Gigantische Pegasus-Spionage: Nur die Spitze des Eisbergs
- Gigantische Pegasus-Spionage: Nur die Spitze des Eisbergs
- Spyware von Candiru: Noch viel potenter
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CatalanGate: Der Skandal in Spanien ist der größte - Spionage-Programme, die nur an Staaten verkauft werden, wurden gegen mindestens 65 hochrangige Politiker, Journalisten, Aktivisten und Anwälte eingesetzt
Für das renommierte IT-Sicherheitslabor Citizen Lab ist die Lage ziemlich klar. Das Lab hatte bereits im vergangenen Sommer eine Pegasus-Spionage aufgedeckt, die auch die französische und britische Regierung eingeschlossen hatte. Jetzt berichtet das Sicherheitslabor an der Universität Toronto, das sich seit Jahren mit Überwachungssoftware beschäftigt, dass beim wohl größten bisher bekannt gewordenen Ausspähungsskandal alles auf eine spanische Urheberschaft hindeutet.
In seinem umfassenden Bericht über "CatalanGate" schreibt Citizen Lab, dass "viele Hinweise auf die spanische Regierung deuten". An einer anderen Stelle heißt es, dass "starke Hinweise auf eine Verbindung zu den spanischen Behörden deuten".
"Wie Demokratien ihre Bürger ausspionieren", titelte The New Yorker, der zunächst exklusiv darüber in einem ausführlichen und sehr lesenswerten Artikel berichtet hatte, über den neuerlichen Skandal. Citizen Lab macht klar, wer die Betroffenen sind: ausschließlich hochrangige katalanische Politiker, darunter die vier letzten Präsidenten Kataloniens, etliche Parlamentarier, Parlamentspräsidenten oder auch Spitzen von herausragenden zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie bekannte Journalisten oder herausragende Anwälte, die friedlich für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten. Bisweilen wurden auch direkte Angehörige ausgeschnüffelt.
Betroffen sind aber auch Persönlichkeiten außerhalb Kataloniens, die den Prozess dort unterstützen, wie die baskischen Politiker Jon Inarritu oder Arnaldo Otegi, der Chef der baskischen Linkskoalition. Dieser hat bereits Erfahrungen mit noch heftigeren spanischen Repressionsmethoden und Spionage gemacht.
Otegi und andere hatten nach einem unfairen Prozess sechseinhalb Jahre in Gefängnissen geschmort, doch dann hat der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg auch dieses spanische Urteil gekippt.
Menschenrechte: Schwere Vorwürfe gegen Madrid
Die Untersuchungen von Citizen Lab haben auch IT-Experten von Amnesty International (AI) bestätigt. Für AI ist klar, dass angesichts der spanischen Vorgänge dringender Handlungsbedarf auch in Brüssel besteht: "Die EU muss handeln, um den Missbrauch von Spionageprogrammen zu beenden, nachdem prominente Katalanen mit Pegasus angegriffen wurden", schreibt die Menschenrechtsorganisation.
Spanien müsse klären, ob es Kunde der israelischen NSO-Group ist, die Pegasus geschaffen hat. AI fordert zudem "eine gründliche, unabhängige Untersuchung des Einsatzes von Pegasus-Spähsoftware". Auch Amnesty traut offenbar den spanischen Behörden kaum noch über den Weg.
Die Menschenrechtsorganisation hatte auch immer wieder die Freilassung von politischen Gefangenen aus Katalonien gefordert. Letztlich trug das dazu bei, dass über den Europarat wachsweiche Teil-Begnadigungen durchgesetzt wurden.
Klar ist, dass die Spyware, das teure "Produkt" von NSO nur an Staaten verkauft wird. Angeblich soll es der Bekämpfung des Terrorismus und von schwerster Kriminalität dienen, wie NSO stets behauptet. So sollen auch spezielle Überprüfungen und Garantien eingesetzt werden, um das zu garantieren. Das ist bestenfalls ein schlechter Witz.
Repression unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus
Auch hier zeigt sich vor allem, wie unter dem Vorwand "Terrorismus" eine repressive Ausweitung in die Breite erfolgt, die schließlich alle treffen kann. In Spanien kann, das ist für Telepolis-Leser kein Geheimnis, nach einer schwammigen Verschärfung von Gesetzen ohnehin alles als Terrorismus gezählt werden, ja sogar Liedtexte oder eine Schubserei in einer Kneipe.
