Spanische Regierung ist an Kataloniens Bürgern gescheitert
Die Stürmung einiger Wahllokale hatte neben Hunderten von Verletzten keine Auswirkung auf das Referendum, noch aber ist es nicht ausgestanden
Die Situation ist weiterhin weitgehend ruhig, am späten Nachmittag setzte sich zusehends eine Stimmung durch, dass man gewonnen hat, egal welches Ergebnis nun noch ausgezählt wird. Denn es ist gelungen, gegen massive Gewalt eine Abstimmung durchzusetzen, an der sich ein großer Teil der Bevölkerung beteiligt haben dürfte oder es zumindest versucht hat. Die blutigen Vorgänge am Morgen haben auch nur dazu geführt, dass noch mehr Leute aufgestanden sind, um abstimmen zu gehen. Ohnehin sind von den brutalen Angriffen nur ein kleiner Teil der gut 2000 Wahllokale betroffen. Die spanischen Sicherheitskräfte räumen ein, dass nicht einmal in 100 die Wahlurnen beschlagnahmt wurden.
Mit gewaltfreiem aktiven Widerstand ist an einigen Orten auch gelungen zu verhindern, dass die Guardia Civil oder Nationalpolizei in Wahllokale eindringen konnten. Sie mussten unverrichteter Dinge abziehen, in ihnen wird weiter abgestimmt. Die Regionalpolizei hat sich zum Teil inzwischen auch eingemischt, allerdings nicht um Wahlurnen zu beschlagnahmen, sondern um ihre Bevölkerung zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Das ist die Aufgabe der Mossos. Gegen sie wird nun ermittelt.
Über 460 Menschen wurden durch das Vorgehen der Polizei verletzt
Dass es hier in der Altstadt von Barcelona, aber vermutlich im ganzen Land, deutliche Verspätungen beim realen Beginn der Abstimmung gab, hatte indirekt mit dem Sturm auf einige Wahllokale zu tun, bei denen fast 500 Menschen nach bisherigen Angaben verletzt wurden. Die Bürgermeisterin Colau hat inzwischen getwittert: "Over 460 people injured in Catalonia already. As Mayor of BCN I demand an immediate end to police charges against the defenceless population." Derzeit sieht es nicht so aus, als würden die Angriffe aufhören, wie diverse Quellen bestätigen, machen sich die "Sicherheitskräfte" bereit, um weitere Wahllokale zu stürmen.
Wegen der Stürmung von Wahllokalen schon kurz nach Öffnung um 9 Uhr wurde auf Plan B umgeschaltet. Statt dem üblichen Zensus nach Stadtteilen wurde dann ein allgemeiner katalanischer Zensus verwendet. So konnten die Wähler irgendein Wahllokal in ganz Katalonien ansteuern. Die lokalen Wählerlisten waren damit sinnlos und es musste nun aufwendig übers Internet geprüft werden, dass der Teilnehmer auch ordnungsgemäß im Wahlregister aufgeführt ist. Das wurde sorgfältig in den Wahllokalen durchgeführt, die von Telepolis in Augenschein genommen werden konnten.
Das war ein Grund, warum zunächst die Schlangen noch länger wurden, weil das technisch Probleme gemacht hat und Webseiten, über die das stattfand, immer wieder abgeschaltet werden konnten. Doch auch dieses Problem wurde bald gelöst. Bilder von Menschen mit blutigen Gesichtern haben viele nicht abgeschreckt, sondern nur noch mehr mobilisiert, womit die Schlangen noch länger wurden.
Eigentlich wollte zum Beispiel die Galicierin Elisa nicht abstimmen. Aus Protest vor dem Vorgehen "meiner spanischen Regierung", hat auch sie sich dann noch in die lange Schlange eingereiht. "Ich habe ungültig gewählt", sagt sie. Sie wollte weder gegen die Unabhängigkeit ihrer Heimat stimmen, noch für die Abtrennung von ihrer früheren Heimat. Dass man als Spanierin in Katalonien schlecht behandelt werde, wenn man die Sprache nicht spricht, sei "Schwachsinn", sagt die Frau, die im Stadtteil Gracia einen kleinen Laden betreibt. Auch sie wurde nach der Wahl beklatscht, wie alle, ob sie Ja, Nein oder ungültig gewählt haben.
Werden die spanischen Sicherheitskräfte noch einmal zuschlagen?
Spanien schickt also nun doch Bilder von blutenden und verletzten Menschen um die Welt, die nichts anderes wollen, als ihre Menschenrechte einzufordern. Wählen zu dürfen, gehört dazu genauso wie Meinungsfreiheit oder das Selbstbestimmungsrecht. Die Bilder erinnern an die dunkle Zeit der Diktatur und die "Epoche des Faschismus". Das bemerkte auch der katalanische Regierungssprecher Jordi Turull.
Erwartet wird, dass dem "Faschismus" der regierenden Volkspartei (PP) nun der "Lack" abfällt, wie der Parlamentarier der Republikanischen Linken Kataloniens (ERD) Gabriel Rufian bemerkt. Er fordert die Ciuadadanos (Bürger) und die Sozialdemokraten (PSOE) auf, ihre "Kollaboration" aufzugeben. "Was dieser Prozess geschafft hat, ist, dem Staat die Maske vom Gesicht zu ziehen." Nicht unähnlich hat sich der Chef der spanischen Linkspartei Podemos (Wir können es) geäußert. Pablo Iglesias erklärte: "Die Strategie der PP und ihrer Verbündeten ist gescheitert und hat die Demokratie und das Zusammenleben an bisher unbekannte Grenzen gebracht." Er fügt an: "Wer glaubt, dass die Demokratie mit Schlagstöcken aus den Kloaken des Staats verteidigt wird, versteht nicht, was Demokratie ist und es sind keine Demokraten."
Die Strategie Spaniens hat fast komplett versagt, mit der die Abstimmung verhindert werden sollte. Es wurde behauptet, es werde keine Urnen geben, und doch gab es sie. Man hat Millionen Wahlzettel beschlagnahmt, doch es gab ausreichend Wahlzettel. Es ist auch durch die Besetzung von Kommunikationszentralen nicht erreicht worden, das Computernetzwerk auszuschalten. Und niemanden hat die Repression von der Beteiligung abgehalten.
Am Abend, wenn schließlich die Wahllokale schließen, wird noch einmal mit einem Höhepunkt staatlicher Gewalt gerechnet. Die spanischen "Sicherheitskräfte" werden versuchen, an die prall gefüllten Urnen zu kommen, wird allgemein erwartet. Vor einigen Wahlbüros, die als besonders gefährdet gelten, werden Barrikaden errichtet, um zu verhindern, dass die Urnen beschlagnahmt werden können.