Online ins Oval Office
E-Campaigning ist zum notwendigen Mittel für die amerikanischen Wahlen geworden
Auf dem Internet tobt in den USA die "Campaign 2000" schon seit langem und ist seinen digitalen Kinderschuhen entwachsen . "E-Campaigning" ist nicht mehr nur ein nettes Zusatzprodukt, das man dem Wähler als imageförderndes "feature" im Wahlkampfpaket verkauft, sondern ist zur Notwendigkeit einer erfolgreichen Wahl geworden. Die Kandidaten müssen nun im Wilden Westen des Netzes gegeneinander antreten - einer Welt in der die traditionellen Regeln des kommerzialisierten Wahlkampfes nicht mehr gelten: Die Trennung zwischen "paid attention" und "free attention" verschwimmt durch die mediale Struktur des Cyberspace.
Dass der Internetwahlkampf zum entscheidenden Werkzeug werden kann, wurde den Politstrategen bei der Wahl des ehemaligen Ringkämpfers Jesse Ventura zum Gouverneur von Minnesota klar. Der kahlköpfige und wortgewaltige Ventura hatte monatelang nicht einmal ein reales Wahlkampfbüro, sondern nur eine immer größer werdende Email-Liste. Zweidrittel seiner Spendengelder hat er Online eingesammelt. Und seine dreitägige Wahlkampftour wurde via Email organisiert.
Steve Forbes, Verleger und Möchtegernkandidat der Republikaner, hat deshalb einen smarten Webmaster angeheuert. Von seinem Büro in Cinncinnati aus wurde von Rick Segal die wichtige Vorwahl im Bundeststaat Iowa organisiert. Er hatte die Idee, die Datenbank des Wahlkampfbüros in Maryland, die die Email-Adressen von mehr als 32000 Unterstützern von Forbes enthält, für einen sogenannten "swarming effect" zu benutzen. Diese für jede amerikanische Wahl typischen "volunteers" sind nicht mühsam auf der Strasse rekrutiert, sondern online angeworben worden.
Geographie ist in der Topologie des Netzes Nebensache. Was man vor vier Jahren noch als Problem für die Demokratie darstellte, wird nun zum Nutzen der Kandidaten eingesetzt. Die "volunteers" sind in "cyberelection districts" organisiert und versuchen nicht mehr Wähler in ihren Wahlbezirken zu mobilisieren, sondern gestalten ihre eigenen. Nicht geographische Nähe ist entscheidend, sondern ideologische oder andere soziale und kulturelle Gemeinsamkeiten werden genutzt, um die Stimmen zu fangen. Alle 32000 erhielten eine Email, in der sie gebeten wurden, ihre Adressenlisten nach Freunden und Bekannten in Iowa zu durchsuchen, und die Email an diese weiterzuleiten. In dieser wurden sie aufgefordert, zur Vorwahl ins Farmerstädtchen Ames zu kommen und für Steve Forbes ihre Stimme abzugeben. Etwa 250 von 5000 Stimmen, die insgesamt für Forbes abgegeben wurden, sind so zustande gekommen. Auch wenn dies nicht viel zu sein erscheint, so waren es doch immerhin fünf Prozent, und diese brachten ihn in Iowa auf den zweiten Platz. In amerikanischen "winner-takes-all" System entscheiden ein paar Prozent mehr oder weniger den Kampf um das höchste Amt im Staate.
Von Virtuellen Wahlplakaten zu digitalen "Campaigning-Tools"
Die Internetauftritte der Kandidaten haben sich von langweiligen, platten und eindimensionalen virtuellen Wahlplakaten zu komplexen und wirkungsvollen Elementen eines modernen Wahlkampfes gemausert. Die Kandidaten scheinen dazu gelernt zuhaben. Sie benutzen das Internet nicht mehr als kommunikative Einbahnstrasse, sondern bauen in ihre Netzauftritte interaktive Elemente ein, beachten auch bei der Themenauswahl die Kultur des Netzes und stellen zum Beispiel deshalb ihre Ansichten über Redefreiheit und Besteuerung im Cyberspace in Chatrooms zur Diskussion. Dass Transparenz politischer Aktivität mehr Legitimität verleiht und somit dem Politiker, der sein Geschäft transparent betreibt, letztendlich auch das Vertrauen der Wähler sichert, ist eine politische Binsenweisheit.