Soweit bisher bekannt sind von der bisherigen Spionage auch der amtierende katalanische Präsident Pere Aragonés, sein Vorgänger Quim Torra oder Carles Puigdemont betroffen, der sich seit 2017 im belgischen Exil befindet, aber auch dessen Vorgänger Artur Mas, dem die spanische Repression die finanzielle Keule verpassen will.
Dass die spanische Regierung und Behörden behaupten, mit der großangelegten Ausspähaktion nichts zu tun zu haben, nimmt der Regierung eigentlich niemand ab. Erstens ist längst bekannt, dass Spanien ein NSO-Kunde ist. Ein Ex-Mitarbeiter hat gegenüber dem New Yorker zudem erklärt, dass es ein spanisches Kundenkonto bei der Firma gibt. Nun hat aber auch der Geheimdienst CNI zugegeben, Pegasus gekauft zu haben.
Das berichtet heute die große Tageszeitung El País, die praktisch das Verlautbarungsorgan der sozialdemokratischen Regierung ist. Laut ihren Informationen sind sechs Millionen Euro für Pegasus geflossen.
Bei realem Terrorismus drückt der Geheimdienst gerne auch mal Augen zu, wie sich in der Vergangenheit zeigte. Sogar der Chef einer Terrorzelle, die in Barcelona genau in dem Jahr ein Massaker angerichtet hatte, nämlich 2017, als mit der Ausspähung der Katalanen begonnen wurde, war CNI-Zuträger.
Es war das Jahr, als die Katalanen demokratisch ein Referendum über die Unabhängigkeit durchführten. Genau in diesen Kontext stellt auch Citizen Lab die Pegasus-Angriffe, die "im Vorfeld und im Anschluss" stattgefunden hätten. Die Abstimmung versuchte Spanien bekanntlich mit einer "gut organisierten militärähnlichen Operation" zu verhindern, wie dies auch unabhängige ausländische Beobachter feststellten. Doch nicht einmal das gelang.
Mehr als 2,3 Millionen Stimmen konnten ausgezählt werden. Von denen sprachen sich mehr als 90 Prozent für die Unabhängigkeit von Spanien aus.
Die Ausspähungsaktionen reihen sich in die Linie ein, die die damalige ultrakonservative Regierung ausgegeben hatte: Die demokratische Abstimmung "mit allen Mitteln" verhindern zu wollen. Sie wurde in dieser Frage von den sehr nationalistischen Sozialdemokraten gestützt, wie auch bei dem Vorgehen, die gewählte Regierung unter Carles Puigdemont dann unter absurden Vorwürfen wie "Rebellion und Aufruhr" ins Gefängnis zu bringen oder ins Exil zu jagen.
Die absurden Vorwürfe der spanischen Regierung nahmen unabhängige Richter in etlichen Staaten Europas nicht ab. Auch Deutschland verweigerte die Auslieferung des Exilpräsidenten Puigdemont.
Interessant ist auch hier der erneut zweischneidige Umgang in den deutschen Medien. Als Citizen Lab den ersten Pegasus-Skandal im vergangenen Jahr aufgedeckt hatte, lautete der Tenor der deutsche Presse in etwa so wie die Überschrift der Tagesschau: "Wie autoritäre Staaten ihre Gegner ausspähen", abgehoben wurde dabei zum Beispiel auf Marokko, Ungarn oder Aserbaidschan.
Herausgehoben wurde, dass etwa Oppositionelle und Journalisten in Ungarn genauso über Pegasus ausspioniert wurden wie der französische Präsident Emmanuel Macron. Dass sich unter den Opfern damals auch zwei Katalanen befanden, darunter sogar der damalige Parlamentspräsident Roger Torrent, wurde meist unter den Tisch gekehrt.
Spanien soll, egal, ob es Zeitungen illegal schließt, Journalisten foltert, sich politische Gefangene erlaubt und sogar der "Weltmeister bei der Inhaftierung von Musikern" ist, einfach nicht als das angesehen werden, was sich als Eindruck aufdrängt: ein autokratischer Staat, in dem Minderheiten und Dissidenten verfolgt werden, wenn sie den Status quo in Frage stellen.