Offenheit und Geschlossenheit: Beobachtungen des digitalen Alltags

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Wie die Philosophie in der IT mit der Herausforderung der "Cybersicherheit" ringt. Ein Essay

Der Begriff walled garden steht eigentlich für ein umgrenztes Stück Natur. Der nicht ganz so freie Zugang macht neugierig und weckt wertschätzende Assoziationen. Heute wird er gerne für unterschiedliche Grade der Offenheit im öffentlichen Raum, aber auch von IT-Systemen oder Plattformen verwandt, zu denen selbstverständlich auch das Internet zählt.

Auch hier mag in der Abwägung von Kosten und Nutzen Wertschätzung eine Rolle spielen. Nehmen wir wenige Beispiele: Bestimmte Produkte erlauben auch nur die Nutzung bestimmter weiterer Produkte. Sie sind nicht offen für alle Applikationen, sondern favorisieren eigene Entwicklungs-Tools usw. Das fördert die Community-Bildung, baut ein bestimmtes Image auf, sorgt aber zugleich für die Munitionierung der Gegenseite, die darin etwas nicht notwendigerweise Exklusives sieht.

Wer sich in Sachen Update oder neues Release im 21. Jahrhundert auf den Standpunkt stellt, dass doch auch einmal ein Leapfrogging (wörtlich: Bocksprung) möglich sein sollte, also das Auslassen eines Innovationsschritts, der sieht sich plötzlich einer Restriktion gegenüber. Nachhaltigkeit kennt hier gegebenenfalls ein Enddatum, weil Serviceentzug droht.

Sicherheit verlangt nach Wechsel, Programme werden nicht mehr unterstützt. Ein drittes Exempel ergibt sich aus der Bündelung einer bestimmten Expertise, die, weil sie als wertvoll eingestuft wird, nicht jedem frei zugänglich sein soll. Hier sind viele Abstufungen denkbar, die sich durch Variationen der zwischen Angebot und Nutzung liegenden Paywall (Bezahlschranke) steuern lassen. Das kann, muss aber nicht unüberwindlich sein. Offenheit ist somit ein Ergebnis von (inhaltlicher) Zustimmung und Zahlungsbereitschaft, zugleich eingebettet in einen großen Möglichkeitsraum.

Offenheit und IT steht zunächst auch für eine Philosophie der Freiheit, der gleichwohl die Herausforderung "Cybersicherheit" sogleich zur Seite gestellt wird. Es soll das Verständnis für die kleinen und großen Nachlässigkeiten steigern und für die erstaunlichen Nebenwirkungen sensibilisieren.

Mit anderen Worten: Es scheint zu viel der Offenheit im Spiel zu sein. Das Ausmaß des Mediums scheitert an der Bestimmung seiner Grenzen – ein großes Reich mit vielen Irrwegen, Stoppschildern, Umwegen und Freifahrtscheinen.

Als Marshall McLuhan das Fernsehen charakterisieren sollte, sprach er in den 1960er-Jahren von einem "schüchternen Riesen". Übernommen wurde der Begriff aus einem im Jahr 1943 erschienenen Beitrag der Zeitschrift TV Guide: für heiße Eisen nicht geeignet, nichts für die Darlegung komplexer Probleme.

Das Internet hat die Gesellschaft auf Trab gebracht

Zu dem Vernetzungsgedanken des Internets würde das Bild des Riesen durchaus passen. Hinter einer technischen Minimaldefinition – ein Netzwerk für den Datenaustausch jeglicher Art – verbirgt sich eine "All-in-One"-Vorstellung, das Multimediale in beliebiger Kombinierbarkeit, die Heimat der Heimat aller Medien.

Insofern lautet eine erste Antwort: So offen ging es selten zu. Wer etwas länger nachdenkt, der muss allerdings auch feststellen: Manches Angebot, das den neuen Weg beschritten hat, verschwand von seiner früheren Bühne.

Wer auf die Nutzung schaut, beobachtet zunächst auch sehr viel Euphorie. Das Internet hat, so eine prominente These, die Gesellschaft mobilisiert, auf Trab gebracht. Gemeinschaftliches belebt sich durch Vernetzung, wird aber zugleich strapaziert.

Beteiligung ist ein zentrales Credo, das trotz wiederkehrender Enttäuschungen über die ausbleibende Resonanz in ständig neuen Versuchen erprobt wird. Die Kommunikationswissenschaft kannte zwar die Unterscheidung aktiver und passiver Rezipienten, aber in der Welt der Massenmedien blieb doch die Kreativität der Anbieter bestimmend, ein Einfügen in Sender-Empfänger-Modelle mit eingebauter Asymmetrie.

Mit dem Aufkommen von vielzähligen und vielfältigen Angeboten entstand zwar so manche Metapher von den Programmdirektoren im privaten Umfeld, ebenso aber auch eine Klage über eine Offenheit gegenüber Themen und Inhalten, die in einem regulierten Medienumfeld moralisch verfolgt wurde. Auf diesem großen Marktplatz tummeln sich nun vermehrt auch nur noch Marktteilnehmer.

Das institutionelle Umfeld dieser "Draufsicht" auf das, was uns ständig umgibt, speist sich aus vielen Einsichten: Es sind nicht die guten Seiten allein, die unseren Medienalltag bestimmen. Nicht jeder weiß in jeder Medienlage, was er wirklich tut. Nicht jeder denkt über seinen Medienalltag nach.

Es existieren viele Experten- und Laienwelten. Die Voraussetzungen einer komfortablen Nutzung sind immens. Trotz des Vertrauens in den eigenen Algorithmus und der Vorstellung, sich eben von diesen problematischen Umwelten zu distanzieren oder ihnen durch Nicht-Nutzung ihre Fremdheit zu signalisieren, wabert dieses Netz in alle Richtungen und erobert sich täglich neue "Räume" hinzu, in denen der durchschnittliche Nutzer bislang nach seiner Fasson glücklich werden konnte. So viel Offenheit mündet also in ein nicht enden wollendes Wechselspiel von Selbst- und Fremdkontrolle.