Politiker bleiben straffrei - Kronzeugen auf der Flucht

Seite 2: Die Farce mit den Zeugen

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Zu den bisherigen Erkenntnissen des Ausschusses gehört, dass einige Zeugen beklagten, dass die Anti-Korruptions-Staatsanwältin sie unter Druck gesetzt habe. Zudem erschienen vor dem Ausschuss auch Zeugen, die, wenn die geleakten Namen stimmen, gleichzeitig identisch mit den geschützten Zeugen sein sollen.

Schließlich wurden die anonymen Zeugen, nunmehr als doppelte Kronzeugen, vorgeladen. Der Untersuchungsausschuss entschied mit den Stimmen aller vertretenen Parteien und gegen die Stimmen von Syriza, dass die Kronzeugen ohne Anonymisierung aussagen müssten. Dies verweigerten beide, indem sie in der vergangenen Woche nicht vor dem Ausschuss erschienen. Der Ausschuss bestimmte danach die gewaltsame Vorführung der Zeugen vor den Ausschuss.

Eine Forderung, der die Polizei zwar nachkommen will, es aber nicht kann, weil die Zeugen nicht für sie auffindbar sind. Die griechische Öffentlichkeit erfuhr von erstaunt wirkenden Fernsehmoderatoren, dass Zeugen in Griechenland nicht verpflichtet sind, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden - als ob dies in der übrigen Welt die übliche Praxis sei.

Vollkommen zur Farce wurde das Chaos um die faktisch ungeschützten, juristisch als geschützt eingestuften Zeugen durch Fernsehauftritte des amtierenden Gesundheitsministers Adonis Georgiadis. Pikanterweise in der von der Gattin von Mitsotakis Neffen und Bürgermeisters von Athen geführten Hauptnachrichtensendung des Senders Skai TV, Sia Kossioni, referierte Geogiadis minutenlang ohne Unterbrechung durch die Moderatorin über die "geschützten Zeugen" und nannte mehrfach deren wahren Namen.

Kossioni griff erst ein, nachdem Georgiadis seinen Gegnern von der Syriza-Partei, insbesondere Alexis Tsipras, die lebenslange Freiheitsstrafe wegen eines versuchten Umsturzes des Staatswesens durch Ausschaltung der Opposition in Aussicht stellte.

Stündlich melden sich nun Experten, Juristen, Staatsanwälte und Richter in den Medien zu Wort und referieren darüber, ob die Zeugen nun ihre Aussage verweigern dürfen, oder nicht. Momentan überwiegt die Ansicht, dass ihr Fernbleiben von der Aussage vor dem Ausschuss straffrei ist. Allerdings gibt es auch die gegenteilige Meinung, dass dieses Fernbleiben wegen der Einstufung der Parlamentarier als faktische Staatsanwälte eine zu verfolgende Aussage vor einer Staatsanwaltschaft sei.

Die Tatsache, dass die Nea Dimokratia, die KinAl und die rechtspopulistische Griechische Lösung für die faktische Aufhebung der Anonymität stimmten, erscheint aus verhandlungstaktischen Gründen nachvollziehbar. Die Partei von Yanis Varoufakis hält sich vom Untersuchungsausschuss aus Überzeugung und in Verweigerung der Rechtsmäßigkeit des gesamten Verfahrens fern.

Zu den Stimmen gegen die Anonymisierung zählen aber auch die Vertreter der Kommunistischen Partei, KKE. Diese ist seit jeher gegen die in Griechenland "Kapuzenträger" genannten anonymen Zeugen. Grund ist der Ursprung des Zeugenschutzes.

Anonymer Zeuge Alpha - "Hier!"

So waren es wortwörtlich Kapuzenträger die zunächst unter dem liberalen Eleftherios Venizelos und später unter der Metaxas-Diktatur vor dem 2. Weltkrieg vor Gericht Kommunisten beschuldigten und diese damit ins Gefängnis brachten. Später, während der Besatzung setzte die von griechischen Kollaborateuren unterstütze Wehrmacht Kapuzenträger zur Denunziation kommunistischer Partisanen ein.

