Organe im Wachstum, zu wenig Daten: Stiko zögert bei Impfempfehlung für Kinder

Kinder sind durch das Virus in der Regel nicht sonderlich gefährdet. Muss die Abwägung der Impfrisiken für sie anders ausfallen? Symbolbild: Ronny Sefria auf Pixabay (Public Domain)

Die USA bereiten sich auf eine Impfkampagne bei Kindern vor. Die Empfehlung in Deutschland ist nur noch eine Frage der Zeit. Das Thema wird kontrovers diskutiert

In den USA rückt eine großangelegte Impfkampagne für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren immer näher. Am Freitag hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA dem Impfstoff von Biontech/Pfizer eine Notfallzulassung für diese Altersgruppe erteilt. FDA-Chefin Janet Woodcock erklärte nun laut der Nachrichtenagentur AFP: "Jüngere Kinder gegen Covid-19 zu impfen, wird uns einer Rückkehr zu einer gewissen Normalität näher bringen."

Nachdem die Notfallzulassung erteilt wurde, muss noch die Gesundheitsbehörde CDC eine entsprechende Impfempfehlung aussprechen. Ein dort angesiedeltes Expertengremium soll die Frage am Dienstag und Mittwoch prüfen. Sollte die Empfehlung ausgesprochen werden, will die Regierung von US-Präsident Joe Biden sofort mit der Impfkampagne beginnen.

Die Entwicklung in den USA dürfte nicht ohne Folgen für Deutschland bleiben. Längst wird auch hierzulande darüber debattiert, Kinder dieser Altersgruppe gegen Covid-19 zu impfen. Doch die Ständige Impfkommission (Stiko) scheut noch vor einer eigenen Empfehlung zurück. Noch lägen nicht genügend Daten vor, um den Biontech-Impfstoff auch für Kinder empfehlen zu können, heißt es.

Zahl der Probanden zu gering für ein umfassendes Bild

Stiko-Leiter Thomas Mertens erklärte am Mittwoch im SWR-Fernsehmagazin "Zur Sache Baden-Württemberg", das Problem der Zulassungsstudie sei, dass die Zahl der Probanden zu gering sei, um seltene Nebenwirkungen erfassen zu können. Er meinte damit vor allem die Gefahr von Herzmuskelentzündungen bei mRNA-Impfstoffen. Außerdem seien Zulassungsstudien "nicht dazu ausgelegt, allein aufgrund der Anzahl der Probanden, dass man damit sämtliche Risiken ausschließen könne".

Mertens betonte auch, dass es sich bei den Fünf- bis Elfjährigen um eine Altersgruppe handle, die sich noch im Wachstum befinde. Auch Organe wie das Herz wüchsen noch, weshalb man ganz sicher sein müsse, dass durch die Impfung keinerlei Schädigung entstehen könne. Man schaue deshalb auch ganz genau auf die USA, welche Nebenwirkungen dort bei Kindern und Jugendlichen auftreten.

Für den Impfstoff Comirnaty aus dem Hause Biontech/Pfizer liegt auch ein Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) vor. Es wird damit gerechnet, dass die EMA bis Weihnachten zu einer Entscheidung gekommen sein könnte. Dann muss sich auch die Stiko äußern. Inzwischen ist auch in Deutschland eine hitzige Debatte darüber entbrannt, ob Kinder gegen Covid-19 geimpft werden sollten. Für einiges Aufsehen hatten der Fernsehmoderator Markus Lanz und der Philosoph Richard David Precht gesorgt.

Kontroverser Podcast

In ihrem gemeinsamen Podcast "Lanz&Precht" kritisierte Precht unter anderem, dass ein enormer gesellschaftlicher Druck aufgebaut werde, um die Impfquoten zu erhöhen. Auf Twitter sorgte das sogleich für Entrüstung, unter anderem warf man ihm vor, verblendetes und gefährliches Halbwissen zu verbreiten.

Precht hatte gesagt, er würde Kinder niemals mit dem Corona-Impfstoff impfen lassen, weil das Immunsystem der Kinder erst im Aufbau sei. In diesem Zusammenhang erklärte Lanz, er habe den Verdacht, Kinder würden benutzt, um die Impfunwilligkeit von Erwachsenen wieder wettzumachen. Man wolle so die Statistik aufwerten.

Der Staat habe auch keine rechtliche Basis, eine Impfung einzufordern, betonte Precht. Jeder müsse diese Entscheidung für sich selbst und frei treffen können - "ohne dass ein gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird". Der Staat sei nicht dafür zuständig, Leute zu schützen, die sich entschieden hätten, sich nicht impfen zu lassen. "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, jedermanns Krankheitsrisiko auszuschließen", so Precht. Jetzt, da jeder die Möglichkeit habe, sich impfen zu lassen, könne der Staat die Corona-Maßnahmen zurückfahren und stattdessen an die Bürger appellieren, sich zu schützen.

In seinem Buch "Von der Pflicht" hatte Precht noch die staatlichen Corona-Maßnahmen gerechtfertigt. Nun betonte er, das Buch sei fertiggestellt worden, als noch keine Impfstoffe vorhanden waren und deshalb beträfen seine damaligen Aussagen nicht die Impffrage.

Precht machte in dem Podcast aber auch deutlich, dass sein Unbehagen mit der Impfung auch aus dem persönlichen Erleben gespeist sein könnte. Wie viele andere Menschen auch hatte er mit erheblichen Nebenwirkungen zu kämpfen. Nach der zweiten mRNA-Spritze habe es ihn "für eine Woche umgehauen", sagte er. Und in seinem privaten Umfeld habe eine 90-jährige Person nach der Impfung für zehn Tage auf die Intensivstation gemusst. Weil er dann auch erleben musste, dass die Klinik das nicht als Impfnebenwirkung an das Paul-Ehrlich-Institut melden wollte, glaube er nicht, dass die offizielle Statistik die ganze Wahrheit wiedergebe.

Das Paul-Ehrlich-Institut berichtet im aktuellen Sicherheitsbericht von 172.188 gemeldeten Verdachtsfällen von Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe, darunter 21.054 schwerwiegende Fälle. 1.809 Meldungen bezogen sich auf Sterbefälle, fünf davon auf Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren.