Spanien schreibt Unrechtsgeschichte
Obwohl das Urteil gegen fünf baskische Politiker vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg kassiert wurde, sollen sie erneut vor Gericht gestellt werden
Wie Telepolis vor fast zwei Jahren berichtet hatte, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass fünf baskische Politiker keinen fairen Prozess hatten. Auf dieser Basis kassierte eineinhalb Jahre später schließlich auch der Oberste Gerichtshof in Madrid das eigene Unrechtsurteil.
Damit wäre in jedem normalen Land die Sache ausgestanden und der Chef der Linkskoalition Partei EH Bildu (Baskenland Versammeln), Arnaldo Otegi, der ehemalige Gewerkschaftschef Rafael Díez Usabiaga, der Chef der Linkspartei Sortu (Aufbauen), Arkaitz Rodríguez, sowie Sonia Jacinto und Miren Zabaleta hätten Haftentschädigung für die 6,5 Jahre erhalten, die sie komplett abgesessen hatten, bevor in Straßburg entschieden wurde. Sie waren beschuldigt worden, Mitglieder der Untergrundorganisation ETA zu sein. Am Nationalen Gerichtshof wurden sie zunächst sogar als angebliche Führungsmitglieder verurteilt.
Doch nun hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Politiker erneut vor dieses Gericht gestellt werden. Das ist ein einmaliger Vorgang in der spanischen Rechtsgeschichte, da damit nicht nur das Straßburger Urteil faktisch ignoriert wird, sondern auch das Urteil des gleichen Gerichtshofs im Juli. Und das geschieht nach ausdrücklicher Prüfung des Nationalen Gerichtshofs. Der hatte es im Sommer angesichts der juristischen Lage abgelehnt, das Verfahren erneut zu eröffnen. Nur die fünf Politiker hätten demnach das "legitime Recht" gehabt, einen neuen Prozess zu fordern.
Der Ermittlungsrichter, der das Verfahren gegen die Basken einst eingeleitet hatte, hält es für "schrecklich", dass sie erneut vor Gericht gestellt werden. Das sei "in sich eine neue Verurteilung", erklärte Baltasar Garzón. Der andalusische Professor für Verfassungsrecht, Javier Pérez Royo, spricht von einer "klaren Rechtsbeugung" der Obersten Richter und nennt den Vorgang eine "Ungeheuerlichkeit".
Die Betroffenen sind am Dienstagmittag im Seebad Donostia (San Sebastian) vor die Presse getreten, um die Vorgänge politisch zu bewerten. Otegi hat von einer "Absurdität" gesprochen, die "politischen Gründen" geschuldet sei. Hätten die Verhaftungen vor 11 Jahren zum Ziel gehabt, die strategische Neuausrichtung der linken Unabhängigkeitsbewegung zu torpedieren, solle sie nun kriminalisiert werden, da sie "immer stärker " und "immer entscheidender" werde. Das sagte Otegi auch mit Blick darauf, dass die Linkskoalition in Spanien auf die Stimmen von EH Bildu angewiesen ist wie kürzlich zur Verabschiedung des Haushalts.
Dass die fünf Politiker an der Abwicklung der ETA gearbeitet hatten, ist längst historische Wahrheit, denn die ETA stellte schon vor neun Jahren den bewaffneten Kampf "endgültig" ein, ist längst entwaffnet und aufgelöst.
Immer wenn die Rechte in Spanien die Wahlen verliert, verschanze sie sich in Sektoren "der Justiz, des Militärs, der Polizei und Kommunikationsmedien", um von dort aus die Politik im spanischen Staat zu bestimmen, meint Otegi. Jetzt gehe es darum, die "derzeitige politische Lage im spanischen Staat zu destabilisieren". Es ist bekannt, dass der Kammer des Gerichtshofs, die diese Entscheidung getroffen hat, der berüchtigte Manuel Marchena vorsteht. Dass er ein Mann der Rechten ist, hatte der frühere Sprecher der Volkspartei (PP) zugegeben. Für die PP sollte Marchena sogar den gesamten Gerichtshof "durch die Hintertür" kontrollieren.
Marchena stand auch dem Verfahren gegen die katalanischen Politiker und Aktivisten vor, die wegen angeblichen Aufruhr zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie Wahlurnen aufgestellt hatten. In keinem europäischen Land - auch nicht in Deutschland - konnten Gerichte Belege für diese Anschuldigungen finden, weshalb alle Auslieferungsanträge von Exil-Politikern nach Spanien abgelehnt wurden.
Für Otegi ist klar, dass das "Ungehorsam" des Gerichtshofs gegenüber Straßburg auch ein Wink mit dem Zaunpfahl an Katalonien sei.
"Es wird die Nachricht an die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter übermittelt, dass man zu allem bereit sei, um das Regime von 1978 zu verteidigen, egal was der EGMR sagt."
Die baskische Linke werde von ihrem Kurs aber nicht abweichen, erklärte er.