Die hat sich nun George W. Bush, vielversprechender Präsidentschaftskandidat der Republikaner, zu Herzen genommen: Auf seiner virtuellen Wahlkampfpräsentation ist die Liste aller Geldgeber einsehbar, die ihn unterstützen. Dieser für amerikanische Verhältnisse mutige Schritt hat ihm in den Medien und bei den Wählern schon erhebliche Vertrauenspluspunkte eingebracht. Aber auch die anderen Kandidaten haben sich einiges einfallen lassen, um an das liebe Geld und Vertrauen des geneigten Bürgers zu kommen. Alle haben in ihrer Onlinepräsentation Funktionen eingebaut, die es ermöglichen, online für den Politiker ihrer Wahl zu spenden.
Das war bislang nicht möglich, da Transaktionen via Kreditkarten nicht für "federal matching funds" verwendet werden durften. Doch die Trumpfkarte der Demokraten, der ehemalige Senator von New Jersey Bill Bradley, rief die Bundeswahlkampfkommission an und erreichte es, dass die Regel geändert wurde. Für Bradley hat sich das gelohnt. Bis jetzt hat er 607.000 Dollar von 3700 Geldgebern online gesammelt. Für seine "volunteers" hat sich Bradley etwas besonderes einfallen lassen. Seine Internetpräsentation bietet "community involvement kits". Hier bekommen sie Anweisungen und Tips, wie man erfolgreich die Nachbarschaft mobilisiert, Spendengelder sammelt oder eindrucksvolle Briefe an die Lokaljournalisten verfasst, und sie können sogar Registrierungsformulare für die Präsidentenwahl herunterladen.
Besucher von Al Gores Internetseite können hingegen eine "just for Kids" Ecke besuchen, und wenn die Kids und ihre Eltern von ihm nicht genug bekommen, können Sie auch Tapete mit dem Al Gore Logo ausdrucken.
WWW: Wild Wild Web
George W. Bush allerdings wurde schmerzlich bewusst, dass das Internet die Regeln traditioneller Politik verschiebt und neue, direkte Wege - für manche zu direkte - der politischen Kommunikation erlaubt. Ihm wurde die Internetadresse gwbush.com für 350 000 Dollar von einem 29 Jahre alten Programmierer aus Boston angeboten. Bush lehnte zu seinem Unglück ab. Ganz basisdemokratisch kann man nun auf dieser Internetseite die wilde Vergangenheit des Kandidaten bewundern: Ein manipuliertes Bild etwa zeigt Bush, wie er sich eine "Line" Kokain in die Nase zieht. Als Reaktion auf dieses Mediendesaster haben die Mitarbeiter von Bush sechzig Internetadressen wie Bushsucks.com, Bushblows.com oder Bushbites.com aufgekauft.
Auch anderen Politikern oder politischen Institutionen geht es in egalisierten Netzwelt nicht besser. Fast alle haben mit unliebsamen digitalen Schatten zu kämpfen. HillaryNo.com oder AlBore.com gehören noch zu den weniger gemeinen Exemplaren, wer aber whitehouse.com besucht, kann sich Pornobilder aus dem Weißen Haus anschauen. Die politischen Regeln des Cyberspace ermöglichen es einer immer größeren Anzahl von Bürgen, sich politisch zu informieren, zu kommunizieren und zu organisieren. Geld allein ist nicht die entscheidende Ressource, sondern Wissen über die effektive Nutzung des virtuellen Raumes. Projekte wie vote smart ermöglichen neue Arten politischer Kommunikation, und die Websites der Präsidentschaftskandidaten zeigen, dass das Internet zum wichtigen Wahlkampfmedium geworden ist. Für die Politik bietet das Internet die Möglichkeit, diese schneller, flexibler und interaktiver zum Bürger zu bringen, und dem Bürger selbst gibt es eine lautere Stimme.