Erzwungene Milde für katalanische Politiker

Pedro Sánchez. Bild: Spanische Regierung/Ministry of the Presidency, Government of Spain

Warum der spanische Regierungschef die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nicht begnadigen will, sondern muss. Ein Kommentar

In Spanien hat Regierungschef Pedro Sánchez die Begnadigung von Anführern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung angekündigt. Der Politiker der sozialdemokratischen Partei PSOE versucht damit die Flucht nach vorn. International hatte es zuletzt massive Kritik an den Verurteilungen führender katalanischer Politiker wegen "Aufstands" in der nordostspanischen Region gegeben. Sogar die US-Regierung hatte sich wegen der Katalanen besorgt über die Menschenrechtslage in Spanien gezeigt.

Unter spanischen Juristen war schon länger von absurden Anklagen und von "verrückten Strafanträgen" ohne "juristische Basis" die Rede. Sogar zwei Verfassungsrichter haben im Fall des inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Jordi Cuixart in einem abweichenden Urteil von einer "Gefahr" vor einer "Beschädigung der Demokratie" wegen "überzogener Strafen" gesprochen.

Die Mobilisierungen und das Referendum 2017 seien "strikt friedlich durchgeführt" worden. Für einen Aufstand bedarf es aber einer "tumultartigen massiven Gewalt". Die Anklage bemühte gar "Rebellion", wobei der Einsatz von Kriegswaffen gerechtfertigt wäre.

Die beiden genannten Richter haben sich der Auffassung ihrer Kollegen in Belgien angeschlossen, die weder Hinweise auf eine Rebellion noch auf einen Aufruhr finden konnten. Deshalb verweigerten sie die Auslieferung von Exilpräsident Carles Puigdemont.

Zudem hat der Europäische Gerichtshof Spanien und das halbe Europaparlament zurechtgewiesen. Er gab Puigdemont und zwei Ex-Ministern vorerst die Immunität zurück, die ihnen das Parlament auf Druck Spaniens aberkannt hatte.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarates hatte in ihrem Bericht zur Lage der Menschenrechtsverteidiger Spanien schon mit Aserbaidschan, Russland und der Türkei verglichen. Heftiger fiel die Kritik im Rechtsausschuss des Europarates aus. Mit einer Mehrheit von 20 zu fünf wird beklagt, dass man katalanische Politiker und Aktivisten für "bloße Äußerungen für die Unabhängigkeit" über das "Strafrecht" nicht "zu langen Haftstrafen" von bis zu 13 Jahren verurteilen kann. Zudem sei dies "in Ausübung ihres politischen Mandats" geschehen.

Spanien wird nicht nur zur "Begnadigung oder anderweitigen Freilassung" der politischen Gefangenen aufgefordert, auch die "Einstellung von Auslieferungsverfahren" solle "erwogen" werden, heißt es im Diplomaten-Sprech. Zudem sollten "die verbleibenden Strafverfahren" eingestellt werden, wird eigentlich die Amnestie gefordert, die auch die Unabhängigkeitsbewegung fordert.

Da für Cuixart nun nach der Bestätigung seiner neunjährigen Haftstrafe durch die Richtermehrheit am Verfassungsgericht der Weg frei zum Menschenrechtsgerichtshof, wird der spanische Staat wie im Fall von Basken in Straßburg wohl erneut eine Niederlage erleiden. Das ist auch Sánchez klar, denn Cuixart hat seine Beschwerde schon eingereicht. Der spanische Ministerpräsident will mit der Begnadigungen offenbar einem weiteren gerichtlichen Niederlage zuvorkommen.

Niederlagen stehen auch am Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, der schon dem Chef der Republikanischen Linken (ERC) Immunität zugesprochen hat, was Spanien bisher ignoriert. Es ist aber klar, dass die ERC, die ihm an die Macht half, ihn weiter stützt, obwohl er kein Versprechen eingehalten hat, nicht ewig hinhalten kann. Jetzt, da sie sogar die katalanische Regierung führt, muss Sánchez auch etwas liefern.

An den Begnadigungen kommt er deshalb im politischen Überlebenskampf – besonders nach der Wahlschlappe in Madrid – nicht vorbei. Er ist dazu gezwungen. Er versucht damit zudem der internationalen Kritik die Spitze zu nehmen. Gleichzeitig will er einen Keil in die Bewegung treiben. Denn die Repression in der Masse soll weitergehen. Das soll viele Katalanen empören und gegen ihre Anführer aufbringen.

Das politische Problem mit Katalonien möchte Sánchez ohnehin nicht angehen. Über ein vereinbartes Unabhängigkeitsreferendum nach Vorbild Schottlands will er nicht einmal sprechen. Ob das Kalkül mit den Begnadigungen aufgeht, wird sich zeigen. Der Aktivist Cuixart will sich auf dieses Spiel nicht einlassen. Er wird keinen Antrag stellen, da damit eine Anerkennung der Schuld einhergehen würde. "Ho tornarem a fer" (Wir werden es wieder tun), erklärt er.