Gigantische Pegasus-Spionage: Nur die Spitze des Eisbergs
Seite 2: Spyware von Candiru: Noch viel potenter
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In Telepolis war zu erfahren, dass auch Katalanen unter den Opfern waren. Interessant ist auch, dass bis heute in vielen Medien nicht einmal auftaucht, dass auch Spyware von Candiru eingesetzt wird, die noch viel mächtiger als Pegasus ist.
Schon vor einem Jahr schrieb Citizen Lab, das Candiru erneut in dem Bericht erwähnt: "Candiru ist ein mysteriöses Unternehmen mit Sitz in Israel, das Spyware ausschließlich an Regierungen verkauft." Demnach werden über diese Spyware nicht nur Mobiltelefone angegriffen, sondern auch Computer aller Art. Dabei ist es egal, ob es sich um PC oder Mac handelt, Android-Telefone oder IPhones.
Dass Candiru-Spyware, die als "DevilsTongue" bezeichnet wurde, in Spanien eingesetzt wurde, nämlich in Katalonien, hatte damals sogar Microsoft veröffentlicht: Zwei "0-day exploits" (CVE-2021-31979 und CVE-2021-33771) in Microsoft-Produkten seien für die Spionage ausgenutzt worden, schreibt der Software-Gigant.
Angreifer könnten darüber nicht nur Passwörter stehlen, sondern auch Dateien und Nachrichten von den Geräten rauben. Das sei für Gmail-Konten genauso der Fall gewesen wie für Skype oder Facebook. "Die Spyware kann auch den Browserverlauf und Passwörter erfassen, die Webcam und das Mikrofon des Ziels einschalten und Bilder vom Bildschirm machen", erklärte Citizen Lab. Aus Computern und Handys werden somit Überwachungsgeräte.
"DevilsTongue" ist nach Angaben der IT-Experten nicht nur in der Lage, Daten zu stehlen, verschlüsselte Chats mitzulesen oder Gespräche mitzuhören, die Microsoft-Analyse habe darüber hinaus auch ergeben, dass die Spyware Nachrichten von angemeldeten E-Mail- und Social-Media-Konten vom gehackten Gerät des Opfers habe versenden können: "Dies könnte es ermöglichen, bösartige Links oder andere Nachrichten direkt vom Computer eines kompromittierten Benutzers zu senden. Der Nachweis, dass der kompromittierte Benutzer die Nachricht nicht gesendet hat, könnte ziemlich schwierig sein."
Es sollte allen klar sein, was das bedeutet: So können von den Sicherheitsbehörden, die diese Programme benutzen, praktisch gegen jeden auch "Beweise" geschaffen werden oder sie den Opfern untergeschoben werden. Sie können für Nachrichten, E-Mails oder andere Inhalte verantwortlich gemacht werden, die zwar von ihrem Rechner oder Handy kamen, aber nicht von ihnen geschrieben oder verschickt wurden.
Der ebenfalls ausgespähte katalanische Präsident Aragonés forderte auf einer Pressekonferenz in Brüssel am Dienstag von der spanischen Regierung, dass Pedro Sánchez die "Verantwortlichkeiten übernehmen" müsse. Es würden keine "Ausreden" mehr gelten. Nun sei eine rote Linie überschritten worden, erklärte das Mitglied der Republikanischen Linken (ERC).
Die von der ERC geführte katalanische Regierung kommt wegen ihrer Unterstützung der Sánchez-Regierung in Katalonien nun noch stärker unter Druck, da auch der vor mehr als zwei Jahren versprochene Dialog mit Katalonien nie wirklich begonnen hat. Jede Ausrede passt der Regierung, um mit einem realen Dialog nicht einmal zu beginnen. Der sollte sich eigentlich schon vor zwei Jahren in einer fortgeschrittenen Phase befinden, wie es die ERC-Sprecherin damals im Telepolis-Interview versprochen hatte.
Puigdemont sprach auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Brüssel von einer "riesigen und illegalen" Spionage. Nicht nur der Exilpräsident, sondern auch der ebenfalls ausgespähte Anführer der antikapitalistischen CUP forderte von Aragonès, endlich die Unterstützung der Minderheitsregierung von Sánchez zu beenden.
"Nichts kann bleiben, wie es ist"
Carles Riera sprach von einem "Anschlag auf die Demokratie". Puigdemont meint, nichts könne nach der Spionage so bleiben, wie es ist.
"Es wäre unverständlich, dass man weiter einer Regierung vertraut", die in einen "kriminellen Komplott" verstrickt ist und eine Spionage organisiert habe, "während sie behauptete, den Dialog zu wollen."
