Die Moderne schafft es nicht, Geld reicht nicht, eine andere Welt ist nötig: Gespräch mit Alberto Acosta über Erfahrungen im einzigen Land der Welt, das die Natur als Rechtssubjekt in seiner Verfassung eingeführt hat.
2007 war Alberto Acosta Energie- und Bergbauminister Ecuadors in der Regierung von Rafael Correa. Er war auch Präsident der Verfassunggebenden Versammlung, die 2008 die Rechte der Natur in der ecuadorianischen Verfassung verankerte.
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In indigenen Kosmologien wird die Erde "Pachamama" genannt. Die Natur ist alles, sie ist überall präsent. Sie hat "das Recht auf ganzheitliche Achtung ihrer Existenz und auf die Erhaltung und Regeneration ihrer Lebenszyklen, ihrer Struktur, ihrer Funktionen und ihrer evolutionären Prozesse" (Art. 71 der Verfassung).
Im Unterschied zur Verpflichtung des Staates, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, wie es im Grundgesetz Deutschlands festgeschrieben ist, wurde die Natur in Ecuador zur Rechtsperson, die ihre eigenen Rechte geltend machen kann.
Der Impuls aus Ecuador wurde in anderen Ländern aufgegriffen. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, das Grundgesetz entsprechend zu ändern. In Bayern wird ein Volksbegehren "Rechte der Natur" vorbereitet.
Zu Hintergründen und Erfahrungen hat Elisabeth Voß für Telepolis ein Gespräch mit Alberto Acosta geführt.
"Die Realität, in der wir leben"
Menschen haben Rechte, juristische Personen ebenso – wenngleich die Menschenrechte oft nicht eingehalten werden. Dagegen ist die Vorstellung, auch der Natur eigene Rechte einzuräumen, noch ungewöhnlich. Wie kam es damals zu der Idee der Rechte für die Natur?
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Alberto Acosta: Das ist die Realität, in der wir leben. Juristische Personen haben fast Menschenrechte, aber viele Menschen finden es fast unmöglich zu akzeptieren, dass das Leben selbst, die Natur, Rechte hat.
Das haben wir in Ecuador geändert. Aus verschiedenen Blickwinkeln wurde die Natur als Rechtssubjekt angenommen. Eine grundlegende Annäherung bilden die Kulturen der indigenen Völker. Wenn wir uns die Rechte der Natur als einen Baum vorstellen, stammen seine Wurzeln aus jenen Visionen und Praktiken, die die Erde als ihre Mutter ansehen.
Darüber hinaus ist Mutter Erde oder Pachamama im kulturellen Bereich der indigenen Völker keine einfache Metapher, sondern eine tägliche Realität. Aber dieser Baum hat andere Wurzeln, die aus anderen Realitäten und Weltanschauungen stammen, die alle zusammen einen zunehmend kräftigeren Stamm bilden. So entwickelt sich dieser Baum.
Außerdem gibt es mehrere Pfropfen in diesem Baum, die aus wissenschaftlichen Forschungen oder sogar aus juristischen und philosophischen Überlegungen stammen. In diesem Punkt ist die Bedeutung der Beiträge der vielfältigen Kämpfe verschiedener Personen und Gemeinden hervorzuheben, die die Natur weltweit verteidigen.
Welche Erfahrungen haben Sie in Ecuador mit den Rechten der Natur gemacht? Konnten sie schon durchgesetzt werden?
Alberto Acosta: Neue Rechte einzuführen ist um ein Vielfaches komplizierter als der Versuch, dem eigenen Schatten zu entkommen. In Wirklichkeit ist es ein Schatten, der von den Privilegien einiger weniger getragen wird.
Darum ist es eine komplexe Aufgabe, neue Rechte zu akzeptieren, und ihre Umsetzung ist noch viel komplexer. Sehen wir uns zum Beispiel an, was es für Frauen oder sogar indigene Völker bedeutet hat, Rechte zu haben, und wie schwierig es ist, diese Rechte in der Praxis umzusetzen.
Seit 15 Jahren gilt die Natur in Ecuador verfassungsrechtlich als ein Rechtssubjekt. Die Fortschritte im Rechtsbereich sind im Vergleich zum Umfang der vorgeschlagenen Herausforderung noch begrenzt.
