Panzer für die Ukraine: Deutschlands Schlüsselrolle

Kampfpanzer Leopard 2A5. Bild (2010): Bundeswehr-Fotos/CC BY 2.0

Überbietungswettbewerb bei den Waffenforderungen: Nach den Schützenpanzern wird vom "Leopard-Plan" gesprochen. Wer bietet mehr? Berlin kommt in die Zwickmühle.

Monatelang sträubte sich vor allem in der SPD eine kritische Masse dagegen, noch mehr Waffen und insbesondere extrem schweres Gerät an die Ukraine zu liefern. Mit dieser Haltung handelte sich die Partei scharfe Kritik der Medien, der Unionsopposition, aber auch von den grünen und gelben "Partnern" in der Regierungskoalition ein.

Wer glaubte, mit der am 5. Januar 2023 verkündeten Entscheidung, Marder-Schützenpanzer an die Ukraine abzugeben, sei die Angelegenheit nun vom Tisch, sah sich aber getäuscht – das Gegenteil ist der Fall. Inzwischen hat ein regelrechter Überbietungswettbewerb eingesetzt, wer mit noch waghalsigeren Waffenforderungen noch mehr Aufmerksamkeit erheischen kann.

Dies alles bleibt nicht ohne Folgen: So wird spekuliert, ob Berlin die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern noch vor dem deutsch-französischen Gipfel am 22. Januar bekanntgegeben könnte.

Dies wäre nicht zuletzt auch deshalb ein weiterer Eskalationsschritt, weil es wohl auch gleichbedeutend mit der Lieferung von Leopard-Panzern durch zahlreiche weitere EU-Staaten wäre, für die Deutschland nämlich grünes Licht geben muss.

Zäsur: Marder-Schützenpanzer

Glaubt man den Ausführungen von Regierungssprecher Steffen Hebestreit, befanden sich die jüngsten Entscheidungen für westliche Panzerlieferungen an die Ukraine bereits länger in der Vorbereitung:

Es hat seit Mitte Dezember intensive Gespräche mit der amerikanischen Seite, aber auch mit anderen internationalen Partnern gegeben, wie man mit Blick auf das jetzt kommende Frühjahr und die Kriegssituation in der Ukraine diese Unterstützung weiter gestalten kann.

Dabei kam man relativ bald auf die Frage, ob […] jetzt der Moment gekommen ist, bei den Schützenpanzern – bei der Artillerie waren wir deutlich früher an diesem Moment – auf westliche Technik umzusteigen.

Dabei geht es auch um die Lieferung von Munition und den Aufbau von Logistikketten und Lieferketten, die es braucht, um so etwas nachhaltig nutzen zu können.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit, zitiert in Augen geradeaus!, 06.01.2023

Insofern ist es etwas fraglich, wenn Frankreich die Rolle zugeschrieben wird, mit seiner Ankündigung Rad-Spähpanzer des Typs AMX-10 RC an die Ukraine liefern zu wollen, die Bundesregierung unter Zugzwang gestellt zu haben.

Wahrscheinlicher ist, dass damit die ohnehin beschlossene Angelegenheit allenfalls minimal beschleunigt wurde.

Schon am 5. Januar 2023 jedenfalls war es so weit. Nahezu zeitgleich verkündeten die USA und Deutschland, sich auf die Lieferung von Schützenpanzern verständigt zu haben. Auf der Seite des Bundesverteidigungsministeriums war nachzulesen:

Eine Patriot-Feuereinheit und bis zu 40 Schützenpanzer Marder liefert Deutschland an die Ukraine, um sie im Verteidigungskampf gegen den Aggressor zu unterstützen. […] Die USA werden Bradley-Schützenpanzer bereitstellen. Damit werde die geplante Lieferung Frankreichs von Rad-Spähpanzern ergänzt, so die Ministerin.

Hinzu kommen noch 100 Kampf- und Schützenpanzer sowjetischer Bauart durch den Ringtausch mit Verbündeten. […] Das Paket umfasst auch die Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten an der Patriot-Feuereinheit und auf dem Schützenpanzer Marder, diese wird von Deutschland abgedeckt.

Ukraine: Deutschland liefert Schützenpanzer Marder, BMVG, 06.01.2023

Änderung der bisherigen Waffenlieferungspolitik

Hierbei handelt es sich um eine wichtige Änderung der bisherigen Waffenlieferungspolitik:

Bislang hatte die Bundesregierung die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern mit dem Verweis abgelehnt, man wolle keine "Alleingänge" unternehmen. […] Bei der Erklärung von Biden und Scholz handelt es sich um einen Wendepunkt in der Positionierung des Westens hin zu einer verstärkten Waffenlieferung Richtung Ukraine.