Die KKE hat wegen der Kapuzenträger zahlreiche tote, gefolterte und verbannte Parteigenossen zu beklagen. Derartige Verfahren gegen Kommunisten gab es auch während des griechischen Bürgerkriegs und bis in die Zeit der Militärjunta. Später, in der Metapolitefsis, welche nach 1974 das Verbot des kommunistischen Gedankenguts und der Partei aufhob, richteten sich die Kapuzenträger als von der Staatsmacht eingesetzte Zeugen gegen Anarchisten und alle, die vom Staat als Terroristen eingestuft wurden.

Die Wiedereinführung anonymer Zeugen ist ein Produkt der als "Terrorparagraph" bekannten griechischen Gesetzgebung zur strafrechtlichen Verfolgung von Linksextremisten und Autonomen. Politisch motivierte Straftaten werden in Griechenland mit einer unter dem Stichwort Idionymo bekannten Strafverschärfung belegt. Die diesbezügliche Gesetzgebung wurde in der Metapolitefsi nicht etwa von der konservativen Nea Dimokratia, sondern vielmehr von der sozialdemokratischen Pasok ausgearbeitet. Nach 2015 vergaß die Syriza-Regierung das Wahlversprechen zur Streichung der Idionymo-Paragraphen und verschärfte diese stattdessen.

Schnell fanden sich auch im aktuellen Jahrtausend Anarchisten für Jahre hinter Gitter, weil es eine anonyme Aussage, oder einen anonymen Telefonanruf beim Staatsschutz gab.

Konsequent verzichtete daher auch die Nebenklage im Prozess gegen die Goldene Morgenröte auf die Befragung der anonymen Zeugen, welche die Anklage zur Belegung des Vorwurfs gegen die neonazistische Partei vorgeladen hatte. Allerdings verpuffte auch hier in der Praxis der Zeugenschutz.

Denn, die angeklagten Mitglieder der Goldenen Morgenröte erkannten nicht nur anhand der Aussagen der Zeugen frühere, von der Staatsanwaltschaft mit Schutz versehene, Mitstreiter. Die wahren Namen erschienen nämlich auch in der auch für Strafverteidiger einsehbaren Anklageschrift. Die Namen der Aussagenden waren dort nur mit einem schwarzen Filzstift durchgestrichen, was sie leicht lesbar machte.

Das, was in sozialen Medien gern mit dem englischen Ausdruck "epic fail" bedacht wird, ereignete sich nicht nur im Verfahren gegen Rechtsextreme. Beim Verfahren gegen die des Terrorismus beschuldigte linksextreme Gruppe 17. November gab es Anfang des Jahrtausends ebenfalls "anonyme Zeugen".

Diese wurden in der sehr sorgfältig verfassten Anklageschrift als Zeuge Alpha und Zeuge Beta bezeichnet. Zu Beginn des Strafverfahrens gegen die Angeklagten des 17. November erschienen beide, früher selbst im Umfeld der Gruppe aktiven, Zeugen pflichtgemäß und gesetzestreu physisch vor Gericht und erhoben zusammen mit dem Ausruf "anwesend" die Hand als vom Gericht die Anwesenheit der Zeugen durch Verlesen der Liste überprüft wurde und nach Nennung der Namen der übrigen Zeugen "Zeuge Alpha?" und "Zeuge Beta" gerufen wurde.

Tatsächlich gehörte aber auch Syriza früher zu den Verfechtern der These, dass es in einem fairen Strafverfahren keine anonymen Zeugen geben darf. Als 2014 das eigentlich gegen politische Straftäter gemünzte Gesetz zum Zeugenschutz auf Wirtschaftsverbrechen ausgeweitet wurde, stimmte die Syriza-Fraktion im Parlament geschlossen dagegen. Später stütze sich das gesamte, von Syriza verteidigte Anklagekonstrukt in der Novartis-Affäre auf genau diesen Paragraphen.

Verankert ist der Zeugenschutz für Wirtschaftsverbrechen im Gesetz 4524/2014 und im Artikel 45B des Strafrechtskodex. Er wurde mit den Stimmen der Nea Dimokratia und der Pasok vom Parlament verabschiedet. Also ausgerechnet der Parteien, die nach einer Anklage gegen eigene Parteimitglieder nichts unversucht ließen, um den Zeugenschutz in der Praxis auszuhebeln.