Betroffen von der Spionage waren neben Politikern auch zivilgesellschaftliche Aktivisten wie die Präsidentin des "Katalanischen Nationalkongresses" (ANC), Elisenda Paluzie. Angesichts der "umfassendsten illegalen Spionage", in der über "fünf Jahre" lang in einem EU-Mitgliedsstaat Dissidenten ausspioniert wurden, kündigte sie noch am Flughafen in Barcelona nach der Rückkehr aus Brüssel gegenüber Telepolis "Strafanzeigen" und "Klagen vor internationalen Organisationen" an.
Auch Paluzie fordert politische Konsequenzen: "Die Zusammenarbeit mit dem spanischen Staat muss komplett ausgesetzt werden." Das gelte auch für die geplanten olympischen Winterspiele in Katalonien, aber vor allem müsse die Unterstützung für die Regierung durch katalanische Parteien beendet werden.
"Wenn wir jetzt zwar keine Offensive starten können, müssen wir wenigstens gegen die Angriffe Widerstand leisten."
Der "spanische Staat" versuche mit der Repression und mit der Spionage die Aktivisten einzuschüchtern, meint die ANC-Präsidentin. "Die Leute sollen Angst bekommen, sich politisch in zivilgesellschaftlichen Organisation zu betätigen, weil das harte Konsequenzen auch für ihr Privatleben haben kann." Man werde aber weiter vorwärts gehen und sich verteidigen.
"Wir werden dem Staat zeigen, dass sich die Repression nur als Bumerang gegen ihn wendet." Für sie gibt es in Spanien nur eine "falsche Demokratie" und einen "verdeckten Autoritarismus", der das Ziel habe, "die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu verhindern". Auch wenn die massive Spionage "ungeheuerlich" sei, ist Paluzie nicht überrascht, da der "spanische Staat alle Mittel einsetzen wird, um die katalanische Unabhängigkeit zu verhindern".
Das sei illegal und von keinem Gericht sei die Spionage gedeckt, in der überwiegenden Zahl der Fälle liefen keinerlei Ermittlungen gegen die Betroffenen, teilweise seien in der ANC nicht nur Führungspersonen betroffen, sondern auch einfache Beschäftigte.
Betroffen waren auch Journalisten wie Meritxell Bonet (hier im Telepolis-Interview), die Frau des ehemaligen Präsidenten der Kulturorganisation Òmnium Cultural, oder Anwälte wie Gonzalo Boye, der Puigdemont vertritt. Betroffen ist auch Andreu Van den Eynde, der den ERC-Chef Oriol Junqueras verteidigt hat. Junqueras war wegen eines angeblichen Aufruhrs zu 13 Jahren Haft verurteilt worden, weil man friedlich Wahlurnen aufgestellt hat.
Boye fragt: "Wie kann ich jemanden verteidigen, wenn die Gegenseite genau alles weiß, was ich mit meinem Klienten bespreche?" Der Anwalt Boye gehört zu denen, die besonders oft angegriffen wurden.
Betroffen dürften auch Klienten in Deutschland sein, denn Boye hat auch hier eine Zulassung.
"Nur die Spitze des Eisbergs"
Die in die Enthüllung eingebundenen Personen gehen wie die ANC-Chefin davon aus, dass wir bestenfalls bisher "nur die Spitze des Eisbergs" eines noch viel umfangreicheren Skandals kennen.
Man habe bisher nicht viele Handys untersuchen können, erklärte eine in die Vorgänge eingebunden Person gegenüber Telepolis, die aus verständlichen Gründen anonym bleiben will. "Jetzt muss das in Breite gehen." Sie verweist darauf, dass die Untersuchung aufwendig und teuer ist, weil Spezialisten nach den Spuren auf den Handys suchen müssten, im Fall der Candiru-Spyware auch auf Computern.
Zu beachten sei, dass man zum Beispiel bei Pegasus nicht irgendeinen Link anklicken müsse. Das Programm werde über eine SMS, eine WhatsApp-Nachricht oder über einen Telefonanruf aufgespielt, den man nicht einmal annehmen müsse.
Interessant ist, dass sich die EU und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen inzwischen eingeschaltet hat. Sie forderte Spanien dazu auf, "dringend zu handeln" und meinte sogar, man solle Spanien für den Einsatz des Pegasus-Programms gegen politische Rivalen zur Rechenschaft ziehen, da es sich um eine "massive Verletzung der Grundrechte" handele.
Dass wirklich etwas aus Brüssel gegen Spanien passiert, braucht allerdings niemand ernsthaft zu erwarten. Man verschließt konsequent die Augen. Außerdem hat die Kommissionspräsidentin ausgerechnet mit Josep Borrell einen Mann als EU-Außenbeauftragten im Team, der sogar in Deutschland, der Schweiz und vielen anderen Ländern auch Abgeordneten nachgespitzelt hat, die sich mit der katalanischen Frage beschäftigt haben, wie Telepolis aufgedeckt hatte.