Trotzdem wird die Anwendung allmählich ausgeweitet: Derzeit gibt es bereits etwa 60 Fälle auf gerichtlicher Ebene, viele davon mit günstigen Urteilen. Aber noch wichtiger ist, dass die Rechte der Natur, egal ob sie unterstützt oder abgelehnt werden, Teil der nationalen Debatte sind.
Was uns sehr motiviert, ist zu sehen, dass der Impuls der ecuadorianischen Verfassung die Einführung der Rechte der Natur durch Gesetze, Verordnungen oder Volksbefragungen in fast 40 Ländern auf allen Kontinenten gefördert hat.
Noch ist Ecuador das einzige Land, das die Natur als Rechtssubjekt in seiner Verfassung eingeführt hat, hoffen wir, dass das nächste Land Bayern ist und warum nicht Deutschland.
Hat sich mit der Veränderung des Rechtsstatus der Natur auch das Verhältnis der Bevölkerung zu den natürlichen Lebensgrundlagen verändert?
Alberto Acosta: Diese Rechte finden langsam Eingang in die Rechtspraxis und das spielt eine wichtige Rolle, zum Beispiel in vielen Widerstandsprozessen gegen Bergbau- oder Ölaktivitäten. Viele nicht-indigene Gemeinschaften, und natürlich auch die indigenen, hissen das Banner der Rechte der Natur, die zu einem Grundelement ihrer Kämpfe geworden sind.
Aber als Gesellschaft sind wir weit davon entfernt, wirklich zu verstehen, was die Rechte der Natur sind, die weit über die engen Grenzen der Justiz, der Verfassung und der Gesetze hinausgehen.
Sie hatten damals auch eine internationale Initiative gestartet, um den Yasuní-Nationalpark vor der Zerstörung durch die Ölförderung zu retten. Die internationale Staatengemeinschaft hätte Ecuador für den Erhalt dieses Ökosystems, das für das Weltklima sehr bedeutend ist, bezahlen müssen – hat dies aber nicht getan. Der Rückzug Deutschlands aus der Initiative war wesentlich mit dafür verantwortlich. Warum konnten nicht trotzdem die Rechte der Natur den Beginn der Ölförderung verhindern?
Alberto Acosta: Tatsächlich musste sich die Yasuní-ITT-Initiative – die in der Zivilgesellschaft entstanden ist – seit der Verabschiedung der Rechte der Natur im Jahr 2008 radikal ändern. Es war nicht möglich, einfach eine internationale monetäre Entschädigung zu verlangen, um diese wunderbare Region, ein wahres Paradies, zu schützen.
Am Anfang – bevor die neue Verfassung verabschiedet wurde – wurde diese Kompensation gefordert, aber mit den Rechten der Natur war für diese Forderung kein Platz mehr.
Angesichts schwerwiegender Umweltprobleme ist es notwendig, eine gemeinsame, differenzierte Verantwortung einzuführen: Das heißt, die Länder, die den Planeten am meisten zerstört haben, müssen auch am meisten beitragen.
Präsident Rafael Correa hat nie verstanden, was die Rechte der Natur bedeuten. Er war nur daran interessiert, das Geld zu kassieren und Applaus zu bekommen. Selbst, um dieses Ziel zu erreichen, fehlte ihm eine politische Strategie, und am Ende scheiterte er, weil er einer solch revolutionären Initiative nicht gewachsen war.
Die Rolle der Bundesrepublik für die Yasuni-ITT-Initiative ist unverkennbar. Die politische Unterstützung aller Fraktionen im Bundestag im Jahr 2007 war entscheidend wichtig, um diese Initiative voranzubringen. Die erste Regierung von Angela Merkel hat diese parlamentarische Entscheidung verfolgt, aber kurz danach kam ein Minister, Dirk Niebel, der die Situation "verniebelt" hat.
Trotzdem verbreitet sich die Einsicht in die Notwendigkeit, Öl und Kohle in der Erde zu lassen, weltweit wie ein Lauffeuer. Sogar die Internationale Energieagentur mit Sitz in Paris hat vor Jahren gefordert, dass mehr als 75 Prozent aller bekannten fossilen Brennstoffreserven im Untergrund zu belassen sind, wenn wir nicht wollen, dass die Temperatur des Planeten um weitere 1,5 Prozent ansteigt.
