Online-Handel und Internetauktionen im Visier der Steuerfahndung
Seit kurzem durchforstet die neuartige Suchmaschine XPIDER für das Bundesamt für Finanzen das Web nach Steuersündern
Heimlich, still und leise hat die neue Wunderwaffe deutscher Steuerfahnder ihren Dienst angetreten. Sie hört auf den Namen XPIDER und patrouilliert seit kurzem im Web. Seit wann genau, möchte man beim zuständigen Bundesamt für Finanzen in Bonn nicht verraten. Und wie die Suchmaschine im Einzelnen funktioniert auch nicht. Doch soviel steht fest: Der neuartige Web-Crawler ist in der Lage, Verkaufsplattformen jedweder Art zu durchforsten, Querverbindungen zwischen An- und Verkäufen herzustellen und das Ganze am Ende abzugleichen - etwa mit dem Handelsregister sowie internen Datenbanken des Bundesamtes. Und die haben es in sich, schließlich ist das Bundesamt die zentrale Sammelstelle] für steuerlich relevante Daten aller Art. Und damit hinterher keiner sagen kann, er sei es nicht gewesen, werden sämtliche Beweise gesichert. Und zwar so, dass sie vor Gericht verwendet werden können.
Hintergrund der digitalen Aufrüstung ist der florierende Online-Handel. Gleich nach den Amerikanern entdeckten vor allem die Deutschen, dass sich überflüssiger Besitz bei eBay leicht zu Geld machen lässt. Vom Lockenstab bis zum Karmann Ghia Baujahr 1962 ist alles zu haben. Jüngst versteigerte ein Fußballclub meistbietend seinen Trainer. Auch Hausmüll und Wollreste finden Abnehmer. Sogar gescheiterte Ehen beziehungsweise Andenken an dieselben werden meistbietend veräußert.
Auf dem globalen Marktplatz treffen sich inzwischen fast 70 Millionen registrierte Nutzer aus 27 Ländern. Sie handelten im vergangenen Jahr mit Waren und Diensten in Höhe von fast 15 Milliarden Dollar. Allein in Deutschland gingen während des Weihnachtsgeschäfts 2002 Waren für fast zwei Milliarden Euro per Mausklick weg.
Angesichts solcher Zahlen verwundert es kaum, dass sich auch die Steuerfahndung für Online-Geschäfte interessiert. Denn nicht nur Privatpersonen, sondern auch professionelle Händler verkaufen über eBay - und nicht immer werden Umsätze und Gewinne ordnungsgemäß versteuert. Deshalb gerät auch so mancher Privatanbieter, der im großen Stil Waren anbietet, unter Verdacht - könnte ja sein, dass es sich um einen verkappten Gewerbetreibenden handelt.
"Das Tolle an dieser Software ist ihre Lernfähigkeit", sagt Frank Hartmann, Pressesprecher der Deutsche Börse Systems AG, deren Tochterfirma Xlaunch gemeinsam mit Entory die Suchmaschine für das Bundesamt für Finanzen entwickelt hat. XPIDER wird also immer schlauer und weiß vielleicht bald mehr über Online-Händler als diese sich träumen lassen.
Ins Visier geraten potenziell alle, die online handeln. Ob nun über Online-Auktionshäuser wie eBay & Co., online verfügbare Kleinanzeigen oder Gebrauchtwagen-Börsen. Angekündigt war XPIDER für Juni 2003, intern getestet wurde seit Anfang des Jahres, jetzt ist XPIDER im Internet unterwegs und soll im Laufe der nächsten Monate auch den Finanzbehörden der Länder zur Verfügung gestellt werden.
