Portugiesische Rechte im Azoren-Hoch
Chef der rechtsradikalen Partei Chega träumt nach Erfolg auf der Inselgruppe von Stichwahl bei Präsidentschaftswahlen in Portugal Mitte Februar 2021
Lange galt Portugal als eine Insel in Europa, die auf parlamentarischer Ebene frei von Rechtsextremen ist. Dass das nicht mehr der Fall ist, zeigte sich schon bei den Parlamentswahlen vor gut einem Jahr, als die rechtsradikale Partei Chega ("Jetzt reicht es") mit 1,3 Prozent der Stimmen und einem Abgeordneten ins Parlament einziehen konnte (Sieg der linken "Unbegreiflichkeit" in Portugal). Und nun wittert mit Chega eine Partei Morgenluft, die auch enge Verbindungen zur extrem gewalttätigen faschistischen Szene unterhält (Portugal ist keine Insel gegen Rechtsextreme mehr).
Sie kam bei den Regionalwahlen auf den Azoreninseln kürzlich mit gut 5.000 Stimmen auf etwas mehr als fünf Prozent. Und schon steigt Parteichef André Ventura der Erfolg zu Kopf. Das hat damit zu tun, dass die "Sozialdemokratische Partei Portugals" (PSD), tatsächlich eine liberal-konservative Gruppierung, von der Ventura und andere sich abgespalten haben, die Rechten als Mehrheitsbeschaffer benutzt haben.
Auf den Azoren wurde Chega in die Regierungsbildung eingebunden, um nach 24 Jahren die Sozialisten von Ministerpräsident António Costa in der Regionalregierung der Inselgruppe abzulösen. Auch wenn das nur mit Hilfe von Chega gelang, ist das Abkommen mit ihr auch in der nun regierenden PSD umstritten. Denn PSD-Chef Fernando da Silva Rio hat schon beim ersten Anlass ein zentrales Versprechen gebrochen. Er wollte mit Chega nur dann Bündnisse eingehen, wenn sie moderater würde.
Doch davon ist keine Spur bei Chega, die sich selbst als "Anti-System-Partei" definiert. Für den Soziologen Elisio Estanque von der Universität Coimbra ist sie eine portugiesische AfD mit sogar noch extremeren Positionen. Sie habe den "nationalistischen und fremdenfeindlichen Diskurs gegen Einwanderer radikalisiert", sagt Estanque, und sie führe "verbale Guerillaschlachten" gegen die politische Elite. Über die Anwesenheit im Parlament habe ihre Medienpräsenz zugenommen, womit sie neue Wähler ansprechen konnte, wie sich auf den Azoren gezeigt habe. Dass die PSD sie sogar in die Regierungsbildung einbezogen hat, verstärkt diesen Effekt zusätzlich.
Ventura will die portugiesische Rechte anführen
Nun heißt es , Ventura hoffe bei den kommenden Präsidentschaftswahlen in die Stichwahl gegen den aktuellen und beliebten Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa zu kommen, um seine Wahrnehmbarkeit noch deutlich zu steigern. De Sousa kommt vom linken Rand der PSD und arbeitet seit fast fünf Jahren gut mit der sozialistischen Regierung zusammen. Es hat deren Politik – anders als sein Vorgänger – auch in den vier Jahren nicht blockiert, als sie mit Unterstützung linksradikaler Parteien regierte (Homo-Paare dürfen nun doch in Portugal adoptieren).
Nach aktuellen Umfragen soll De Sousa auf 66 Prozent der Stimmen kommen, dann gäbe es keine Stichwahl. Auf den zweiten Platz steht in den Umfragen derzeit die Sozialistin und frühere Europaparlamentarierin Ana Gomes. Es wäre allerdings ein großer Erfolg für Ventura, würde er besser als die Kandidatin des Linksblocks (Bloco de Esquerda, BE), Marisa Matias, abschneiden, sie neun Prozent der Stimmen auf sich vereinen könnte.
In Interviews, wie kürzlich mit der Tageszeitung Publico, macht Ventura seinen Anspruch deutlich, die Rechte in Portugal anzuführen. Schon bei den nächsten Parlamentswahlen will Chega stärkste Rechtspartei werden, erklärt er. Darüber, dass der PSD-Chef nun verspricht, Chega werde auf nationaler Ebene nicht in eine Regierung eingebunden, zeigt sich Ventura amüsiert: "Wenn Chega nicht in die Regierung von Dr. Rui Rio eintritt, wird Dr. Rui Rio niemals Premierminister von Portugal werden."
Immer wieder wurde auch in Portugal davor gewarnt, den Diskurs gegenüber den Rechtsradikalen zu normalisieren, da ihnen dies nur nutze. Auch die Vorsitzende des Linksblocks wies im Gespräch mit Telepolis darauf hin, dass es auch in Portugal nun ein Phänomen gebe, das man aus anderen Ländern schon kenne und von dem Chega profitiere: "Der Hass-Diskurs der extremen Rechten wird durch die traditionelle Rechte und auch durch die Medien normalisiert." (Die halbe Billion ist weniger, als Deutschland im eigenen Land investiert) Mit Ultras gäbe es nichts zu reden, da deren Führer "aus Neonazi-Parteien stammen" und auch "Mörder darunter" seien.
Spanien macht Normalisierung von Allianzen mit Rechten vor
Der portugiesische Schriftsteller Gabriel Magalhães spricht nun, auch mit Blick auf das Nachbarland Spanien, von einem "autoritären Virus" und verweist auf die südspanische Region Andalusien. Dort hatten die ultrakonservative Volkspartei (PP) und die rechts-neoliberalen Ciudadanos (Cs) einen Tabubruch begangen und die faschistisch-franquistische VOX in die Regierung eingebunden (Feministinnen mobilisieren gegen andalusische Rechtsregierung).
Das Modell machte angesichts des Aufstieges von VOX, der auch Chega motiviert, bald Schule. Inzwischen regiert die PP-Cs-Koalition auch in Madrid und Murcia mit Unterstützung von VOX. Allerdings kam Cs das schon teuer zu stehen, denn VOX hat als Original die ultranationalistische Kopie schon als drittstärkste Kraft im Parlament verdrängt (Faschistoide VOX drittstärkste Kraft in Spanien).
Wie die Partei gestrickt ist, macht sie immer deutlicher. Unlängst wollte sie in den USA eine Petition starten, um den scheidenden Präsidenten Donald Trump aufzufordern, die "illegale Regierung" von Ministerpräsident Pedro Sánchez zu stürzen. Der Vorstoß zirkulierte in VOX-Kreisen und wurde gelöscht, nachdem er öffentlich gemacht wurde. Dass in ihren Reihen von einem Putsch und unter den Sympathisanten im Militär davon geträumt wird, "26 Millionen Hurensöhne erschießen", ist auch längst publik geworden (Hochrangige spanische Militärs träumen davon, "26 Millionen Hurensöhne zu erschießen").