betont.
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Der alevitische Glaube (der oft mit dem in Syrien verbreiteten alawitischen verwechselt wird, mit dem er nur wenig zu tun hat), entstand im 13. Jahrhundert im Osten der heutigen Türkei, als wandernde Prediger dort schiitische Geschichtsinterpretationen mit Sufi-Mystik verbanden. Woher einzelne Glaubenselemente wie beispielsweise das Hasentabu oder der Hızır-Schimmelreiter stammen, ist bis heute umstritten.
In der Türkei gehen Schätzungen davon aus, dass zwischen zehn und zwanzig Prozent der Bevölkerung Aleviten sind. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Auch hier gibt es - wie in Österreich - verschiedene Richtungen: Während die die Cem-Stiftung die Nähe zum sunnitischen Islam und zur regierenden AKP sucht, vertritt die Işıkçılık-Bewegung Standpunkte, die der der AABF ähneln. Unter kurdischen Aleviten gibt es zusätzlich die nationalreligiöse Dersim-Gruppe, die Wurzeln der Religion im Zoroastrismus sucht.
Extremistischen Sunniten gelten Aleviten als Häretiker, weshalb es in der Vergangenheit immer wieder zu Massakern kam. 1993 steckten Sunniten beispielsweise ein Hotel in der türkischen Stadt Sivas in Brand, in dem ein alevitisches Kulturfestival stattfand. Dabei kamen 37 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden teilweise schwer verletzt.
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