Verflüchtigungstendenz und Mut zur Lücke
Freilich existiert die web-basierte Steuerfahndung nicht erst seit XPIDER. In Internetkreisen bereits einschlägig bekannt sind die Finanzbehörden von Nordrhein-Westfalen. Unter der Leitung von Ulrich Lemmer wurde in Düsseldorf eine Truppe von drei Mann aufgebaut, die sich speziell mit Steuersündern bei eBay & Co. beschäftigt. In ganz NRW sind es neun Fahnder, für andere Bundesländer gelten zum Teil ähnliche Zahlen. Lemmer ist seit kurzem in Pension, doch sein Nachfolger Wolfram Moser bleibt dran.
Zur Zeit wird allein im Zusammenhang mit eBay in 180 Fällen ermittelt. Darunter befinden sich auch Fälle aus anderen Bundesländern, die die Experten am Rhein um Rat gebeten haben. Denn obwohl Steuereintreibung Ländersache ist, wird sowohl bundesweit als auch international zusammengearbeitet. In Düsseldorf wurden im vergangenen Jahr bereits rund 15 Ermittlungsverfahren abgeschlossen, der spektakulärste Fall brachte zwei Millionen Euro an Steuermehreinnahmen, andere dagegen waren kaum der Rede wert.
Was die Gesamtsumme an Steuerausfällen angeht, ist Moser zurückhaltend. Da dürfe man keine übertriebenen Erwartungen haben. Außerdem sei eine Steuerfestsetzung nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Zahlung. "In diesem Bereich herrscht eine enorme Verflüchtigungstendenz", so Moser. Auch beweise die Gegenseite angesichts der Masse der zu untersuchenden Fälle "Mut zur Lücke" und spekuliere darauf, der Aufmerksamkeit der Fahnder zu entgehen. Ein gefährliches Spiel, denn in XPIDER haben die Behörden eine mächtige Verbündete.
Stellt sich also die Frage nach der Verhältmäßigkeit: Welchen Aufwand muss die Steuerfahndung betreiben, um vermeintlichen Steuersündern auf die Schliche zu kommen? Schließlich klagen die Finanzämter über Personalmangel und hätten auch gerne mehr Internetanschlüsse. Allerdings wird dank ständig weiterentwickelter Software und neuer Gesetze die Suche immer effizienter.
So dürfen die Finanzbehörden seit Januar 2002 die elektronisch erstellte Buchführung von Unternehmen nach den "Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen" (GDPdU) mittels Datenzugriff prüfen. Das bedeutet: Firmeninterne Daten können von Außenprüfern nach den unterschiedlichsten Kriterien durchsucht werden. Um auch große Datenmengen schnell nach Ungereimtheiten absuchen zu können, wurden die Laptops der rund 14.000 Außenprüfer mit der kanadischen Software IDEA (Interactive Data Extraction and Analysis) ausgestattet.
Theoretisch ließen sich mit dieser Prüfsoftware auch die internen Datenbanken von eBay durchsuchen. Praktisch jedoch scheitern schon einzelne Anfragen an rechtlichen Finessen. So dürfen mit IDEA offiziell nur solche Daten geprüft werden, die sich auf bundesdeutschem Territorium befinden. Lagern die entscheidenden Daten, wie bei eBay, jedoch auf Zentralrechnern in der Schweiz oder in den USA, so muss sich die ermittelnde Behörde an das Bundesamt für Finanzen wenden und um internationale Rechtshilfe bitten. Und zwar für jeden zu überprüfenden Fall. Das kostet Zeit. In der Zwischenzeit können die Verdächtigen ihre Online-Identität wechseln - und weitere Spuren im Netz verwischen. Damit dürfte jetzt Schluss sein. Zumal XPIDER im Gegensatz zur Prüfsoftware IDEA nicht auf dem freien Markt erhältlich ist. Man kann also nicht selbst überprüfen, wozu die Suchmaschine in der Lage ist und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen - wie etwa bei IDEA.
