Spanien: "Wir wollen eine für die Menschen nützliche Linke sein"
Die Mehrheit für spanischen Haushalt steht: Linksnationalistische Parteien aus dem Baskenland und Katalonien werden aller Voraussicht nach dafür stimmen
Drei Jahre wurde Spanien mit einem Haushalt regiert, den noch die rechte Regierung von Mariano Rajoy verabschiedet hatte. Nun ist es zu Zeiten eines schweren Einbruchs der Wirtschaft, der wegen der heftigen zweiten Corona-Welle so stark wie sonst nirgends in Europa ausfällt, der Minderheitsregierung unter Pedro Sánchez mit einigen Zugeständnissen und Versprechungen gelungen, eine Mehrheit für ihren Etat zu schmieden, da ihn auch baskische und katalanische Parteien tragen werden. Der Weg wurde, so hatte es Telepolis vor zwei Wochen angekündigt, über die Zustimmung zur Reform eines Bildungsgesetzes freigemacht.
Entscheidend sind die 18 Stimmen der baskischen und katalanischen Linksparteien, die einen strategischen Schwenk eingeleitet haben. Noch im vergangenen Januar hatten sich die baskische EH Bildu (Baskenland Vereinen) und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) bei der Amtseinführung von Sánchez nur enthalten. So wurde er erst im zweiten Wahlgang ohne absolute Mehrheit gewählt, weil er mehr Ja- als Nein-Stimmen bekam. Sein Haushalt erhält dagegen am Donnerstag vermutlich mit aller Wahrscheinlichkeit 187 Stimmen eine klare absolute Mehrheit.
"Wir wollen eine für die Menschen nützliche Linke sein", erklärten ERC und EH Bildu auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Zuvor hatten sie den Weg freigemacht und einen Änderungsantrag zurückgezogen, der einen Stopp von Zwangsräumungen wegen der Corona-Misere im Land bis 2022 vorsah. Die Regierung hat versprochen, dazu ein Dekret zu verabschieden.
Schmusekurs mit der Sozialdemokratie
Mit der tiefen sanitären und ökonomischen Krise wird der neue Schmusekurs mit der Sozialdemokratie begründet, da auch europäische Hilfsgelder aus dem sogenannten "Wiederaufbaufonds" (Next Generation EU) mit dem Haushalt verbunden sind, da sie dort eingestellt sein müssen. Allerdings sind diese Gelder ohnehin noch über die Veto-Ankündigung von Polen und Ungarn blockiert.
Da sich auch die rechts-neoliberale Ciudadanos-Partei (Cs) angeboten hatte, den Haushalt bei Zugeständnissen zu tragen, erklärte Bildu-Chef Arnaldo Otegi: "Wir können nicht zulassen, dass auch in dieser Krise wieder die einfachen Leute die Zeche zahlen." Man müsse die "Ultrarechte" stoppen, um "Rechte zu erweitern und zu schützen".
Auch die stellvertretende ERC-Generalsekretärin Marta Vilalta will "die Rechte zur Seite zu drängen, die die Kontrolle über die Entscheidungen im Staat erhalten will". Die rechten Cs hatten ebenfalls gegen die Ablehnungsanträge des gesamten Haushalts gestimmt, um sich erneut als Partner anzubieten. Auf die Partei hatte Sánchez in den vergangenen Monaten immer wieder zurückgegriffen und ihr die Hand mit Blick auf den Haushalt ausgestreckt.
Die Ziele der Linksparteien
Die Ziele der Linksparteien reichen weit über den Haushalt hinaus. Man wolle in Richtung Unabhängigkeit des Baskenlands und Kataloniens genauso vorankommen, wie man der Bevölkerung bei ihren täglichen Nöten helfen wolle. "Das eine hat ohne das andere keinen Sinn", sagte Vilalta. Sie will auch die "Repression" stoppen, eine "Amnestie" erreichen und in der Konfliktlösung vorankommen. Schließlich befinden sich etliche katalanische Politiker im Exil oder im Gefängnis, darunter auch der ERC-Chef Oriol Junqueras. Der genießt, nach Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Immunität und müsste im Europaparlament und nicht im Knast sitzen.