Auf dem Naturgipfel im Dezember 2022 in Montreal wurde beschlossen, dass 30 Prozent der ganzen Erde bis 2030 unter Naturschutz gestellt werden sollen. Indigene haben dagegen protestiert, denn sie befürchten, im Interesse der Natur vertrieben zu werden. Die Natur wurde nicht gefragt – was würde sie wollen, und wer wäre legitimiert, für die Natur zu sprechen?
Alberto Acosta: Der Versuch, die Natur zu schützen, indem man Menschen vertreibt, die in Harmonie mit ihr leben, ist eine grobe Absurdität. Wir können nicht die Rechte der Natur anwenden, indem wir die Menschenrechte an den Rand drängen. Das wäre eine Art sinnlose Gartenarbeit.
Darüber hinaus sind es die Menschen, die die Rechte von Mutter Erde vertreten. An vorderster Front stehen jene indigenen Völker, die es seit Hunderten von Jahren verstehen, in enger Beziehung zur Natur zu leben.
Ohne zu versuchen, alle indigenen Völker zu romantisieren, müssen wir akzeptieren, dass diese Völker oft diejenigen sind, die die Natur wirklich schützen, so wie es im Amazonasbecken geschieht. Ihr konkretes Handeln ist ebenso nachweisbar, wie die Leere der Reden der Mächtigen auf Klimagipfeln, um nur ein Beispiel zu nennen.
Wir müssen verstehen, dass die Rechte der Natur auf einer Lebensauffassung beruhen, in der alle Lebewesen, menschliche und nicht-menschliche, immer in einer Beziehung zwischen Subjekten, nicht zwischen Subjekt und Objekt, und keineswegs individuell existieren.
Mutter Erde ist für uns Menschen die Grundlage unserer Existenz, sie gibt uns überhaupt erst das Recht, zu existieren. Ohne die Natur als Rechtssubjekt zu akzeptieren, wäre also auch unsere Freiheit und vor allem die der künftigen Generationen nur eine Illusion.
"Ökologische Gerechtigkeit geht immer Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit"
Die deutsche Bundesregierung möchte nun die Mittel für den Weltnaturerbefonds Legacy Landscapes Fund (LLF) aufstocken, und damit unter anderem ermöglichen, dass der Yasuní-Park unter Naturschutz gestellt wird. Was halten Sie von diesem Vorhaben?
Alberto Acosta: Grundsätzlich erscheint es positiv, mehr Ressourcen zu mobilisieren, um den Anforderungen des Umweltschutzes gerecht zu werden. Es ist offensichtlich, dass viele wirtschaftliche Ressourcen erforderlich sind, um den ökologischen Kollaps zu bewältigen. Das ist zwar wichtig, aber nicht genug.
Wir brauchen konkrete Maßnahmen, um uns mit der Natur neu zurechtzufinden, wobei ökologische Gerechtigkeit immer Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit geht.
Überdies kommen viele dieser Projekte, die mit der sogenannten Entwicklungshilfe finanziert werden, letztendlich einer reduzierten Gruppe von Beratern und Experten zugute, mit sehr geringem Nutzen für die indigenen Gemeinschaften und sogar für die Natur selbst.
Diese Art von Projekten dient fast immer eher dazu, das Gewissen der Spender zu beruhigen, als die großen Ziele zu erreichen, mit denen sie präsentiert werden. Diese Logik bewegt sich oft in der perversen Sphäre der Kommodifizierung der Natur. Ich bezahle, also habe ich das Recht zu zerstören, wäre eine Schlussfolgerung, die sich daraus ziehen ließe.
Die ecuadorianische Verfassung sieht auch vor, dass die Natur ein Recht darauf hat, wiederhergestellt zu werden. Aber selbst wenn die Ölförderung in Yasuní eingestellt würde – wäre eine Wiederherstellung des bereits zerstörten Regenwaldes überhaupt möglich?
