Österreich hat entschieden: Freiheitlich statt fortschrittlich
FPÖ feiert Triumph bei Nationalratswahl. Fast 29 Prozent Zustimmung für rechtspopulistische Partei. Doch was steckt hinter dem Erfolg der Freiheitlichen?
Dank des Wahlsieges der FPÖ genießt Wien nun wieder eine gewisse internationale Aufmerksamkeit. Erstmals hat die Partei den ersten Platz erreicht und damit ihr Spitzenergebnis aus dem Jahr 1999 übertroffen.
Der Wahlkampf spielte dem Spitzenkandidaten der FPÖ, Herbert Kickl, in die Karten, da er als Person allgegenwärtig war. Die anderen Parteien warnten vor ihm, versprachen, "Brandmauern" gegen ihn zu errichten, und hielten ihn dadurch ständig in Erinnerung.
Auch nach der Wahl gibt es Petitionen und Aufrufe, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern. Man könnte sagen, dass das Land es gewohnt ist, vor der FPÖ zu warnen.
Doch weder das Tabuisieren der Freiheitlichen hat zu einem durchschlagenden Erfolg geführt, noch der Versuch der "Entzauberung" durch Einbindung.
Die Partei ist aktuell in drei Landesregierungen vertreten und war bis 2019 in der Bundesregierung. Das dramatische Ende der damaligen ÖVP-FPÖ-Koalition durch den Ibiza-Skandal hat zu keiner nachhaltigen Schwächung geführt. Ein Überblick über einige der Gründe für den Erfolg der FPÖ:
1. Basisarbeit
Ist es TikTok oder einfach geschicktes Marketing? Die FPÖ kommt gut an, wirkt frisch und frech und bedient die gut eingeführten Triggerpunkte des Publikums. Wenn sie faktische Probleme anspricht, wie etwa sexualisierte Gewalt gegen Frauen, dann verbindet sie diese sogleich mit einem greifbaren Feindbild, etwa "grapschende Ausländer".
Auch die Abwehr von Angriffen gegen die Partei gelingt ihr geschickt. Die FPÖ lädt dazu ein, eine gemeinsame Opferposition einzunehmen: "Die anderen sind gemein zu uns." So entsteht ein Gefühl für den guten Kampf, insbesondere bei den jungen Wählern.
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Zwei Dreizehnjährige aus Hollabrunn bastelten sich T-Shirts mit der Aufschrift "Kickl auf die 1". Als das Lehrpersonal die Schüler aufforderte, die Shirts auszuziehen, griff die FPÖ das Thema schnell und geschickt auf. Ein spritziges Elixier wurde gemischt aus Kampf gegen "Wokeness" und Bevormundung.
Ein ähnlicher Geist herrscht bei Demokratiespielen in Schulen, wo die FPÖ in Testwahlen überraschend gut abschneidet. Die Schüler wählen die FPÖ, weil sie wissen, dass dies die Lehrerinnen und Lehrer ärgert.
So wird ein erster Schritt getan, um früh neue Wähler mit einem "Gegen die Mächtigen"-Kalkül an die Partei zu binden. Bei den jüngeren Wählern lag die FPÖ bei der Nationalratswahl 2024 wieder vorn.
2. Rechtsruck
Ganz Europa ist nach rechts gerückt. Rechte und teils auch rechtsextremistische Deutungsmuster sind in die Mitte der Gesellschaft gewandert. Dies zeigt sich gut am Begriff der "Festung".
Die Rede von der "Festung Europa" diente vor gut zehn Jahren noch als Schreckgespenst. Heute ist sie so sehr Mainstream, dass es kaum mehr kommentiert wurde, als die FPÖ ihr Wahlprogramm "Festung Österreich" nannte.
Diese Diskursverschiebung führt zu einem Dilemma. Zwar warnen auch Konservative vor der FPÖ und ihrer "unmenschlichen", "spaltenden" und "hetzerischen" Politik, übernehmen jedoch zugleich deren Problemanalyse.
