Propaganda für Impfpflicht?
"Hart aber unfair": Wie dysfunktional Medien heute mit Intellektualität umgehen und offenbar erwünschte gesellschaftlicher Positionen und Verhaltensweisen propagieren – Protokoll einer sehr deutschen Debatte, Akt II
Svenja Flaßpöhler: "Ausgewogen kann man das jetzt hier nicht nennen."
Frank Plasberg: "Nein."
13 Tage nach "Markus Lanz" (siehe Akt I: Die Impffrage und der neue Kulturkampf gegen die Philosophie) trat Svenja Flaßpöhler zum zweiten Mal im November als Talk-Show-Gast im deutschen Fernsehen auf, diesmal in der Sendung "Hart aber Fair" von Frank Plasberg. Thema laut ARD-Programmankündigung und Mediathek: "Nur ja keinen Zwang. Ist unsere Politik zu feige?"
Vom Moderator wurde dieser Titel im ersten Satz sofort mündlich "nachgeschärft" (Markus Söder): "Knickt die Politik ein vor den Impfverweigerern? Wer hat Schuld, wenn wieder viele Menschen sterben, und für alle Corona kein Ende nimmt?"
Auch hier waren das Framing und die marginalisierte Position Flaßpöhlers schon durch die Konstellation der Talk-Teilnehmer klar: Der Philosophin gegenüber saßen neben dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), der Ärztin und Pandemiebeauftragten im Kreis Tübingen, Lisa Federle, dem Journalisten Georg Mascolo (Rechercheverbund SZ/WDR/NDR) und dem Immunologen Carsten Watzl ("2G bundesweit!") – vier klare Befürworter einer Impfpflicht. Wieder war Flaßpöhler die einzige Teilnehmerin, die nicht klar auf Regierungskurs lag.
Grandiose Komplexitätsreduktion: "Ich halte es für falsch, Menschen zu kriminalisieren..."
Plasbergs Moderation tat von Anfang an ein Übriges: Eine geschlagene Viertelstunde wurde bei "Hart aber Fair" geredet und in die gleiche Richtung Stimmung gemacht, einer nach dem anderen plädierte für eine Impfpflicht, ohne sich ein einziges Mal auch nur mit Gegenargumenten auseinanderzusetzen. Erst nach über 14 Minuten kam dann Svenja Flaßpöhler dran.
Auch hier machte die eigentlich sehr medienerfahrene Philosophin dann zunächst wieder eine erstaunlich schwache Figur. Wieder begann sie mit Entlastungsangriffen durch das Reden über Dinge, nach denen gar nicht gefragt wurde.
Immerhin aber wurde früh ihr Hauptpunkt deutlich: "Ich halte es für falsch, Menschen zu kriminalisieren, die von ihrem Recht Gebrauch machen, Eingriffe in den Körper abzulehnen." Es sei "grandiose Komplexitätsreduktion und Projektion", politisches Versagen auf die Menschen zu übertragen, "die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich nicht impfen zu lassen".
So weit, so klar. Allerdings bleiben dennoch mehrere Gegenfragen: Wo werden denn von wem Menschen kriminalisiert? Zugangsbeschränkungen und eine – mögliche, bislang nicht einmal beschlossene – Impfpflicht sind ja noch keine Kriminalisierung. Und was ist mit politischem Versagen gemeint? Das Versäumnis, durch Aufklärungskampagnen noch mehr Menschen zum freiwilligen Impfen zu bringen? Oder fehlende Intensivpflegeplätze, weil ein Staat auch in der Pandemie immer genug davon bereitzustellen hat, unabhängig vom Verhalten der Bevölkerung?
Man sieht, wie durchlässig Flaßpöhlers Argumentation an manchen Stellen wird, und wo sie selbst die Komplexität ihres Themas unnötig reduziert.
"Man nennt das Selbstbestimmung"
Eher kann man ihr dann bei der Verteidigung der individuellen Entscheidungsfreiheit zustimmen: "Man nennt das Selbstbestimmung. Solange wir keine Impfpflicht haben, muss man dieses Recht auf Selbstbestimmung akzeptieren. Man kann Leute nicht dafür, dass sie es nutzen, wegsperren in so einem Stubenarrest wie kleine Kinder ... Ich wehre mich auch dagegen, dass man die Ungeimpften hinstellt als ein unterschiedsloses dummes Kollektiv. Es gibt doch sehr unterschiedliche Motive, warum Menschen sich nicht impfen lassen wollen."
Flaßpöhler kritisiert die "Bevormundung" der deutschen Bürger in der Pandemie: "Selbstverantwortliches Handeln wird systematisch abtrainiert."
Kritik der Medien in den Medien
Eines machte Svenja Flaßpöhler bei "Hart aber Fair" allerdings von Anfang an grundsätzlich anders als zwei Wochen zuvor bei "Markus Lanz" – und man kann darin sowohl einen entscheidenden taktischen Fehler sehen wie auch die einzig mögliche Notwehrmaßnahme gegen eine Konstellation aus Fragestellung und Teilnehmern, die ihr von Anfang an kaum eine Chance lässt: Die Philosophin thematisierte die Medien und deren Verhalten, sowie ganz direkt die Sendung, in der sie gerade saß und den Moderator. Dem widersprach sie mehrfach direkt.
Die unmittelbare Folge: Der offenbar überraschte Frank Plasberg machte erkennbare Fehler.
