Pegasus-Spionageskandal: Aufklärung unerwünscht
Seit der Aufdeckung der Spähaktionen steht es um die Aufklärung in Europa genauso schlecht wie um eine Möglichkeit, der Ausspähung einen Riegel vorzuschieben
Ein Jahr ist es her, seit durch ein internationales Rechercheprojekt, an dem in Deutschland unter anderem die Zeit und die Süddeutschen Zeitung mitwirkten, bekannt wurde, dass über die Spionagesoftware Pegasus auch Regierungschefs und Präsidenten ausgespäht worden waren.
An der Enthüllung waren auch die französische Zeitung Le Monde, der britische Guardian und die Washington Post beteiligt. Sie alle erhielten Zugang zu Daten, über die die französische Nichtregierungsorganisation "Forbidden Stories" und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) verfügten.
Schon dadurch wurde klar, dass etwa 600 Politiker, fast 200 Journalisten und fast 100 Menschenrechtsaktivisten ausspioniert worden waren – und das war nur die Spitze des berühmten Eisbergs, wie weitere Enthüllungen gezeigt haben.
Natürlich ist der Einsatz von Technologie zur Cyberspionage nicht neu. Doch vor einem Jahr wurde erstmals der Umfang deutlicher – und man bekam eine Ahnung vom wahren Ausmaß.
Staatsoberhäupter ausspioniert
Klar wurde, dass über den Pegasus-Trojaner, der von der israelischen Firma NSO-Group stammt und angeblich nur an Staaten verkauft wird, das Handy des französischen Präsidenten Emmanuel Macron genauso ausgespäht worden war wie Mobiltelefone des EU‑Kommissars Didier Reynders, des britischen Noch-Premiers Boris Johnson und des spanischen Premierministers Pedro Sánchez.
Sánchez ist der einzige Fall, in dem dies offiziell bestätigt wurde, um von einer Pegasus-Spionage abzulenken, die von spanischen Sicherheitskräften ausging.
Stochern im Nebel
Die Aufklärung der Vorgänge kommt bestenfalls mühsam voran. Im EU-Parlament will ein Untersuchungsausschuss eigentlich Klarheit darüber schaffen, inwieweit auch EU-Mitgliedsländer Pegasus und ähnliche Software einsetzen oder eingesetzt haben – und ob dabei gegen Gesetze verstoßen wurde. Der Ausschuss stochert aber vor allem im Nebel herum.
Von der EU-Kommission kommen nur wachsweiche Aussagen. So schrieb der Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis und Wirtschaftskommissar auf zahlreiche Fragen von Europaparlamentariern nur kurz und lapidar, dass man das Thema in einem "europäisch-israelischen Unterausschuss zur Sprache gebracht" habe.
"Die Kommission hat den israelischen Behörden ihre Bedenken hinsichtlich der Ausfuhrkontrollen auf diese Güter und ihren möglichen Missbrauch zur Verletzung von Menschenrechten mitgeteilt und Israel dazu aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen", hieß es. Behörden sollten "Risikominderungsmaßnahmen" in Erwägung ziehen, um den "Missbrauch" von israelischer Spähsoftware zu verhindern.
Die Antworten deuten darauf hin, dass man an einer wirklichen Aufklärung in Brüssel nicht interessiert ist. Keine Antwort gab es u.a. darauf, wie viele und welche EU-Staaten die Software selbst nutzen, ob Server für die Spionage in der EU stehen und wo.
Cornelia Ernst, Europaparlamentarierin der Linken und Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) beklagt auch das Verhalten Israels. Eine "Faktenfinder-Reise" von Parlamentskolleg:innen nach Israel sei gerade abgeschlossen worden. "Wichtigste Erkenntnis: Es gibt dort kein Interesse, weder politisch noch institutionell, Exportkontrollen zu verstärken. Das zuständige Verteidigungsministerium lehnte sogar ein Treffen ab."
Nach Angaben von Ernst nutzen zwölf EU-Mitgliedstaaten 15 Spionagesysteme - einige Länder betreiben mehrere. "Nutzungsrechte haben dort insgesamt 22 Polizeien und/ oder Geheimdienste. Zwei Verträge mit EU-Staaten wurden gekündigt. Das reicht nicht!", twitterte sie.
Auch das BKA nutzt Spionagesoftware
Das fehlende Interesse an der Aufklärung hängt auch damit zusammen, dass Spionagesoftware wie Pegasus auch vom Bundeskriminalamt (BKA) genutzt wird. Nach Angaben des Portals Netzpolitik.org soll das BKA eine "angepasste Version von Pegasus" nutzen. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) stehe auf der Kundenliste von NSO Group.
Bekannt ist seit April auch, dass spanische Sicherheitskräfte eine gigantische Spionageaktion gegen Katalanen und Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung betrieben haben. Aufklärung dazu verhindert die sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung von rechten und rechtsradikalen Parteien.
Ausgespäht wurden dort auch Anwälte, Aktivisten sowie Europarlamentarier mit Immunität. Konsequenzen hatte dies keine, es gab nur ein Bauernopfer. Verteidigungsministerin Margarita Robles, die ebenfalls ausgespäht wurde, rechtfertigte das illegale Vorgehen sogar.
Allerdings fand das Vorgehen, obwohl es auch von "Citizen Lab" und AI vorgestellt wurde, auf deutlich weniger Widerhall. Erstaunlich ist auch, wie wieder einmal in der EU mit zweierlei Maß gemessen wird. Der Untersuchungskommission des Europaparlaments will sich neben Israel auch in Ungarn und Polen um Aufklärung bemühen.
Wo die Hauptverdächtigen sogar noch belohnt wurden
Ermittler will man aber in Spanien nicht. Dort hat man, obwohl hinter dem Spionage-Angriff auf Sánchez und seine Regierungsmitglieder mit größter Wahrscheinlichkeit Marokko steht – auch im Fall von Macron – das Land sogar belohnt und zum "bevorzugten Partner" gemacht und damit dem größten Gaslieferanten Algerien vors Schienbein getreten
Für Berichterstatterin des Pegasus-Ausschusses ist klar, dass die Ermittlungen sehr schwierig sind. Sophie in ‚t Veld meint, es sei "sehr undurchsichtig, und zwar mit Absicht", welche Hersteller was tun. Alle Anbieter müssten aufgelistet werden. "Es ist unmöglich, nachzuvollziehen, wer was tut", sagte in ‚t Veld.
Experten meinen ohnehin, dass auch Pegasus "nur die Spitze des Eisbergs" sei, wie Ben Wagner, Professor an der Technischen Universität Delft, betont. Tatsächlich noch mächtiger, davor hatte sogar Microsoft gewarnt, ist die israelische Candiru-Software, die auch Computer infiziert, wie Telepolis bereits berichtete.
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