Hamburger Abendblatt, 06.01.2023

Schnell stellte sich allerdings dann heraus, dass die versprochenen 40 Schützenpanzer so ohne weiteres überhaupt nicht verfügbar sind. Zwar habe die Industrie noch 60 Marder "auf Lager", die müssten von Rheinmetall aber erst einmal instand gesetzt werden.

Als die Idee zirkulierte, dann solle die Bundeswehr aus ihrem Bestand von 350 Mardern in Vorleistung gehen und sich dann die 40 Exemplare später von der Industrie holen, wurde bekannt, dass davon nicht einmal die Hälfte einsatzfähig ist. Da davon viele etwa für die Nato-Eingreiftruppe gebunden seien, war erst einmal in dieser Angelegenheit guter Rat teuer.

Als halbe Miete wurde dann zunächst einmal präsentiert, dass Griechenland auf 20 bereits zugesagte Marder verzichtet, die nun rasch an die Ukraine abgegeben werden könnten:

Die Marder sollen stattdessen an die Ukraine gehen. Griechenland wiederum soll die fehlenden Fahrzeuge im Laufe des Jahres dann aus Rheinmetall-Beständen ersetzt bekommen, sobald diese vom Unternehmen flott gemacht wurden.

Woher die restlichen 20 der 40 für die Ukraine versprochenen Marder-Panzer kommen sollen, ist allerdings wohl weiter offen. Sie sollen aus Bundeswehrbeständen zusammengekratzt werden, heißt es, doch woher genau, ist nicht ganz klar.

Business Insider

Nach der Schützenpanzer-Ankündigung: Der Leopard-Plan

Mit den Marder- und Bradley-Ankündigungen wurde also inzwischen die Lieferung sämtlicher Panzertypen bis auf die schwerste Kategorie beschlossen – Kampfpanzer:

In dieser Kategorie sind Fahrzeuge gelistet, die über starke Bewaffnungen verfügen und in die direkte Konfrontation gehen können. Mitunter wird auch von der sogenannten "Duellfähigkeit" der Panzer gesprochen. Beispiele für Kampfpanzer sind unter anderem Leopard 2, M1 Abrams, Leclerc oder der britische Challenger 2.

Merkur

Doch gleich unmittelbar nach der Schützenpanzer-Ankündigung überboten sich die üblichen Verdächtigen damit, noch weitergehende Forderungen in diese (und andere Richtungen) zu erheben. Carlo Masala, der medial omnipräsente Bundeswehr-Professor etwa wurde folgedermaßen wiedergegeben:

Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München begrüßt die angekündigte Lieferung von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine als "richtige Entscheidung" – und sprach von einem ‚Tabubruch‘. […]

Masala [kritisierte] jedoch, dass es sich bei dem angekündigten Material immer noch nicht um richtige "Kampfpanzer" handelt, etwa im Sinne des Leopard 2 oder eines M1 Abrams der US-Armee.

Sogar MIG-29, sowjetische Kampfjets, könnten aber an die Front geliefert werden, sagte er: "In zwei Monaten reden wir möglicherweise über Kampfflugzeuge und Kampfpanzer."

Merkur

Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) forderte, nun müssten auch Leopard 2 in die Ukraine geschickt werden. "Wir werden nicht aufhören, Waffen an die Ukraine zu liefern", versicherte auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).

Und auch sein diesbezüglich ohnehin stets an vorderster Front kämpfender Parteifreund, der grüne Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, ging in die Offensive:

Anton Hofreiter fordert die Lieferung zahlreicher europäischer Kampfpanzer an die Ukraine. Scholz müsse "jetzt eine europäische Initiative starten zur Lieferung von Leopard-2-Panzern", sagte der Grünen-Politiker unserer Redaktion. Leopard 2 würden in mehr als zehn europäischen Ländern genutzt. "Es gibt in Europa circa 2.000 aktive Leopard 2. Nur zehn Prozent an die Ukraine geliefert, wären eine große Hilfe."

Handelsblatt

Auf die Idee des "Euro-Leopard" für die Ukraine ist Hofreiter selbstredend nicht selbst gekommen. Sie stammt vom einflussreichen European Council on Foreign Relations, der bereits Anfang September den Leopard-Plan veröffentlichte.

Er enthält so ziemlich genau die Dinge, die sich Hofreiter nun zu Eigen gemacht hat: Es seien bei den EU- und den europäischen NATO-Staaten rund 2.000 Leopard 2 vorhanden, weshalb eine Art Pool für "gespendete" Panzer gebildet werden sollte, die an die Ukraine abgegeben werden könnten.