Das demonstriert ein Wortwechsel (Sendeminute 21:20 – 22:05) nach Flaßpöhlers Hinweis auf Studien, nach denen die Pandemieberichterstattung in den Medien einseitig sei:
Plasberg: "Würden Sie sich wünschen, dass zwischen ihnen und Herrn Weil ein dezidierter Impfgegner sitzt? ... Dass da jemand sitzt, der alternative Meinungen hat und alternative Fakten? Würden Sie das für ausgewogene Berichterstattung halten?"
"Hart aber fair", 15.11.2021
Flaßpöhler: "Aber was heißt denn jetzt 'alternative Fakten'?"
Plasberg: "Ich habe Ihnen eine Frage gestellt."
Flaßpöhler: "Sie müssen doch erst mal präzisieren, was Sie damit meinen. Wir können doch jetzt nicht sagen, dass alle die, die sagen, es wurde einseitig in den Medien über dieses Virus berichtet, und über die Corona Politik, dass das alles irgendwelche Corona-Leugner sind. Das stimmt doch gar nicht."
Plasberg: "Ich möchte das gar nicht bewerten."
Genau das hatte Plasberg aber in seiner Frage getan.
Auch danach ließ sich Frank Plasberg von Flaßpöhlers Gegenangriffen erkennbar aus der Fassung bringen. Ein weiterer Auszug (Minute 42-48):
Plasberg: "Auf die Gefahr, dass Frau Doktor Flaßpöhler sagt: Das ist jetzt wieder einseitig ... Auch auf die Gefahr hin, dass das Ganze wirkt, dass es eine Propagandaveranstaltung für das Impfen ist..."
"Hart aber fair", 15.11.2021
Flaßpöhler: "Herr Plasberg das habe ich mit keinem Wort gesagt."
Plasberg: "Nein, das haben Sie auch nicht. Ich habe hier nur eine Gefahr in der Wand gesehen..."
Flaßpöhler: "Sie haben gerade die Querdenker erwähnt. Mein Eindruck ist: Sie versuchen mich, obwohl ich hier wirklich versuche, sehr sachlich zu argumentieren, in genau diese Ecke zu schieben, indem Sie mir jetzt unterstellen, ich würde davon reden, dass sei hier eine Propagandaveranstaltung. Das ist jetzt wirklich lächerlich."
Plasberg: "Nein, habe ich Ihnen nicht unterstellt. ... Ich gebe Ihnen allen Raum in dieser Sendung, den Sie haben wollen, um Ihre Meinung darzustellen."
Aber als Svenja Flaßpöhler immer wieder versuchte, Differenzierung zwischen der vermeintlich guten, vernünftigen, geimpften Mehrheit auf der einen Seite und den bösen, dummen, ungeimpften Querdenkern auf der anderen Seite einzufordern, wollte oder konnte Frank Plasberg dies offensichtlich selbst nicht leisten und vor seinen Gästen nicht aushalten.
Fake News in der ARD!
Weitere Momente der Sendung dürften wiederum den "Hart aber Fair"-Faktencheck kaum überstehen: So bügelte Moderator Plasberg in Minute 27 Flaßpöhlers Hinweis auf die besseren Inzidenzwerte (und damit auf weniger zukünftige Tote) in Schweden (zum Zeitpunkt der Sendung 50 im Verhältnis zu 303 in Deutschland) kurzerhand mit der Behauptung nieder, "dass proportional zur Bevölkerung die Todeszahlen in Schweden sehr viel höher sind." Fake News!
Die Todeszahlen im Verhältnis zur Bevölkerung lagen in Schweden am 28.12. bei 1.496, in Deutschland bei 1.322. Sie sind also im Vergleich weniger als 10 Prozent erhöht – und das bei einer Corona-Politik, die fast vollkommen ohne Lockdown, Maskenzwang und Geschäftsschließungen auskommt, deren sozialer und ökonomischer Preis und deren Kollateralschäden also deutlich geringer sind.
Ohne Differenzierungen und Erkenntnislust
Der SZ-Journalist Georg Mascolo hat ja vollkommen recht, wenn er feststellt: "Die Politik hätte eine allgemeine Impfpflicht als letztes Mittel niemals ausschließen dürfen."
Umso erstaunlicher ist es nun aber auch für erfahrene Beobachter der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit erstaunlich, welchen 180-Grad-Schwenk die deutschen Mehrheitsmedien binnen weniger Wochen in der Frage der Impfpflicht vollzogen haben: Von "Eine allgemeine Impfpflicht ist ausgeschlossen, es wird sie nie geben" hin zu "Eine allgemeine Impfpflicht ist alternativlos."
Jede Minute und jeder Wortwechsel der "Hart aber Fair"-Sendung bestätigte Flaßpöhlers, unter anderem auf eine Studie der Rudolf-Augstein-Stiftung gestützte, These, dass die deutschen Mehrheitsmedien eben nicht neutral über Pandemie-Themen berichten; dass es stattdessen in jenen Medien ein einseitiges Framing zugunsten bestimmter offenbar erwünschter gesellschaftlicher Positionen und Verhaltensweisen gibt.
Es fehlt jede Erkenntnislust, jedes Interesse und jede Bereitschaft, von der anderen Seite zu lernen - und zwar auf beiden Seiten. Es fehlen Differenzierungen. Bestimmte Zumutungen sind aus einer liberalen Demokratie aber nicht wegzudenken.
Das Beispiel "Hart aber Fair" zeigt: Man lässt sich nicht einmal ansatzweise auf die Argumente gegen eine Impfpflicht ein. Wer aber so einseitig und tendenziös argumentiert, kann nicht umgekehrt die dringend notwendig, offene und faire Auseinandersetzung mit den Argumenten Pro-Impfpflicht verlangen.