Alberto Acosta: Eine Wiederherstellung ist in diesen Fällen unmöglich. Eine Ölförderung verursacht schwere und irreparable Schäden an der Natur. Eine Bergbauausbeutung ist wie eine Amputation von Mutter Erde.
Aus dieser Perspektive ist es unter Anwendung der Rechte der Natur notwendig, das bereits Zerstörte zumindest so weit zu reparieren wie möglich, und neue Zerstörungen zu unterlassen, alles im Rahmen postextraktivistischer Prozesse eines Umbaus der Wirtschaft.
Aber das ist nicht genug. Eine andere Welt ist unbedingt nötig. Wir können nicht weiter in die Sackgasse gehen, die uns die Moderne vorgibt, die die Natur als Objekt betrachtet. Dieses und andere Leitbilder der Moderne sind in der Krise.
Sie wurden als Leuchttürme präsentiert, um die Menschheit in Richtung "Entwicklung" zu mobilisieren, aber am Ende erwiesen sie sich für die ausgebeuteten und verarmten Gesellschaften der kapitalistischen Welt als unerreichbare Hirngespinste, während die reicheren Gesellschaften in ihrer eigenen Fehlentwicklung versinken.
Wenn die Natur und alle Lebewesen ebensolche Rechte haben wie wir Menschen, dann müsste doch beispielsweise die Massentierhaltung, letztlich jede Form der Tierhaltung und -nutzung verboten werden. Wie gehen Sie in Ecuador damit um?
Alberto Acosta: Diese Frage wurde in der Verfassunggebenden Versammlung in Ecuador angesprochen, aber es war nicht möglich, eine konkrete Bestimmung zu erlassen, die diese Formen der Tierquälerei verhindert. Die Massenproduktion von Fleisch oder Eiern stellt eine klare Verletzung der Tierrechte dar, also der Rechte der Natur selbst.
Wirtschaftsgruppen, die diese Praktiken vertreten und durchführen, sind sehr mächtig und schützen sich auch mit dem Argument, dass eine Änderung dieser Praxis der Fleischproduktion eine massive Verteuerung vieler Lebensmittel bedeuten würde.
Eine Lösung für diese Herausforderung erfordert nicht nur Gesetze, sondern tiefgreifende Änderungen im Rahmen der Ernährungssouveränität, die Veränderungen im Bereich der Produktion, insbesondere bei Kleinbauern, und auch im Bereich des Konsums beinhalten. Hier muss man viel im kulturellen Bereich arbeiten.
Errungenschaft: "Frei von Gentechnik"
Die ecuadorianische Verfassung verbietet das Einbringen von Organismen und Material, mit dem das genetische Erbgut verändert werden kann. Bedeutet das, dass in Ecuador keine Gentechnik eingesetzt wird?
Alberto Acosta: "Ecuador, ein Land frei von Gentechnik" ist eine der Errungenschaften der Verfassung. Diese Errungenschaft im Lebensmittelbereich wird zwar nicht respektiert, stellt jedoch ein Thema dar, das sogar den Applaus des Europäischen Parlaments im Jahr 2008 bekommen hat. Dort wurde die wirtschaftliche Bedeutung dieser Entscheidung hervorgehoben. Man kann sich leicht vorstellen, was das Potenzial gentechnikfreier Lebensmittelexporte bedeutet.
Dieses Thema ist immer noch Anlass für erneute Kämpfe und Konflikte. Trotz aller Widerstände haben wir einige Errungenschaften zu verzeichnen.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Alberto Acosta: Kurz nach der Verabschiedung der Verfassung wurde auf Druck großer Wirtschaftsgruppen, die vom Verkauf von transgenem Saatgut oder Lebensmitteln profitieren, nach Mechanismen gesucht, um die Einhaltung des Verfassungsauftrags zu umgehen. Im Jahr 2019 konnten die Versuche der Regierungen selbst, diese verfassungsmäßige Sperre zu durchbrechen, durch eine Klage gestoppt werden.
Nachdem an der ecuadorianischen Küste transgene Sojabohnen gefunden wurden, ordnete ein Gericht in der Stadt Quevedo die Überwachung, Beschlagnahme und Verbrennung aller transgenen Pflanzen an. Aber in der Gerichtsverhandlung über transgene Sojabohnen sagte das Landwirtschaftsministerium, dass es in Sachen Saatgutschmuggel nicht zuständig sei.