Die ÖVP und teils auch die SPÖ sehen ebenso die Gefahr einer Überfremdung, sorgen sich um den Verlust "unserer Kultur" und wollen den Kampf gegen die "illegale Migration" führen, wohl wissend, dass Flucht fast immer auf die eine oder andere Weise illegal ist.
Die FPÖ kann die Doppelzüngigkeit ihrer politischen Gegner leicht entlarven. Die Sozialdemokraten machen den Freiheitlichen dann auch noch den Gefallen, den nächsten Flügelkampf zu entfachen und uneinig zu wirken. So überlässt man der FPÖ das Feld und rennt ihrer Themensetzung hinterher.
3. Psychologie
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Die Schwäche und Verzagtheit ihrer Gegner nutzt die FPÖ geschickt aus. Bei der aktuellen Diskussion möglicher Koalitionsvarianten gegen die Freiheitlichen und Herbert Kickl taucht ein Motiv immer wieder auf: Alle Diskutanten scheinen sich sicher, dass jede zukünftige Regierungskoalition zu einem weiteren Erstarken der FPÖ führen wird.
Der ehemalige Vorsitzende der FPÖ, Andreas Mölzer, schlug im ORF gleich einmal großzügige fünf Prozent zum nächsten Wahlergebnis hinzu, falls die Partei von der nächsten Regierung ausgeschlossen würde. Die meisten sind geneigt, ihm zu glauben. Letztlich, weil man insgeheim annimmt, dass jede neue Regierung weitgehend erfolglos sein wird.
Gleichzeitig geht niemand mehr von einem "Entzauberungseffekt" aus. Die FPÖ war seit der Jahrtausendwende in insgesamt drei Regierungen vertreten, inklusive ihres zeitweiligen Spin-offs "Bündnis Zukunft Österreich", dessen Akteure fast ausnahmslos aus der FPÖ stammten und teilweise in diese zurückkehrten, waren es sogar vier.
Dies führte immer nur zu einer zeitweiligen Abschwächung in den Wahlergebnissen. Aus diesen Erfahrungen hat sich ein Nimbus der Unbesiegbarkeit der FPÖ verfestigt.
4. Wirtschaft
Ein gewisser Pessimismus gegenüber der nächsten Bundesregierung ist wohlbegründet. In Österreich gibt es seit den 1980er Jahren bei jeder Nationalratswahl eine bürgerlich-konservative Mehrheit.
Etwa so lange währt der Siegeszug des Neoliberalismus. Sollte es nun zu einer Koalition aus den drei Parteien kommen, die Kickl ablehnen – ÖVP, SPÖ und NEOS –, dann werden vermutlich wiederum keine spürbaren Verbesserungen für die Bevölkerung erreicht.
Yanis Varoufakis analysierte dies bereits für Frankreich: Rechte und Neoliberale bedingen einander. Präsident Emmanuel Macron kann vor Marine Le Pen warnen und damit eben jene Maßnahmen durchsetzen, deren Auswirkungen den Erfolg des Rassemblement National ausmachen.
Es wird in Österreich kräftig gespart werden, und das werden die Menschen zu spüren bekommen. Da es seit den 1970ern gelungen ist, eine Furcht vor dem "großen Staat" zu etablieren, wird an dessen Wohltaten nicht mehr geglaubt.
Vielmehr befürchtet man, für alles zahlen zu müssen. Deshalb kommen Schuldenbremse, Entlastungsreform, Senkung der Lohnnebenkosten und vieles mehr gut an, wie es im Wahlprogramm der liberalen NEOS zu finden ist.
Die Partei mag auch selbst davon begeistert sein und in "Aufbruchstimmung" durch ihre eigenen Reformvorschläge geraten, nur haben sehr ähnliche Reformen der letzten Jahrzehnte zu einer sehr ungleichen Wohlstandsverteilung geführt.