Private und gewerbliche Verkäufe
Die Kunde von XPIDER dürfte die Panik seitens der eBay-User steigern: Bereits seit Monaten kursieren in den einschlägigen Diskussionsforen Berichte über Besuche der Steuerfahndung im Bekanntenkreis. Und immer öfter stellen sich emsige Verkäufer die bange Frage: Nach wievielen Auktionen beziehungsweise ab welchem Umsatz gilt man als Gewerbetreibender?
Eine Frage, auf die selbst Wolfgang Lübke, Deutschlands dienstältester Leiter einer Steuerfahndungsbehörde, keine allgemeingültige Antwort geben kann. Weil es immer auf den Einzelfall ankomme. "Mal angenommen", so der Berliner Fahnder Lübke, "man erbt eine Yacht. Dann kann man die für ein paar Millionen verkaufen, und trotzdem fällt keine Umsatzsteuer an. Weil man die Yacht ja nicht erworben hat in der Absicht, sie weiterzuverkaufen. Und weil es sich um eine einmalige Angelegenheit handelt." Was bei der geerbten Yacht in Sachen Erbschafts- oder Schenkungssteuer zu beachten wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Theoretisch ist die Unterscheidung zwischen privaten und gewerblichen Verkäufen ganz einfach. Man muss nur mal § 15 Absatz 2 EStG aufschlagen, wo erklärt wird, was man sich unter einer gewerblichen Tätigkeit vorstellen muss. Die beiden Schlüsselbegriffe heißen "Gewinnerzielungsabsicht" und "Nachhaltigkeit". Wobei es nicht auf den tatsächlichen Erfolg ankommt. Schließlich sind auch Pleitiers wie Leo Kirch oder Jürgen Schneider steuerpflichtig. Andererseits darf ein Briefmarkensammler große Teile seiner Sammlung verkaufen, um vom Erlös kistenweise neue Marken zu kaufen, diese aussortieren und die überflüssigen Motive weiterverkaufen, ohne dass er damit zum Gewerbetreibenden wird. Denn sein Anliegen ist ja der Ausbau der eigenen Sammlung - und nicht der Handel an sich (BFH-Urteil vom 29.6.1987 (X R 23/82) BStBl. 1987 II S. 744 )
Wer sich durch die Website von eBay klickt, findet im Zusammenhang mit dem Stichwort "Existenzgründung" durchaus den Hinweis darauf, dass mit professionell betriebenem Handel steuerliche Pflichten verbunden sein können. Im Zweifelsfall solle man jedoch seinen Steuerberater fragen. Dass eBay keine weitergehenden Ratschläge erteilt, ist korrekt.
"Der Appell geht vom Gesetz aus. Es ist nicht Aufgabe von Unternehmen wie eBay, die User über ihre steuerlichen Rechte und Pflichten aufzuklären", sagt Martin Fliedner, Pressereferent der Oberfinanzdirektion Düsseldorf. Außerdem wäre das ein Verstoß gegen das Steuerberatungsgesetz, wonach nur Befugte in Sachen Steuer beraten dürfen.
Das Thema Umsatzsteuer betrifft übrigens auch eBay Deutschland selbst: Trotz milliardenschwerer Umsätze zahlte das Auktionshaus bislang keine Umsatzsteuer auf die Provisionen und Gebühren, die von den Nutzern kassiert wird. Der Trick: Die europäische Konzernzentrale des amerikanischen Unternehmens befindet sich in der Schweiz. Mit diesem Standortvorteil ist bald Schluss. Aufgrund der EU-Richtlinie 2002/38/EG müssen künftig auch elektronische Dienstleistungen - wie etwa die Bereitstellung einer Verkaufsplattform - von Firmen mit Sitz außerhalb Deutschlands hierzulande besteuert werden. Stichtag ist der 1. Juli. Deshalb wird eBay Deutschland von diesem Tag an die Mehrwertsteuer auf Provisionen und Gebühren einführen - und sie an das Finanzamt Potsdam weiterreichen. Die gewerblichen eBay-User wären gut beraten, sich daran ein Beispiel zu nehmen.