Auf die eine oder andere Weise kommt die offensichtliche Komplizenschaft zwischen Regierungen und großen Wirtschaftsgruppen zum Vorschein. Der Kampf ist komplex, aber er geht weiter.
Wer vertritt die Natur?
Wenn ich eine Anwältin beauftrage, mich vor Gericht zu vertreten, dann kann ich mit ihr besprechen, wie sie vorgehen soll. Die Natur kann das nicht. Wie kann sichergestellt werden, dass die Vertreter:innen der Natur deren Interessen bestmöglich vertreten, und nicht vielleicht eigene Interessen, die denen der Natur widersprechen, mit hineinspielen?
Alberto Acosta: In der Verfassung ist in Artikel 71 eindeutig festgelegt, dass jede Person oder Gemeinschaft die Rechte der Natur vertreten kann. Dies ist nichts Neues im einem Rechtssystem. Wenn es um die Rechte eines neugeborenen Kindes oder einer Person in der Endphase ihres Lebens geht, vertreten Angehörige oder gegebenenfalls der Staat deren Rechte.
In solchen Fällen und in denen, die mit der Natur zu tun haben, besteht immer die Gefahr des Missbrauchs, aber das ist eine Frage, die vor Gericht geklärt wird.
Rechte haben ist das eine, sie auch durchsetzen zu können, das andere. Bei konkurrierenden Interessen zwischen Menschen und Natur müssen Gerichte abwägen. Sie sagen zwar, dass in Ecuador jede(r) die Rechte der Natur einklagen kann. Aber können sich das auch alle finanziell leisten? Haben nicht naturzerstörende Unternehmen bessere Chancen, sich durchzusetzen, weil sie stärker und finanzkräftiger sind und sich bessere Anwält:innen leisten können?
Alberto Acosta: Das Recht ist immer ein umstrittenes Feld, sei es bei der Verabschiedung von Gesetzen oder bei deren Anwendung. Natürlich gehen in diesem Feld politische Macht und wirtschaftliche Macht, die oft im Bündnis agieren, von privilegierten Positionen aus. Das Gesetz ist von Klassenverhältnissen gerahmt, mit allem, was zum Beispiel die Ausbeutung der Arbeit angeht oder das Privateigentum sichert.
Und das Recht spiegelt auch die traditionellen Herrschaftsverhältnisse über die Natur wider, die als aneignungsfähiges, privatisierbares und letztlich sogar vernichtbares Objekt verstanden wird.
In diesem ungleichen Kampf gibt es Gruppen von Anwälten/innen, die mit den Gemeinden zusammenarbeiten. Es gibt auch Universitäten und zivilgesellschaftliche Organisationen, die zur Verteidigung der Menschenrechte und zunehmend auch der Rechte der Natur freiwillig beitragen.
Aber was am interessantesten ist, ist zu sehen, wie viele politische Gruppen und soziale Bewegungen in verschiedenen Teilen des Planeten beginnen, diese komplexen Pfade des Rechts zu beschreiten, ohne die anderen vielfältigen Möglichkeiten des Widerstands und des transformativen Kampfes an den Rand zu drängen.
Reiche und Mächtige häufen immer mehr Macht an. Die Rechtsprechung schafft im Kapitalismus oft nicht Gerechtigkeit, sondern handelt als Klassenjustiz. Wir Menschen sind als Teil der Natur aufgrund von deren Zerstörung vom Aussterben bedroht. Welchen Beitrag kann angesichts der real existierenden Machtverhältnisse die Anerkennung und Durchsetzung von Rechten der Natur zur Rettung der Menschheit leisten?
Alberto Acosta: Erst im Laufe der Zeit und durch den Druck von Tatsachen, die noch hartnäckiger sind als das Gesetz, wird die Natur zuerst in der politischen Diskussion, später in der Rechtsprechung und schließlich in der Gesetzgebung die ihr entsprechende Rechtsstellung erlangen.
Daraus folgt die nächste Phase, nämlich der Streit um die Einhaltung der Gesetze. Wir müssen das Rechtsgebiet als Streitraum betrachten, um nicht in ein auswegloses Labyrinth zu geraten, wenn wir die Macht des Kapitals erkennen: die Kontrolle über die Justiz.