Allerdings hatte diese Ziele die ERC schon im Januar vorgegeben und dabei ihre Unterstützung für Sánchez an einen Dialog mit einem klaren Zeitrahmen zur Konfliktlösung verbunden. Im Telepolis-Gespräch erklärte die ERC-Sprecherin: "In dem Maße, in dem die Verhandlungen gedeihen, können wir auch den Haushalt oder andere Maßnahmen unterstützen und der Regierung Stabilität verschaffen."
Gediehen ist bekanntlich nichts. Von der Warnung, dass die Unterstützung "beendet" wäre, "wenn es am Verhandlungstisch nicht vorangeht", blieb nichts. Faktisch gab es nach einem einzigen einleitenden Dialog nie die erzwungenen Verhandlungen. Die Repression zieht immer weitere Kreise, statt auch nur abgeschwächt zu werden.
Wegen einer Bagatelle wurde Ende September sogar Regierungschef Quim Torra über die politisierte spanische Justiz gestürzt. Deshalb gibt es im Februar Neuwahlen in Katalonien. Vor denen steht die ERC, die erstmals stärkste Kraft werden will, nun mit leeren Händen da.
Dass sie stärkste Kraft wird, ist nach Umfragen möglich, da die ehemalige Christdemokratie gespalten ist. So wollen zum Beispiel auch vier abtrünnige PdeCAT-Abgeordnete, die aus der Partei "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) des Exilpräsidenten Carles Puigdemont ausgeschert sind, für den Haushalt stimmen. Allerdings hat JxCat nun, wie an dieser Stelle seit langem erwartet worden war, die beliebte und charismatische Laura Borràs zur Kandidatin gekürt, die Puigdemont in Barcelona vertreten soll.
Die unabhängige Kandidatin, die auch viele Linke anspricht, kritisiert das Verhalten der ERC genauso scharf als "unverantwortlich" wie die linksradikale CUP. Man könne dem Haushalt nicht für "nichts oder fast nichts" absegnen. Der sei ohnehin nicht geeignet, um die "schwerwiegenden politischen und ökonomischen Probleme zu lösen".
Für die antikapitalistische CUP erklärte die Parlamentarierin Mireia Vehí, die ERC habe nun die Politik der früheren Christdemokratie übernommen. "Es ist so, als sei die alte Konvergenz zurückgekehrt." Für einige Infrastrukturmaßnahmen und Investitionen, werde über die "politische Verfolgung" hinweggesehen. Insgesamt würde auch dieser Haushalt die "Ungleichheit" vergrößern, "ein charakteristisches Element im spanischen Staat". Tatsächlich gibt es ständig neue Verfahren und Anschuldigungen und nun würden erneut drei Unabhängigkeitsbefürworter inhaftiert, erklärte Vehí.
Kritik der sozialen Bewegungen
Hinter dieser Kritik stehen auch viele Aktivisten von sozialen Bewegungen. So können Organisationen wie die Mietergewerkschaften nicht verstehen, dass sich ERC, Bildu und Podemos dazu breitschlagen ließen, den Änderungsantrag für den Räumungsstopp zurückzuziehen. Ohnehin, darauf weist gegenüber Telepolis auch eine Sprecherin von Raval Rebel hin, wurden die Zwangsräumungen nie eingestellt. Ana Moreno hatte deshalb schon Zweifel, was "überhaupt über den Antrag herauskommt", der nun sogar zurückgezogen wurde.
Tatsächlich ist die Ausbeute dessen, was EH Bildu und ERC für die Unterstützung der Regierung herausgeholt haben, mehr als bescheiden, weshalb Sympathisanten immer deutlicher auf kritische Distanz gehen.
So hatte sich die Regierung Sánchez zum Beispiel im Frühjahr schriftlich für die Verlängerung des Corona-Ausnahmezustands verpflichtet, die Arbeitsmarktreform der rechten Vorgänger noch vor dessen Beendigung "komplett" zu streichen. Auch ein halbes Jahr danach ist davon nichts in Sicht. Das gilt auch für die Versprechen, das Maulkorbgesetz und andere repressiven Verschärfungen der Vorgängerregierung zu streichen.