Proteine aus dem Labor: Tübinger Forschung soll Fleisch überflüssig machen
Tübinger Forscher verwandeln CO2 in Nahrung. Mikroben produzieren Proteine und Vitamine im Labor. Könnte diese Methode die Fleischindustrie revolutionieren?
Wissenschaftler der Universität Tübingen um Lars Angenent haben in ihrem Labor ein ausgeklügeltes Bioreaktorsystem entwickelt, in dem Bakterien und Bäckerhefe aus einfachen Zutaten wertvolle Proteine und lebenswichtige Vitamine produzieren.
Dazu braucht es nur Kohlendioxid aus der Luft, Sauerstoff und Wasserstoff, der mit Ökostrom aus Wasser gewonnen wird. Daraus produzieren Mikroorganismen hochwertiges Eiweiß und sogar Vitamin B9, bekannt als Folsäure – ohne einen Quadratmeter Ackerland zu beanspruchen.
Die so gewonnenen Proteine und Vitamine könnten in Zukunft als Grundlage für veganen Fleischersatz dienen und die wachsende Weltbevölkerung nachhaltig ernähren, ohne auf Nutztierhaltung zurückgreifen zu müssen.
"Wir nähern uns zehn Milliarden Menschen auf der Welt, und angesichts des Klimawandels und begrenzter Landressourcen wird es immer schwieriger, genügend Nahrungsmittel zu produzieren", erklärt Angenent. Seine Alternative: Nahrhafte Proteine einfach im Bioreaktor züchten, statt riesige Flächen für den Anbau von Viehfutter zu verschwenden.
Wie aus CO2 Nahrung wird
Die Umwandlung von Kohlendioxid und Wasser in Nährstoffe erfolgt in zwei Schritten, ähnlich wie beim Bierbrauen – nur ernähren sich die Mikroben hier nicht von Zucker, sondern von Wasserstoff und Essigsäure.
Zunächst wandelt das genügsame Bakterium Thermoanaerobacter kivui das Kohlendioxid mithilfe des zugeführten Wasserstoffs in Essigsäure um. Dabei produziert es selbst die Folsäure, die es zum Wachsen benötigt.
Im zweiten Schritt kommt die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae ins Spiel: Sie ernährt sich von Essigsäure und Sauerstoff und produziert daraus mit hoher Ausbeute Proteine und zusätzlich Vitamin B9. Bereits sechs Gramm der getrockneten Hefe würden einen Erwachsenen mit der empfohlenen Tagesdosis an Folsäure versorgen.
Lesen Sie auch
Doping aus der Küche? Warum Sportler jetzt Natron schlucken
Abnehmen ohne Hunger: Das Geheimnis liegt in Ihrem Darm
Darmflora: Tausend Bakterienarten bestimmen über Ihre Gesundheit mit
Was Komasaufen im Gehirn von Teenagern anrichtet
Fleischersatz unter der Lupe: Wie gesund ist die vegane Alternative wirklich?
Die so gewonnenen Proteine übertreffen in ihrer Konzentration sogar Fleisch, Fisch oder Linsen. "Das Endprodukt ist vegetarisch, vegan, gentechnikfrei und nachhaltig, was für Verbraucher attraktiv sein könnte", fasst Angenent zusammen.
Potenzial für eine gerechtere Welternährung
Doch bis die Proteine und Vitamine aus dem Tübinger Labor als Lebensmittel auf den Tisch kommen, ist es noch ein weiter Weg. Das Verfahren muss vom Labor- in den Industriemaßstab übertragen werden. Zusatzstoffe, die Gicht auslösen können, müssen entfernt werden. Sicherheitstests und Marktanalysen stehen noch aus.
Doch Angenent ist überzeugt vom Potenzial der Methode: "Der wachsenden Weltbevölkerung droht Unterernährung vor allem in Ländern, die unter Dürren leiden und deren Böden zu wenig Nährstoffe enthalten. Da könnten solche Ersatzprodukte wie die von uns erzeugten die Ernährungslage verbessern."
Im großen Maßstab eingesetzt, könnte die Technologie einige Probleme der heutigen Nahrungsmittelproduktion elegant umgehen: Statt immer mehr Flächen für Futter und Weiden zu opfern und das Klima mit Emissionen aus der Tierhaltung zu belasten, könnten Proteine klimaneutral und platzsparend im Reaktor hergestellt werden.
Dabei will Angenent die Landwirtschaft keineswegs abschaffen – im Gegenteil: Bioreaktoren sollen primär den Fleischkonsum reduzieren. Die frei werdenden Flächen könnten für den ressourcenschonenden Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel genutzt werden. Gleichzeitig sollen Landwirte dafür belohnt werden, dass sie Boden und Natur schonen.
Die Forscher sehen ihre Erfindung als ein Puzzleteil auf dem Weg zu einer nachhaltigeren und gerechteren Ernährung der Menschheit. "Mit einer hohen Rate gleichzeitig Proteine und Vitamine für nachhaltige, vegetarische und vegane Produkte ohne nennenswerten Flächenverbrauch herstellen zu können, ist ein großer Erfolg", bilanziert Angenent.