Es ist daher dringend erforderlich, dass die Ziele jeder Gesellschaft den Gesetzen der natürlichen Systeme untergeordnet werden, ohne jemals die Achtung vor der Würde des menschlichen Lebens zu vergessen. Eine neue Wirtschaft muss akzeptieren, dass die Natur die Grenzen und den Umfang der Nachhaltigkeit und Erneuerungsfähigkeit der Systeme festlegt.
Aus der Politik eröffnen sich neue Perspektiven für das, was wir unter kollektiver und ökologischer Staatsbürgerschaft verstehen könnten, um die Gültigkeit der Erddemokratie zu verwirklichen.
Deren Kernpunkte sagen uns, dass individuelle und kollektive Menschenrechte im Einklang mit den Rechten anderer natürlicher Gemeinschaften auf der Erde stehen müssen; Ökosysteme haben das Recht zu existieren und ihren eigenen lebenswichtigen Prozessen zu folgen; die Vielfalt des Lebens, die in der Natur zum Ausdruck kommt, ist ein Wert an sich; Ökosysteme haben ihre eigenen Werte, die unabhängig von ihrem Nutzen für den Menschen sind.
Aus dem Vorhergehenden leiten wir tiefgreifende Schlussfolgerungen für die menschlichen Kulturen ab, in denen eine radikale Transformation erforderlich ist: Der Mensch ist nicht die Krone irgendeiner Schöpfung, wir sind zur Krone der Zerstörung geworden. Die Menschheitsgeschichte hat das, was im Leben real ist, degradiert, insbesondere durch die Zivilisation des Kapitals.
Die neue "kopernikanische Wende": Zum Pluriversum
Was schlagen Sie also vor, Herr Acosta ?
Alberto Acosta: Streng genommen erfordert die wirksame Umsetzung der Rechte der Natur eine "kopernikanische Wende". Die harmonische und ausgewogene Wiedervereinigung mit der Natur ist unsere große Aufgabe. Bereits Immanuel Kant hat diesen Begriff in der Philosophie verwendet.
Die bisherige Philosophie ging davon aus, dass das erkennende Subjekt in der Erfahrung des Wissens passiv ist, dass das beobachtete Objekt das Subjekt beeinflusst und in ihm eine zuverlässige Repräsentation der Realität bewirkt.
Kant schlug vor, die Beziehung umzukehren und zu akzeptieren, dass in der kognitiven Erfahrung das erkennende Subjekt aktiv ist, dass das erkennende Subjekt im Akt des Erkennens die beobachtete Realität modifiziert.
Diese Anerkennung veränderte die Philosophie und die Welt selbst radikal. Kant definierte dies als "kopernikanische Wende" von ähnlicher Bedeutung, wie zu akzeptieren, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, was Nikolaus Kopernikus demonstriert hatte.
Mit den Rechten der Natur stehen wir vor einer ähnlichen Situation, sogar von viel größerer Bedeutung, da wir akzeptieren müssen, dass Menschen Natur sind und dass es in der Natur keine überlegene Spezies gibt. Der Mensch ist Natur, wir stehen nicht außerhalb von ihr. Und sie, die Natur, ist es, die uns das Recht auf unsere Existenz gibt.
Es ist an der Zeit, uns von den gedanklichen Fesseln des Fortschritts und der sogenannten Entwicklung zu befreien, die zu einem globalen sozioökologischen Debakel mit unvorhersehbaren Folgen führen.
Wir müssen uns auf das plurale Universum, das Pluriversum, zubewegen, unter dem wir eine Welt verstehen, in der es Platz für viele Welten gibt, in der aber alle – Menschen und nichtmenschliche Wesen – in Würde zusammenleben, ohne Elend und Ausbeutung, die heute noch das Dolce Vita einiger Weniger sichern.
Mehr denn je brauchen wir Postwachstumsgesellschaften und Gesellschaften des "Buen Vivir", des Guten Lebens für alle.
Das u.a. von Alberto Acosta herausgegebene Buch "Pluriversum" erscheint im Herbst 2023 im AG SPAK Verlag
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