Wie weit das Misstrauen gegen das Gemeinwesen geht, zeigt ein kurioser Vorschlag der FPÖ unmittelbar nach den großen Unwettern in Österreich. Statt die Katastrophenfonds besser auszustatten, sollte jedem Opfer der Hochwasserfluten 10.000 Euro ausgezahlt werden. Wenn eine Gemeinde eine beschädigte Brücke reparieren muss, legt man dann zusammen?
5. Eliten
Wenn der Glaube an ein funktionierendes Gemeinwesen schwindet, weil die Umverteilung meist von unten nach oben geht, dann entsteht ein argwöhnischer Blick auf die möglichen Profiteure.
Hier hat die FPÖ ihre Feindbilder klug erweitert. Fraglos ist die Ausländerfrage immer noch ein Renner. Wenn aber in der Fernsehdiskussion der Vorsitzende der SPÖ, Andreas Babler, seinem Kontrahenten Herbert Kickl eine Grafik vorlegt, in der die Antwort auf alle Probleme Österreichs "Ausländer" lautet, dann greift dies etwas zu kurz.
Bei der Nationalratswahl 2024 zeigt sich ein zunehmendes Stadt-Land-Gefälle. Die Freiheitlichen haben das Land von der ÖVP erobert, bleiben aber gegenüber den Sozialisten in den Städten zurück.
Laut dem Wahlforscher Christoph Hofinger liegt dies in einem allgemeinen Gefühl des Abgehängtseins, weil tatsächlich die ländlichen Strukturen immer schlechter funktionieren.
Kurzversion: Die Teuerung erschwert die Pkw-Nutzung, aber Busse und Bahnen gibt es nicht. Man muss aber weg, weil im eigenen Dorf die Gasthäuser und Geschäfte zugesperrt haben. Dem gegenüber scheint man es sich in den wesentlich besser funktionierenden Städten eingerichtet zu haben.
Somit etabliert sich das Ressentiment, dass Städter alles besser wissen, mehr Geld verdienen und nicht an "uns" denken. Die teils absurden Mutmaßungen, Städte wie Wien und Graz würden in Ausländerkriminalität versinken, sind daher auch ein Versuch der Landbevölkerung, Frieden mit der ungerechten Lage zu schließen. Insgeheim hofft man, die Kriminalität würde steigen, damit es den anderen nicht am Ende wirklich besser geht.
6. "Freiheit"
Die FPÖ kann dank Corona mit dem Thema Freiheit weiterhin gut punkten. Ist in einer Gemeinde die Impfbereitschaft geringer, dann sind die Wahlergebnisse der FPÖ besser. ÖVP-Kanzler Nehammer kritisierte in dieser Sache Herbert Kickl im Wahlkampf energisch und titulierte ihn sogar als Verschwörungstheoretiker.
Der FPÖ ist es jedoch gelungen, das sehr spezifische Thema der Maßnahmenkritik zu generalisieren. Sie schürt erfolgreich die Befürchtung, die Bevölkerung in Österreich würde zunehmend bevormundet und es drohe die Errichtung eines autoritären Regimes.
Dass dieses Regime von der Weltgesundheitsorganisation geleitet werden würde, mag nun zwar sehr abwegig erscheinen, aber auch wenn die FPÖ sich schwer mit den Fakten tut, hat sie doch ein präzises Gespür für das Gefühl der Menschen. Diese fühlen sich übervorteilt, hintergangen und gemaßregelt. Die FPÖ holt sie in diesem Gefühl gut ab.
Der FPÖ gelingt es somit seit Langem, ihre politischen Gegner in Widersprüche zu verwickeln, während sie selbst erfolgreich den Anschein erweckt, Lösungen anbieten zu können, die mehr gefühlt als je überprüft werden. Wenn es den anderen Parteien im Nationalrat jetzt nicht gelingt, sich auf ein gemeinsames und überzeugendes Projekt zu einigen, dann können die Freiheitlichen dieses Spiel noch lange erfolgreich weiterführen.